Durch Kultur Gemeinschaft stiften. Mit diesem Gedanken war Europalia an den Start gegangen – in Brüssel vor mehr als 50 Jahren. Seither hatte das internationale Kunstfestival in der Regel alle zwei Jahre ein anderes Land in den Fokus gerückt. Zuletzt waren etwa China, Brasilien und Indien, die Türkei, Indonesien und Rumänien zu Gast. 2021 nun weicht Europalia von der üblichen Schiene ab und schickt statt einer fremden Nation ein höchst verbindendes Verkehrsmittel ins Rennen. Unter dem Motto »Trains & Tracks« dreht sich diesmal vier Monate lang alles um die Eisenbahn. Wie gewöhnlich werden dabei Künstler*innen aller Sparten aktiv. Auf dem Fahrplan des Festivals stehen über 70 verschiedene Projekte, die in Museen und anderen Kulturinstitutionen Halt machen, vor allem aber Bahnhöfe und Züge in Belgien und den Nachbarländern als Bühnen nutzen.
Da kann man etwa Blicke werfen in die Waggons und die Geschichte des legendären Orient Express. Es gibt Tanzperformances am Brüsseler Bahnhof und Überraschungskonzerte für Reisende zwischen Brüssel und Mechelen. Entlang der Strecke Oostende – Eupen werden sieben eigens für diesen Anlass entstandene Kunstwerke installiert. Im zentralen Ausbesserungswerk der belgischen Bahngesellschaft kommt die »Fuge an die Lokomotive« zur Aufführung. An den Bahnhöfen Antwerpen, Brüssel Central und London St Pancras wollen Komponisten aus einer Glasbox heraus das Geschehen beobachten, jeden Tag eine kleine Oper komponieren und sie während der Rushhour aufführen.
Anlass für all den Wirbel rund um den Zug bietet 2021 nicht zuletzt eine Reihe von Jubiläen: Der Thalys feiert seinen 25., der ICE den 30., der TGV seinen 40. Geburtstag. Die erste Bahnverbindung zwischen zwei europäischen Hauptstädten, Paris und Brüssel, wurde gerade 175 Jahre alt. Außerdem hat die Europäische Kommission 2021 das »Europäische Jahr der Schiene« ausgerufen.
Zurück in die Geschichte der Eisenbahn schaut als ein zentraler Punkt im Festival-Programm die Ausstellung »Tracks to Modernity« im Königlichen Museum für Schöne Künste in Brüssel: Am Anfang stehen Dampfwolken, die Bewegung der Züge, das wechselnde Licht des Bahnhofs und seiner Umgebung. Das waren Motive, die besonders die Impressionisten interessierten, allen voran Claude Monet. Die Eisenbahn als Vehikel der modernen Gesellschaft – ihrer Gewalt und Geschwindigkeit – faszinierte dann die Futuristen wie Severini, Carrà oder Baldessari.
Damals war der Zug das ultimative Symbol der Moderne, ein wichtiges Werkzeug der industriellen Revolution. Es transportierte die kühnsten Träume von Wohlstand und Fortschritt. Auch heute scheint er wieder zukunftsweisend – als Alternative zum Flugzeug und als eines der grünsten Verkehrsmittel.