So viel stand fest: Die flämische Barockmalerei brauchte ein eigenes Domizil. Das war das Ziel, als unter französischer Herrschaft am 9. September 1798 in Gent das »Musée du Département de l’Escaut« gegründet wurde. Vier Jahre später, 1802, öffnete das heutige MSK seine Pforten für das Publikum. Damit ist es Belgiens ältestes öffentliches Museum. Und nicht nur das: Das Museum der Schönen Künste in Gent zählt europaweit zu den Vorreitern jener Form des Museums, die uns heute so vertraut ist – im Zuge der Aufklärung waren seit der Mitte des 18. Jahrhundert die ersten Schatzhäuser der Kunst und Kultur entstanden, die nicht mehr bloß einer Elite, sondern potenziell jedermann zugänglich waren. Eine frühe Form von Diversity.
Gemeinsam mit dem British Museum in London (das 1759 eröffnet wurde), dem Fridericianum in Kassel (ab 1779) und dem Pariser Louvre (ab 1793) darf das MSK Gent in der europäischen Museumslandschaft also einen Pionierstatus für sich in Anspruch nehmen.

Das zweite wichtigste Datum in der Museumsgeschichte ist das Jahr 1897. Damals gründeten zwei Genter Bürger, der Maler und Sammler Fernand Scribe und der Kunsthistoriker Georges Hulin de Loo, die Gesellschaft der Freunde des Museums von Gent. Ein Kreis von Enthusiasten, der bis heute Bestand hat und derzeit rund 850 Mitglieder zählt. Den Bestand des Museums durch Spitzenwerke zu erweitern, war das Ziel der beiden kunstbegeisterten Lokalpatrioten. Als Scribe 1913 starb, ging seine hervorragende Sammlung als Schenkung an das Museum. Auf einen Schlag konnte das MSK rund 220 Gemälde, Arbeiten auf Papier und Skulpturen hinzugewinnen. Scribes Erbschaft umfasste malerische Hochkaräter von Pieter Bruegel dem Älteren, Jacopo Tintoretto, Jacob Jordaens oder Jean-Baptiste Camille Corot.
Heute besitzt das Museum rund 20.000 Objekte. Das zeitliche Spektrum reicht vom Mittelalter bis zur Gegenwart, doch bildet die belgische Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts einen Sammlungsschwerpunkt. 1904 fand die Kollektion eine neue Heimat in einem Gebäude am Rande des Zitadellenparks. Entworfen hat den prächtigen historistischen Kunsttempel der Architekt Charles Van Rysselberghe – ein Bruder von Théo van Rysselberghe, dem wohl bedeutendsten flämischen Maler des Pointillismus. Als Beitrag zur Weltausstellung, die 1913 in Gent stattfand, erweiterte man das Museumsgebäude. Derzeit werden dort rund 600 Arbeiten präsentiert. Die Dauerschausammlung umfasst Werke von Rogier Van der Weyden, Hieronymus Bosch, Anthonis Van Dyck, Theodore Rombouts, James Ensor, Auguste Rodin und René Magritte.

Unter dem Motto »Collectie naar buiten« (»Die Sammlung nach außen tragen«) verlässt das MSK die schützende, aber auch isolierende Hülle des Museums und wirbt mit verschiedenen Aktionen um Besucher. Was die Wechselausstellungen zum 225. Geburtstag angeht, so gibt es eine Hommage an den Genter Maler Albert Baertsoen (1866-1922): Besonders gerühmt wird der Impressionist für seine Flusslandschaften – sein Hausboot war zugleich Freilichtatelier. Vom 22. Januar bis 23. April 2023 würdigt eine große Retrospektive den Antwerpener Maler Theodoor Rombouts (1597-1637). Er gehörte zu den flämischen Caravaggisten, Künstlern, die auf den Spuren des römischen Barockgenies Caravaggio wandelten. Dessen packend wirklichkeitsnahe Hell-Dunkel-Malerei konnte Rombouts während seines neunjährigen Rom-Aufenthalts (1616-1625) eingehend studieren. Zurück in Antwerpen, trat der Meister der dortigen Lukasgilde vor allem mit Genreszenen hervor, aber auch mit religiösen und mythologischen Bildern, die zwar von Caravaggio inspiriert sind, aber eine individuelle Handschrift verraten. Seine »Allegorie der Fünf Sinne«, die 1860 für das Museum angekauft wurde, gehört zu den Highlights der Rombouts-Ausstellung im MSK Gent. Schmecken, riechen, sehen, hören und fühlen – dem Künstler gelang es, diese abstrakten Begriffe mit prallem, wahrlich sinnlichem Leben zu füllen.
Website des MSK Gent