Er hat Warzen im Gesicht, seine Augenlider hängen, und Blutgefäße zeichnen sich auf dem kahlen Schädel ab. So unvorteilhaft sieht man Joos Vijd links unten auf der Außenseite des Genter Altars knien. Kein schöner, dafür aber ein reicher und wohl auch recht kunstverständiger Mann. Außerdem einer, dem Renommee und Seelenheil am Herzen lagen. Sonst hätte Joos Vijd dieses Riesenwerk um 1420 wohl kaum in Auftrag gegeben und dafür die besten Meister ihrer Zunft engagiert: Hubert und Jan van Eyck. In der Genter Sankt-Bavo-Kathedrale wird ihr Altar jetzt neu zu erleben sein – frisch restauriert, in einer maßgeschneiderten Vitrine in der Sakramentskapelle und mithilfe diverser digitaler Zugaben aufwändig in Szene gesetzt. Hinzu kommt ab 25. März ein neues Besucherzentrum.
Ein Meisterwerk, das Maßstäbe setzt, hatte Joos Vijd für diesen Ort stiften wollen: den größten Flügelaltar in ganz Flandern. Die Brüder van Eyck dürften seine Erwartungen noch übertroffen haben. Ihr 1432 vollendeter Genter Altar hat die Malerei revolutioniert. Nicht zuletzt mit jenem unverschämten Realismus, der selbst vor dem reichen Stifter und seinen Warzen keine Gnade kennt. Schon die Zeitgenossen waren fasziniert von jener Lebensnähe, auch von der Farbigkeit und Brillanz – so sehr, dass es vor dem Werk regelmäßig Gedränge gab.
Wie die Drängler*innen des 15. Jahrhunderts werden die Betrachter*innen von heute das Werk sehen, denn ein großes Restauratoren*innen-Team hat seine zwölf Tafeln in jahrelanger Kleinstarbeit gereinigt, von dicken Übermalungen und reichlich gelbem Firnis befreit. So können die Farben nun strahlen wie einst, und all die alten Feinheiten kommen wieder zum Vorschein. Etwa beim Lamm Gottes, das nicht länger als müdes Schaf, sondern wach und mit beinahe menschlichen Augen aus dem Bild herausschaut.
Bevor man in Gent jedoch das Original bestaunen darf, wird einem allerhand Background geboten. In der umgebauten Krypta startet der Rundgang mit einem persönlichen virtuellen Assistenten: Von Kapelle zu Kapelle tastet man sich vor mit dem Tablet in der Hand und/oder der Augmented-Reality-Brille vor Augen. Das visuelle Drunter und Drüber soll uns in die Geschichte der Kathedrale und ihrer Kunst eintaucht lassen. Und es will vorbereiten auf das große Finale vor dem Altar: Auch ohne digitale Beigaben gewiss ein Ereignis – wie vor 600 Jahren.