Alle reden 2020 über Jan van Eyck und seinen »Genter Altar«. Doch ist er nicht der einzige bedeutende Maler, der damals in den blühenden Städten Flanderns wirkte und wegweisende Werke schuf. Das 15. Jahrhundert hat dort eine ganze Reihe wichtiger Kollegen hervorgebracht, die in ihrer Kunst neue Wege gingen. Auch Dieric Bouts ist einer jener »flämischen Primitiven«, wie die Kunstgeschichte sie nennt. Und während Gent jetzt van Eycks Altar in der Sankt Bavo-Kathedrale feiert, richten sich in Leuven alle Augen auf den etwas jüngeren Bouts und die ganz frisch renovierte Sint Pieterskerk – ein Glanzstück der Brabanter Gotik am Grote Markt.
In herrlich lichten Gewölben

Wie schön, dass man Bouts’ »Abendmahl« noch heute in den herrlich lichten Gewölben der Kirche bewundern kann, für die es zwischen 1464 und 1468 geschaffen wurde. Auch ein zweites markantes Werk des Meisters, das »Martyrium des heiligen Erasmus«, ist seit mehr als 500 Jahren an Ort und Stelle in Sint Pieter.
Ganz neu ist nun aber das vom Museum M gestaltete Drumherum: Eine »Mixed Reality« Tour macht Bouts’ Bilder und ein Dutzend weiterer ausgewählter Ausstattungsstücke lebendig. Dabei verharrt der Blick nicht im Kirchenraum, sondern weitet sich virtuell in die Stadt hinaus. Das Gotteshaus und seine Kunstschätze werden eingebettet in die Geschichte Leuvens.
Das letzte Abendmahl – Bouts Hauptwerk in Leuven

Bouts war der Stadt auf besondere Weise verbunden. Um 1410 in Haarlem geboren, kam er wohl schon als jüngerer Mann hierher, heiratete eine Tochter aus vermögendem Hause und machte Karriere als Stadtmaler. Viel mehr weiß man nicht über Bouts, nur dass er 1475 in Leuven starb. Zwar finden sich heute die meisten seiner Bilder in großen internationalen Museen. Doch mit dem »letzten Abendmahl« ist Leuven ein Hauptwerk geblieben, das in mancher Hinsicht neue Maßstäbe setzte.
Das Format seines »Abendmahls« muss im 15. Jahrhundert noch mehr Eindruck gemacht haben als heute: 1,80 mal 2,90 Meter – nie zuvor ist ein Maler das Thema in solchen Dimensionen angegangen. Mitten in einem perspektivisch klar komponierten Innenraum, wie man ihn damals kaum kannte, erscheint Christus. Am Tisch sitzt er, umgeben von seinen Jüngern, und bricht das Brot. Ein bekanntes Thema. Ziemlich ungewöhnlich ist allerdings der Schauplatz. Dieric Bouts versetzt das Geschehen in ein Interieur des 15. Jahrhunderts. Der Maler holt die biblische Geschichte in seine eigene Zeit – lokalisiert sie, wie es in Leuven heißt, »zwischen Himmel und Erde«.
Sogar die Aussicht stimmt

Die Einrichtung, der Hausrat, alles passt. Sogar die Aussicht stimmt: Hinter der Abendmahl-Szene schaut man durch eine geöffnete Tür in einen kleinen gotischen Garten, und die Fenster an der Seite blicken auf den Marktplatz von Leuven. Sogar einer der im Bau befindlichen Rathaustürme ist zu erkennen. Spannend wird es dann noch einmal auf den Seitentafeln des Altars, wo Bouts alttestamentarische Geschichten in landschaftliches Ambiente bettet. Sehr früh schon beschäftigte der Maler sich intensiv mit der Landschaftsdarstellung und entwickelte ganz eigene Lösungen.
Henker voller Mitleid

Gut zu beobachten ist das auch mit Blick auf Bouts’ »Martyrium des heiligen Erasmus«, sein zweites Meisterwerk in der Sint Pieterskerk. Hinter der grausigen Szene mit zwei mitleidsvoll dreinblickenden Henkern, die dem Heiligen per Kurbel die Gedärme aus dem Leib ziehen, gestaltet der Maler eine liebliche Landschaft mit hellgrünen Hügeln, Felsen und gewundenen Wegen. Wie keinem anderen seiner flämischen Zeitgenossen gelang es Bouts hier und immer wieder, seine raffinierten Szenerien glaubhaft in die dunstige Tiefe zu führen.
Wer dieses Jahr also auf Jan van Eycks Spuren nach Gent und Brügge reist, der sollte Dieric Bouts in Leuven nicht links liegen lassen.
Sint Pieterskerk, Leuven