Dass Mäzene einem Museum finanziell unter die Arme greifen, damit es seine Sammlung ausbauen kann, ist nichts Neues. Ungewöhnlich, ja revolutionär dagegen die Strategie, die das KMSKA entwickelt hat, um sich Ensors »Carnaval de Binche« zu sichern. Gemeinsam mit der belgischen Kunstinvestment-Firma Rubey lädt das Museum ein, sich per »Art Security Token Offering« am Erwerb des Bildes zu beteiligen. Eine Premiere in der europäischen Museumslandschaft.
Schon mit einem Einstiegspreis von 150 Euro darf man sich als Ensor-Sammler fühlen. Voraussetzung: Man registriert sich auf der Rubey-Website und erwirbt einen virtuellen Anteil an dem Bild, das der berühmte belgische Symbolist 1924 schuf. Bis vor kurzem befand es sich in Privatbesitz. Doch bald schon wird es die weltweit größte Sammlung von Werken James Ensors ergänzen. Wenn das Museum, das seit 2011 wegen durchgreifender Renovierungsarbeiten geschlossen ist, seine Pforten am 24. September wieder öffnet, ist Ensors »Carnaval de Binche« das Sahnehäubchen des Neustarts.
Was hat es auf sich mit diesen »Art Security Tokens« (ASTs)? Definitiv ein erklärungsbedürftiger Begriff. Das gilt generell für digitale Eigentumszertifikate, von denen in jüngster Zeit auch am Kunstmarkt viel die Rede ist. Vor allem um die NFTs (Non-Fungible Tokens) ist ein regelrechter Hype entbrannt. Anders als die in der Finanzsphäre frei vagabundierenden, juristisch bisweilen in einer Schattenzone verorteten NFTs bewegen sich die ASTs in einem regulierten Markt. Wer auf diese Weise virtuelle Anteile an einem Kunstwerk kauft, genießt denselben gesetzlichen Schutz wie Investoren in Aktien, Anleihen oder andere Wertpapiere. Wichtig zudem der Sicherheitsaspekt: Kernelement der Rubey-Plattform ist eine automatisierte, dezentrale Datenbank, die in Echtzeit dokumentiert, wer wie viele ASTs besitzt und wer Anteile verkauft.
Der Tech-Entrepreneur Peter Hinssen prophezeit den Art Security Tokens eine große Zukunft: »Ich bin absolut überzeugt, dass das kein Hype ist, sondern der Beginn einer Revolution. Technologisch gesehen sind diese Security Tokens das Nonplusultra der aktuellen Blockchain-Umgebung.« Hinssen, Partner von Rubey, betont zudem die soziale Dimension dieses Crowdfunding-Modells: »Die Investition in Art Security Tokens ist eine echte Impact-Investition.«
Wie das? Die Ensor-Anteilseigner besitzen nicht nur finanzielle Rechte an dem tokenisierten Gemälde; darüber hinaus dürfen sie sich als Teil einer Community fühlen. Die genießt zum einen im Vorfeld der KMSKA-Wiedereröffnung das Privileg einer Preview von Ensors »Carnaval de Binche«; zum anderen werden sie in Zukunft über alles Wissenswerte rund um »ihr« Bild informiert. Und sollte es neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Werk geben oder das Gemälde für eine Sonderausstellung verliehen werden, erfahren die ASTs-Afficionados das, bevor die News publikgemacht werden.
Offenbar eine Win-Win-Situation, wie Jan Jambon, Ministerpräsident der Flämischen Regierung, unterstreicht: »Indem sie auf diese innovative Weise in ihre Sammlung investieren, schreiben das KMSKA und die Rubey-Plattform Geschichte. Sie machen Erbe aus Privatbesitz wieder öffentlich zugänglich … .«
James Ensor scheint für ein solches Pilotprojekt der ideale Kandidat zu sein. Der belgische Maler und Zeichner (1860–1949), der den Großteil seines Lebens in Ostende verbrachte, zählt zu den zentralen Vorläufern der Klassischen Moderne. Seine Mutter betrieb einen kleinen Laden mit Geschenkartikeln. Zum Sortiment zählten auch Karnevalsmasken – sie machten einen tiefen Eindruck auf den kleinen James Sidney, der als »Maler der Masken« in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Maskierten begegnet man auch im »Carnaval de Binche«: Ein Mummenschanz, ein phantastisches Stelldichein eleganter Damen, absurd anmutender Offiziere und anderer grotesker Kreaturen. »Die Maske«, erklärte der Künstler, »ist für mich: Frische des Tones, üppige Verzierung, große, unerwartete Taten, schrille Ausdrücke, herrliche Turbulenz«.
Turbulenz, im positiven Sinne, verheißt auch das Re-Opening des erweiterten Königlichen Museums für Schöne Künste in Antwerpen. Beheimatet in einem prächtigen, 1890 eröffneten Gebäude am Leopold De Waelplaats, bietet das größte Kunstmuseum Flanderns eine herausragende Sammlung. Ihr Spektrum reicht von den »Vlaamse Primitieven« – Jan van Eyck etwa, Rogier van der Weyden oder Dirk Bouts – über bedeutende Maler des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert zu Künstler*innen wie Rik Wouters, Constant Permeke und René Magritte. James Ensor jedoch ist der unumstrittene Star im KMSKA.
Links
Mehr zum Königlichen Museum für Schöne Künste in Antwerpen (KMSKA):
Die Rubey-Plattform findet sich hier: