Die Musiker*innen des Detmolder Labels „Audite“ sind auch auf den Bühnen in NRW zu erleben – ein kleiner Ausblick.
»Audite« sorgt für große Ohren: Nicht nur mit Produktionen des gängigen Repertoires à la Beethoven. Immer wieder überrascht es mit Wundertüten wie der Debüt-CD »Origin« des Bläserquintetts ARUNDOSquintett. Werke für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott sind die Domäne des Ensembles, das seit 2020 vom Land NRW gefördert wird.
Zu hören gibt es ihre Kompositionen auch live – am 12. April in der Paterskirche Kempen und am 14. April in der Trinitatiskirche Bonn. Da stehen Arrangements von Bach und Debussy, aber auch fünfstimmige Klassiker etwa von Mozart auf dem Programm. Hinzu kommen nicht nur die »Sept Desserts rythmiques« des Düsseldorfers Thomas Blomenkamp. In Kempen wird sein Werk »Tetra« uraufgeführt, bei dem sich ein Klavier hinzugesellt.
In völlig andere Bläserklangwelten entführt das Programm »Vitraux« von »Audite«-Posaunist Hansjörg Fink und seinem Duo-Partner Elmar Lehnen an der Orgel. Dahinter verbergen sich 13 selbstgeschriebene Stücke, die auf 13 Glaskunstwerke von Jean-Marie Piro zurückgehen. Zu sehen sind sie in der Kirche Notre-Dame des Neiges im französischen Alpe d’Huez mit Szenen aus dem Markus-Evangelium. Fink & Lehnen wollen die Farbenpracht der 13 Fenster mit ihrer Musik einfangen. Dabei verbinden sie Elemente der Moderne und des Jazz mit traditioneller Stilistik, Improvisation mit auskomponierter Musik und loten am 5. April in St. Anna in Mönchengladbach und am 14. April in der Liebfrauenkirche in Bad Salzuflen die Grenzen des instrumental Machbaren aus.
Die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zeigt die bahnbrechenden Designs zu Alben von Pink Floyd, Led Zeppelin und vielen anderen.
Ein Konzeptalbum über Wahnsinn und Gewalt. Popmusik, die sich mit dem Diktat von Zeit und Geld, auch mit dem Krieg beschäftigt. Das Cover des vor 50 Jahren erschienenen Albums »The Dark Side of the Moon» von Pink Floyd ist ebenso berühmt wie die Musik. Ein weißer Lichtstrahl trifft auf ein Prisma und fächert sich auf in die Spektralfarben von violett bis rot, die Farben, die für das menschliche Auge sichtbar sind. Abstrakte Kunst auf einem Plattencover, das eigentlich der Werbung dienen soll. Nun hängt es im Eingangsraum der Ausstellung »Hipgnosis Breathe».
Aubrey Powell und Storm Thorgerson haben Ende der sechziger Jahre das Designstudio Hipgnosis gegründet. Ihre Wohngemeinschaft war ein Treffpunkt der Londoner Musikszene. Der vor elf Jahren verstorbene Thorgerson war mit den Mitgliedern der Band Pink Floyd seit seiner Schulzeit befreundet. Der Name Hipgnosis soll sich auf ein Graffito beziehen, dass Pink-Floyd-Sänger Syd Barrett auf die Wohnungstür der WG gemalt hat. Es verbindet die Begriffe hip und gnosis, das altgriechische Wort für »Wissen». Und natürlich schwingt auch die Hypnose mit.
Aubrey Powell, der die Schau zusammen mit John Colton von der Berliner Browse Gallery kuratiert hat, erzählt: »Die Arbeit an so einem Cover hat bis zu sechs Wochen gedauert. Wir konnten uns intensiv mit der Bildkomposition, den Farben und dem Charakter des Bildes auseinandersetzen.» So etwas sei heute nicht mehr möglich. »Da fehlt einfach die Zeit zum Nachdenken und zur Kontemplation.»
Eines der spektakulärsten Plattencover in der Ausstellung stammt vom Album »Wish you were here». Ein Händedruck zwischen zwei Männern, einer von ihnen brennt. Anscheinend schließen sie gerade einen Vertrag. Pink Floyd hat das als bittere Kritik an der Plattenindustrie gedeutet. »Die Bilder sollen neugierig machen» sagt Aubrey Powell, »welche Geschichten sich dahinter verbergen.» Vorher waren einfach Fotos der Bands auf dem Cover, nun fehlte manchmal sogar der Name.
Eine digitale Nachbearbeitung gab es noch nicht. Es gehört zur Aura dieser Fotografien, dass sie nicht leicht herzustellen waren. Für die Band 10cc hat Hipgnosis ein Schaf auf eine Chaiselongue vor den Wellen des Pazifischen Ozeans gesetzt. Und es war wirklich ein echtes Schaf, das allerdings mit Medikamenten ruhiggestellt werden musste, weil es vor den Wellen Angst bekam.
Manchmal wussten die Designer selbst nicht, was die von ihnen vorgeschlagen Motive bedeuteten. Für »Presence» von Led Zeppelin – laut Fachmagazin »Rolling Stone» eines der meistunterschätzten Alben aller Zeiten – entwarf Aubrey Powell einen rätselhaften schwarzen Obelisken. Er steht ganz selbstverständlich auf einem Tisch, um ihn herum sitzt eine bürgerlich-spießig gekleidete Familie mit Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Viele der ausgestellten Plattencover haben klare Bezüge zum Surrealismus, zu Werken von René Magritte oder Salvador Dalí. Aubrey Powell erfüllt es mit Stolz, dass die Werke von Hipgnosis nun im Museum angekommen sind. »Sie werden als Kunst präsentiert», sagt der 77-Jährige, »nicht als kommerzielles Produkt».
Die Bilder sind Ausdruck von Verstörung und Verzweiflung, vom Mut, sich mit den dunklen Seiten des Lebens auseinanderzusetzen. Natürlich wirken sie besonders intensiv, wenn das Publikum dazu die Platten hört. Das ist möglich, die Ludwiggalerie bietet einen Music Walk mit Kopfhörern an.
Teil des Bachfestes: Calefax. Foto: Sarah Wijzenbeek
Das Bachfest macht Station in Münster. Unter dem Motto »Bach inspiriert« schlagen illustre Gäste wie Dirigent Ton Koopman den Bogen vom Orgel- und Kantatenkomponisten bis zur zeitgenössischen Bach-Hommage.
Was muss das für ein wärmendes Erlebnis für die Seele und die Sinne gewesen sein. Als vor 300 Jahren die Gemeinde im lausigen Kirchenraum der Weimarer Hofkapelle saß – und man plötzlich herrlichste Musik vernahm. Von ganz oben! Aus einem viele Meter großen Schall-Loch, das man aus der Decke geschnitten hatte, schwebten da innigste Kantatengesänge oder strahlendste Orgelklänge nach unten. Musik – wie von Gott gesandt. Angesichts dieser Raumklangwirkungen wurde die Kapelle auch als »Himmelsburg« bezeichnet. Auf ihr wirkte Johann Sebastian Bach zwischen 1708 und 1717 als Organist und Dirigent. 1774 sollte sie bei einem Schlossbrand zerstört werden. Doch dank historischer Bauzeichnungen und modernster Virtual-Reality-Technik wurde sie so rekonstruiert, dass man mit VR-Brille und Kopfhörern durch die ehemalige Wirkungsstätte Bachs gehen und die dort entstandene Musik hören kann. Diese Zeitreise macht jetzt ein umfunktionierter Überseecontainer möglich. Er steht ab 17. Mai auf dem Münsteraner Lambertikirchplatz und ist damit das allererste Highlight des Bachfests, das in diesem Jahr in der westfälischen Metropole stattfindet.
Zehn Tage lang heißt es »Bach inspiriert«. Quer durch das Stadtgebiet erklingen in Kirchen, im schmucken Erbdrostenhof, aber auch im Theater sowie im Dom zumeist geistliche und weltliche Werke jenes Barockkomponisten, den Kollege Max Reger einmal ehrfürchtig als »Anfang und Ende aller Musik« bezeichnet hat.
Zum 98. Mal findet das von der Neuen Bachgesellschaft mitausgerichtete Fest statt. Bereits im Vorfeld gibt es unter dem Titel »Basso continuo« einen umfangreichen Klangparcours. In rund 60 Konzerten bespielen regionale Chöre und Ensembles das Münsterland. So kommt etwa Bachs »Matthäus-Passion« in Greven in einer selten zu erlebenden, romantischen Orchestrierung zur Aufführung. Auch beim Bachfest widmet man sich von der intimen Kammermusik bis zum großen Chorwerk dem Namenspatron. Doch ein Fokus liegt auf dem Komponisten als unerschöpflicher Inspirationsquell. So hat Stefan Heucke als »Composer in Residence« nicht nur eine neue »Markuspassion« komponiert, sondern für sein Oratorium »Pfingstfeuer« auf Bach-Werke zurückgegriffen. In bester Jacques-»Play Bach«-Loussier-Tradition wird Bach im »Hot Jazz Club« mit Blue Notes koloriert. Beim Projekt »Bach reLoaded« treffen Urban Dancers auf einen DJ.
Bach nicht nur jenseits der stilistischen, sondern auch der geographischen Grenzen bildet dank des Gastlandes Niederlande einen weiteren Schwerpunkt. Die geschichtlichen Banden zwischen dem Nachbarn und Münster spiegeln sich in der Oper »J. S. Bach – Die Apokalypse« wider, präsentiert von der Nederlandse Bachvereniging. Zu weiteren namhaften Gästen des Festival-Kapitels »Bach. Oranje« gehören die exquisite Cappella Amsterdam unter Daniel Reuss (Motetten), das Kammerorchester Holland Baroque mit Orgel-Bearbeitungen sowie der Dirigent, Cembalist, Organist und Alte-Musik-Star Ton Koopman. Mit seinem Amsterdam Baroque Orchestra kombiniert er »Brandenburgische Konzerte« mit so mancher Orchestersuite. »Bach steht für diese einzigartige Balance aus Können, Wissen und Gefühl«, hat Koopman einmal im Gespräch erläutert. ».Wir können nur darüber staunen, wie es ein Mensch geschafft hat, so viele tiefe Gedanken aufs Notenpapier zu schreiben.« Dass der inzwischen auch schon 79-Jährige nach einem so langen Leben mit Bach das Staunen nicht verlernt hat, hört man ihm einmal mehr an.
Neue Erlebnisräume und Impulse für die Oper – all das soll das neugegründete Laboratorium des Musiktheaters im Revier schaffen. Ein Gespräch über das MiR.LAB mit der künstlerischen Leiterin Nora Krahl.
Musiktheater mit digitaler Technologie, neue Erlebnisräume und Impulse für die Oper – all das soll das neugegründete Laboratorium des Musiktheaters im Revier schaffen. Das MiR.LAB hat seine Heimat Am Rundhöfchen 6 mitten in Gelsenkirchen gefunden. Die künstlerische Leitung liegt bei Nora Krahl, die sich als Komponistin, Cellistin und Regisseurin in verschiedenen Bereichen der zeitgenössischen Musik profiliert hat und gut vernetzt ist. Was genau ist das MiR.LAB? Ein Gespräch.
kultur.west: Frau Krahl, was sind Ihre Pläne?
KRAHL: Unser erstes Vorhaben ist ein Projekt, in dem das Publikum Virtual-Reality-Brillen aufsetzt und sich mit zwei Sänger*innen in einem Raum frei bewegt. Es geht um die Vermischung von Realität und VR im Zusammenhang mit Musiktheater. Daran hab ich in den vergangenen anderthalb Jahren gearbeitet, jetzt werden wir es mit dem MiR-Team verwirklichen.
kultur.west: Das heißt also, das Publikum kommt ganz klassisch zu einer Vorstellung?
KRAHL: Das ist mir sehr wichtig für die Arbeit im MiR.LAB. Digitalisierung bedeutet nicht, dass ich zu Hause isoliert vor meinem Bildschirm sitze. Okay, auch mit solchen Formaten werden wir uns beschäftigen. Aber für mich bedeutet Theater, dass man in einem Raum zusammenkommt und zum gleichen Zeitpunkt ein gemeinsames Erlebnis mit Livemusik und Live-Darstellenden hat.
kultur.west: Und dann treffen die Realitäten aufeinander, der wirkliche Raum und die digitalen Welten?
KRAHL: Ja, es ist ein apokalyptisches Stück. Das gesamte Universum zerfällt, auch die physikalischen Gesetze, die Zeit, die Logik und die Struktur der Welt. Der Bühnenraum ist digital virtuell nachgebaut. Die VR-Brillen haben einen Kameramodus. Ich sehe meine Umgebung, und die wird überblendet mit Bildern, die in der Realität so nicht herstellbar wären. Wir werfen das Publikum in eine relativ große Verwirrung.
kultur.west: Kommen die Darstellenden aus dem MiR-Ensemble?
KRAHL: In diesem Falle sind es zwei Sängerinnen, die schon lange mit mir an diesem Projekt gearbeitet und viel investiert haben. Sonst arbeiten wir schon mit der Dance Company zusammen und sind mit dem Direktor Giuseppe Spota verabredet, um uns zu Workshops zu treffen. Ähnliche Verabredungen gibt es mit der Puppensparte. Mittelfristig wollen wir dann auch mit Sänger*innen und Musiker*innen arbeiten.
kultur.west: Werden Sie als Leiterin das MiR.LAB auch künstlerisch prägen, als Komponistin, Regisseurin und Cellistin?
KRAHL: Das war für mich ein Grund, diese Leitungsfunktion anzunehmen. Natürlich will ich kuratieren und organisieren, aber unsere Produktionen auch künstlerisch färben, wahrscheinlich vor allem als Regisseurin. Ich bin mit Herz und Seele Künstlerin.
kultur.west: In Ihrer Beschreibung steht, dass es auch um Transformation geht. Wie ist das zu verstehen? Wollen Sie auch den Kernspielplan des Opernhauses verändern?
KRAHL: Ja. Allerdings steckt die Technik – zum Beispiel was die VR-Brillen angeht – noch in den Kinderschuhen. Ich hoffe, dass wir bald von AR-Brillen (Augmented Reality) sprechen können, die dann von der Handhabung her ganz normale Brillen sind. Dann können wir sie auch im großen Saal des Musiktheaters einsetzen. Bisher werden virtuelle Welten mehr als Add-On eingesetzt, um die Aufführungen noch bildgewaltiger zu machen. Ich finde es viel interessanter, Digitaltechnologie in die Konzeption, in die Struktur der Stücke miteinzubeziehen.
kultur.west: Ein weiterer Begriff in Ihren Arbeitsbeschreibung lautet „radikale Teilhabe“. Was bedeutet das?
KRAHL: Klingt doch schon mal gut, oder? Da gibt es mehrere Bereiche. Einmal immersive Aufführungen, in denen ich etwas mitsteuern kann. Aber auch der Bereich davor, in der Frage, welche Geschichten im Musiktheater verhandelt werden. Einige Stories sind heute auf der Bühne schwierig zu erzählen. Wir möchten mit Menschen, die zu uns kommen, reden, welche Geschichten sie aus ihren Lebenswelten erzählen möchten. Vielleicht können wir das mit traditionellen Opern in Verbindung setzen, vielleicht aber auch neue Werke erstellen. Wir wollen Menschen – auch Statist*innen – stärker einbeziehen, damit sie sich noch mehr als Teil der Aufführung betrachten.
kultur.west: Das wird ja im Sprechtheater oft gemacht, im Musiktheater ist das schwieriger, oder?
KRAHL: Ja, wegen der musikalisch festgelegten Form. Wir entwickeln da einige Ideen weiter, die andere Künstler*innen und Kollektive schon ausprobiert haben. Es funktioniert, Laien an Schnittstellen einzubeziehen, so dass am Ende ein künstlerisches Werk entsteht, kein Vermittlungsprojekt.
kultur.west: Das MiR.LAB wird ja vom Fonds Neue Wege des NRW-Kultursekretariats und von der Stadt Gelsenkirchen gefördert. Ist das Budget okay für Ihre Arbeit?
KRAHL: Das ist schon eine substanzielle Summe, die uns hier zur Verfügung gestellt wird. Wir können damit unseren Ort etablieren, ein Team zusammenstellen und langfristig angelegte Konzepte für das community building entwickeln. Für einige Projekte, die wir uns vorstellen, müssen wir allerdings auch noch zusätzliche Förderungen akquirieren. Wir planen für den Sommer einen opera city walk, einen Performance-Audiowalk durch die Stadt. Generell kann man sagen: Wir können natürlich nicht mit den Gaming-Welten moderner Computerspiele konkurrieren. Aber das muss ja keine Schwäche sein. Wir werden einfach unsere eigene künstlerische Ästhetik finden.
Das MiR.LAB ist im Rundhöfchen 6 in Gelsenkirchen zu finden und donnerstags von 15 bis 19 Uhr zugänglich.
Zur Person
Die Regisseurin, Cellistin und Komponistin Nora Krahl setzt sich mit der zeitgenössischen Musik und den experimentellen digitalen Formen des Musiktheaters auseinander. Ursprünglich als klassische Cellistin gestartet, widmete sie sich der Musikwissenschaft, bevor sie sich Improvisation und elektronischer Komposition zuwandte und weltweit konzertierte. Seit 2010 in den darstellenden Künsten tätig, arbeitete sie als Musikerin am Schauspielhaus Köln, Deutschen Schauspielhaus Hamburg und an der Staatsoper Berlin. Sie kollaborierte mit Opera Lab Berlin und SHE SHE POP und realisiert seit 2016 eigene Regieprojekte. Als Regisseurin setzt sich Nora Krahl besonders mit Grenzgängen, digitalen Technologien und neuen Erzählformen auseinander.