Im Kopf seiner Website hat das Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen (KMSKA) einen Counter platziert. Im Sekundenrhythmus zählt er die Wartezeit ab, bis das Kunsthaus wiedereröffnet wird. Endlich, darf man sagen, denn mehr als ein Jahrzehnt war der Kunsttempel am Leopold De Waelplaats für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Zum Leidwesen der Antwerpener*innen, zum Kummer eines internationalen Publikums, dem die Begegnung mit der Spitzenkollektion versagt blieb. Die »Flämischen Primitiven«, also altniederländische Meister wie Jan van Eyck oder Rogier van der Weyden, gehören ebenso zum Bestand wie herausragende Barockmaler (zum Beispiel Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck) und der vielleicht wichtigste KMSKA-Künstler – gemeint ist James Ensor (1860-1949), der Symbolist, gerühmt als »Maler der Masken«, von dem das KMSKA die weltweit größte Sammlung besitzt.
Das alles und viel mehr, nämlich rund 650 der knapp 8500 Kunstwerke, die zum Bestand des Museums gehören, erwartet die Besucher*innen, die das KMSKA ab 24. September erkunden können. Die Kunstexkursion ist zugleich ein Architektur-Trip: Altgediente KMSKA-Fans werden beim Rundgang auf Schritt und Tritt überrascht, weil sich so viel verändert hat. Das beginnt beim Stammhaus, erbaut 1884 bis 1890 nach Entwürfen von Jan Jacob Winders und Frans Van Dijk. Im Laufe der Jahrzehnte hatte der prächtige Fin-de-Siècle-Tempel Patina angesetzt. Zudem bedurften Technik, Klima-Anlage und Infrastruktur einer Verjüngungskur. Das Rotterdamer Büro KAAN Architecten, dem die Rundumerneuerung anvertraut wurde, brachte den alten Glanz zurück: Neue Dächer mit reichlich Oberlicht, die farbige Fassung von Wänden und Decken sowie die Instandsetzung des noblen Architekturdekors und der kostbaren Parkettböden tragen dazu bei. Auch die restaurierte Hauptfassade, deren Eingang ein neues Mosaik ziert, die mit Porträtbüsten berühmter Künstler bestückte Loggia und ein zusätzlicher Museumsgarten als grüne Oase dürften für Aha-Erlebnisse sorgen. Mit all diesen Maßnahmen mache das KMSKA den historischen Bau zukunftssicher, heißt es auf der Website des Museums.

Der Altbau, in dem fortan die Kunst vor 1880 präsentiert wird, dient als Gehäuse für den Erweiterungstrakt, den KAAN Architecten entworfen haben. Eine ungewöhnliche Lösung – Museen, die räumlich expandieren, entscheiden sich in der Regel für einen Anbau oder gar für einen Solitär. Der KAAN-Entwurf dagegen bespielt vier ehemalige Innenhöfe als Areal für die neuen Räume, deren makelloses Weiß einen wirkungsvollen farblichen Kontrast zum Altbau darstellt – dort dominieren gediegene Farbtöne, von Pompeji-Rot bis Olivgrün. Die zehn neuen, großzügig geschnittenen Säle, gewidmet der nach 1880 entstandenen Kunst, erweitern die Ausstellungsfläche im Museum um immerhin 40 Prozent. Als Scharnier zwischen den beiden Sammlungsteilen dient James Ensor – der 1860 in Ostende geborene Maler gilt als Vorläufer des Expressionismus. Ein besonderer Blickfang im weißen KMSKA-Haus sind die eleganten Wendeltreppen.

Zeichnet sich der Altbau aus durch symmetrisch angeordnete Räume und kerzengerade Enfiladen, bietet der zeitgenössische Trakt Überraschungen am laufenden Band: Höhe, Raumdimensionen und Beleuchtung variieren von Saal zu Saal. Bemerkenswert zudem: Wer durch die neuen Räume flaniert, hat keinen Blickkontakt mit den historischen Ausstellungssälen – und umgekehrt. Somit beherbergt ein Gebäude gleichsam zwei Welten. Und dank des einfallsreichen Konzepts von KAAN Architecten macht der Rundgang das Beste beider Welten erfahrbar. Hinter den Kulissen wurde die Lagerung der nicht ausgestellten Kunstwerke optimiert: War die Sammlung früher über sieben Magazine verstreut, so besitzt das KMSKA jetzt ein zentrales Depot. Auf knapp 3700 Quadratmetern können hier die eingelagerten Gemälde zentral und sicher aufbewahrt werden.

Dass sie in Sachen Museumsbauten beschlagen sind, vor allem was den Umgang mit historischer Architektur angeht, haben die Architekten aus Rotterdam vielfach bewiesen. Das Büro, geleitet von Kees Kaan, Vincent Panhuysen und Dikkie Scipio, kann auf vergleichbare Projekte verweisen; dazu gehören die Renovierung des Thermenmuseums in Heerlen und des Barockschlosses Het Loo bei Apeldoorn (beides Niederlande). Mit der Metamorphose des KMSKA hat das Büro sein Meisterstück vollbracht. Dikkie Scipio verrät das Erfolgsrezept: »Die monumentale Architektur des Museums aus dem 19. Jahrhundert überrascht in ihrem Kern mit einer verborgenen neuen Architektur: bescheiden und kraftvoll zugleich. Diese Symbiose schafft ein spannendes und funktionales Ausstellungsumfeld.« Seit je entfalteten die Meisterwerke des Antwerpener Museums ihre Strahlkraft. Dank des neuen Ambientes wird diese Faszination noch gesteigert.