// Nein, geht nicht. Ein Ding der Unmöglichkeit. Ein Unding. Nach 77 Proben gab die Wiener Staatsoper im März 1864 endgültig den Versuch auf, dieses Stück einzustudieren. Verrückt, völlig verrückt, der Kerl, dem das eingefallen war. Das kann keiner singen, keiner inszenieren, keiner aus- und durchhalten: vier Stunden philharmonisches Delirium, ein tönendes Opiat ohne griffige Handlung. »Der ›Tristan‹ ist und bleibt mir ein Wunder!«, befand Richard Wagner, der Giftmischer, post festum: »Wie ich so etwas habe machen können, wird mir immer unbegreiflicher.«
David Pountney, 61, der die Oper in Köln (Premiere: 22. März) inszeniert, zögert einen Augenblick. Natürlich weiß er, dass das Werk die Regeln des Musiktheaters sprengt, eine »philosophische Oper und jenseits jeder Konvention« ist. Sicher habe auch er eine »gewisse Scheu vor so einem Schlüsselwerk«: Aber »mit Angst kommt man nicht weiter. Die muss man überwinden, bevor man anfängt.«
Gerade dieses narkotische Hohelied der chromatischen Räusche zwingt die Macher auf der Bühne zu klarer, distanzierter Arbeit. Unsere Kultur bewahre eine »große Ehrfurcht vor der Musik, weil sie für den Laien ein unbenennba-res Mysterium« darstelle, sagt Pountney. Doch »wenn man täglich mit Musik arbeitet, wird sie ganz einfach zum Handwerkszeug, mit dem man umgehen können muss wie mit einer Drehbank oder einem Meißel«.
Schon einmal war der englische Regisseur in Köln für Wagner abgestiegen, »Rienzi«, vor Jahren, als noch Michael Hampe im Schatten des Doms regierte. Aber das Projekt zerschlug sich, und Pountney holte das Versäumte 1997 an der Wiener Staatsoper nach, übrigens grandios. Nun glaube er, »richtig zu liegen mit unserem Konzept«.
Dass ihm Verdi näher stehe als Wagner, meint er, sei »optische Täuschung«. Immerhin hat er schon dreimal den »Holländer« inszeniert, dann die »Meistersinger« und zumindest die »Walküre«. Wieso den »Ring« nur als Bruchstück? Zweimal habe er die Nibelungen-Story komplett durchkonzipiert, und beide Male hat sich die Realisierung zerschlagen. Klar, würde er den »Ring« gern komplett machen, »aber, ehrlich gesagt, mich fragt keiner«. Mit dem »Tristan«, räumt Pountney ein, habe er ernsthaft noch nicht zu tun gehabt. Er erinnert an Kopenhagen, wo sich Katastrophen gehäuft hätten. Es wäre dann eine Aufführung geworden, »würdig der miserablen Diva Florence Foster Jenkins«, also eine Farce, ein Desaster.
So ist der Kölner »Tristan« denn auch Pountneys Versuch einer Wiedergutmachung an Wagners großer Nachtmusik und ein Schwerpunkt in seiner jüngeren künstlerischen Biografie. Zugleich aber auch nur ein Titel mehr im Termin-Geschäft des Workaholic. Zum Jahreswechsel war er für »Carmen« am Moskauer Bolschoi-Theater. Demnächst stehen in Tel Aviv Janáceks »Schlaues Füchslein«, in Wien »Jenufa« und danach im britischen Leeds Schostakowitschs Musikkomödie »Cheryomushki« an, die er (neben »Król Roger« von Karol Szymanowski) im Sommer zudem im Bregenzer Festspielhaus inszeniert, nicht ohne vorher noch in Zürich Händels Barock-Drama »Agrippina« auf die Bühne zu bringen. Der Mann hat den Kopf voll Oper.
»Jeder Operngänger kennt das Problem des ›Tristan‹«, sagt Pountney: »wenig äußeres, äußerliches Geschehen, stattdessen endlos innere Handlung, tiefste, todernste Reflexion«. Er glaubt, mit seinem Bühnenbildner Robert Israel »eine schöne und überzeugende Lösung« gefunden zu haben. Der erste Akt, »immerhin noch eine vergleichsweise runde Geschichte mit logischem Geschehnissen«, stelle eine »klare Beziehung zur Realität« dar. In Köln wird es sogar ein Meer und Schiff geben. Der zweite Akt wiederum, der Dialog der Gefühle und der Sinnlichkeit, spiele deshalb in einer »ideellen Landschaft, wie man sie wohl malen würde, wenn man den seelischen Zustand einer stürmischen Liebesbeziehung darstellen wollte«. Den letzten Aufzug wolle man »sehr reduziert, spartanisch, abstrahiert« gestalten: Das Drama endet als »faszinierende Reise ins Nichts«.
Eine kleine, intime Bühne, ein privates Kammerspiel mit vertrauter Hautnähe, Aug in Aug – das sind gemeinhin nicht die Proportionen und Dimensionen, für die David Pountney in der internationalen Theaterwelt gerade steht. Nein, der Regisseur neigt zum XXL, ist liebend gern der Mann fürs Große. David goes Goliath. In Bregenz, der Festspielstadt am österreichischen Bodensee, verfügt er seit 2003 als Intendant mit 1.600 Mitarbeitern und 25 Millionen Euro Jahresetat über Europas größten Wasserspielplatz. Die Seebühne mit ihren 6.800 Sitzplätzen wird bei allen Vorstellungen von Tauchern gesichert, die sofort springen, wenn ein Künstler programmwidrig wassert. Dort gibt es Oper en gros, Musiktheater nach Pountneys Geschmack. Unter freiem Abendhimmel bietet er »schieren Augenschmaus«. Er mache halt noch richtige Festspiele und nicht diese beliebigen, austauschbaren Veranstaltungen, die sich nur so nennen, teilt er aus. Jede Oper sei auch Spektakel und brauche gegebenenfalls einen »richtigen Knalleffekt«. Inszeniert hat Pountney in Bregenz erstmals 1989 – mit dem »Holländer« gelang ihm auf Anhieb ein Hingucker. Seine Senta musste sich, übrigens librettogetreu, mit einem akrobatischen Sprung in die Fluten stürzen. Mit solchem Speck fängt Pountney Massen.
Sein zweiter Bregenz-Schlager, »Nabucco«, wurde ebenfalls zum Selbstläufer. Die Leute strömten zu Lande, zu Wasser und durch die Luft zum babylonischen Entertainment. Pountney, der Zampano, findet zwischen Oper und Tourismus eine kolossale Schnittmenge.
Endgültig inthronisierte er sich dann 1995 in Vorarlberg mit Beethovens »Fidelio«, für den man eine 36 Meter hohe, löffelartig gewölbte Metallwand als hydraulisches Kunststück empor hievte. Backstage sah das Monstrum mit Zahnkränzen, Kränen, Hebebühnen und Schaufelbaggern aus, als führe der TÜV Regie. Pountney spielte Cinemascoper. Er hat es halt gern ein wenig kitzlig, mag Experimente und das Risiko. So gelang ihm 2006 bei der RuhrTriennale mit Bernd Alois Zimmermann »Soldaten« gewissermaßen ein Jahrhundert(hallen)-Coup.
Noch so ein Unding, an das sich kaum einer rantraut. »Die Soldaten« galten jahrelang nach der Fertigstellung 1960 als unaufführbar. Das Werk fand dann zwar, nach diversen Kürzungen und Erweiterungen durch den Komponisten, 1965 doch noch in der Kölner Oper (!) eine würdige (wiewohl umstrittene) Weltpremiere und blieb bis heute gefürchteter Ballaststoff im traditionshörigen Repertoirebetrieb. Pountney installierte den Vierakter in dem industriesakralen Raum und machte die Zuschauer zu Voyeuren, die in unbarmherzigem Zeitlupentempo an den Tatorten einer geil enthemmten Soldateska vorbeigerollt wurden. Wahrlich ein Abend quälender Suggestion.
Möge das für den »Tristan« ein gutes Omen sein. »Kind!«, schrieb Richard Wagner 1859 an Mathilde Wesendonck, »ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodiert wird. Nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen.« Wir wollen uns gern verrückt machen lassen. //
Premiere: 22. März 2009, weitere Termine: 27. März sowie im April und Mai; www.buehnenkoeln.de