Kaiser Maximilian suchte sein Atelier auf, um seine Gemälde zu bestaunen, Albrecht Dürer nannte ihn einen »großen Meister«, und selbst Leonardo da Vinci wurde von seinen Bildern beeinflusst: Hugo van der Goes ist der Star unter den niederländischen Künstlern der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Nun widmet ihm Musea Brugge im Sint-Janshospitaal eine Ausstellung.
Das Zentrum der Präsentation »Den Tod vor Augen. Hugo van der Goes: Alter Meister, neue Blicke« markiert »Der Tod Mariä«. Vermutlich war das undatierte Gemälde des Meisters (um 1440-1482) zwischen 1472 und 1480 im Auftrag von Jan Crabbe entstanden, dem Abt des westflandrischen Zisterzienserklosters Ten Duinen in Koksijde. Die ergreifende Sterbeszene – die trauernden Apostel umringen die tote Maria, darüber Christus, der seine Mutter im Himmel empfängt – zählt zu den Glanzstücken in der Sammlung der sogenannten Flämischen Primitiven der Brügger Museen. Von 2018 bis 2022 erhielt das Gemälde eine Verjüngungskur – die umfangreichste Restaurierung seit 1865. Jetzt kommen die originalen leuchtenden Farbtöne wieder zur Geltung.

Im Sint-Janshospitaal führt das Bild von Hugo van der Goes einen Dialog mit mehr als 70 weiteren Exponaten – darunter Gemälde von Albrecht Bouts, Hans Memling und Jan Provoost, aber auch Skulpturen, Manuskripte und Musikstücke. Außerdem stellen die Kurator*innen dem Virtuosen der altniederländischen Malerei fünf »neue Meister« an die Seite. Sie kommen von unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen und wollen ihre persönliche Sicht auf den ikonischen Marientod einbringen. Zeitgenössischen Beistand erhält Hugo van der Goes vom niederländischen Autor Ilja Leonard Pfeijffer, der iranisch-niederländischen Schriftstellerin Sholeh Rezazadeh, dem Amsterdamer Theater- und Opernregisseur Ivo van Hove, der belgischen Bildhauerin Berlinde De Bruyckere sowie der belgischen Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker. Leitmotive wie »Abschied«, »Sinngebung« oder »Spiritualität« geben der Präsentation im Sint-Janshospitaal ein inhaltliches Gerüst.

Was fasziniert bis heute an diesem Bild, das in der Übergangsperiode zwischen Spätmittelalter und beginnender Neuzeit entstand? Neben der harmonischen Farbigkeit und dem subtilen Faltenwurf der Gewänder beeindruckt vor allem die innere und äußere Belebung der Figuren, die Hugo van der Goes als Individuen dargestellt hat. Jeder Kopf gleicht einer Porträtstudie, keine der sprechenden Gesten wiederholt sich, jeder der zwölf Apostel trauert auf seine eigene Weise. Wobei es sich stets um eine stille Trauer handelt – Pathos und Theatralik waren dem Künstler fremd. Die Anwendung der Zentralperspektive im Bild war um 1480 nördlich der Alpen noch eine revolutionäre Neuheit; das in kühner Verkürzung wiedergegebene Bett wurde oftmals nachgeahmt.
Auch als Mönch malte er weiter
Obwohl Hugo van der Goes schon zu Lebzeiten berühmt war, wissen wir nicht allzu viel über sein Leben. Geboren wurde er um 1440 vermutlich in Gent. Erstmals aktenkundig wird er am 4. Mai 1467 als Meister der dortigen »Malergilde Lucas«; 1474 bis 1476 war er deren Vorsteher. Zusammen mit anderen Künstlern berief man ihn 1468 nach Brügge, um für die Hochzeitsfeierlichkeiten Karls des Kühnen mit Margareta von York das passende künstlerische Dekorum zu schaffen. 1475 trat er als Augustinerbruder in das Roode Clooster bei Brüssel ein – ob der Weg ins Kloster als Therapie gegen eine depressive Erkrankung gedacht war, wie man immer wieder lesen kann, lässt sich nicht beweisen. Jedenfalls legte er auch als Mönch den Pinsel nicht aus der Hand.
Prominente Sammler, an ihrer Spitze Kaiser Maximilian, machten dem Künstler im Kloster ihre Aufwartung. Auch in Italien, dem Mutterland der Künste und Ursprungsort der Renaissance, genoss die Malerei von Hugo van der Goes hohe Wertschätzung: Tommaso Portinari, Vertreter des Medici-Bankhauses in Brügge, gab 1475 bei ihm ein Altarbild in Auftrag, das für die Florentiner Kirche S. Egidio bestimmt war. Dort sah Leonardo da Vinci den Portinari-Altar (heute in den Uffizien) und ließ sich von dem Triptychon mit der Anbetung des Jesuskindes inspirieren. Die beiden monumentalen Berliner Tafelbilder des Künstlers, der Monforte-Altar (um 1470) und die Geburt Christi (um 1480), sind in den vergangenen Jahren restauriert worden und stehen im kommenden Jahr im Zentrum einer Ausstellung in der Gemäldegalerie Berlin (»Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit«, 31. März bis 16. Juli 2023). Zuvor jedoch bietet die Ausstellung in Brügge eine wunderbare Gelegenheit, dem außerordentlichen Künstler näher zu kommen. Dabei ist die Schau im Sint-Janshospitaal aus zweierlei Gründen ein Muss: Sie zeugt von der Kunst der Malerei, und sie veranschaulicht die Kunst des Sterbens.
Informationen zur Ausstellung gibt es hier.