Auch bei der 37. Ausgabe ist beim Klavier-Festival Ruhr zwei Monate lang wieder die internationale Tastenelite zu Gast. Rund 60 Pianist*innen spielen in 17 Städten.
Auch bei der 37. Ausgabe ist beim Klavier-Festival Ruhr zwei Monate lang wieder die internationale Tastenelite zu Gast. Rund 60 Pianist*innen spielen in 17 Städten.
Bei Marc-André Hamelin wollte man lange Zeit einfach nicht glauben, dass er sich irgendwann einmal mit den für ihn läppisch leichten Klavierstücken von Haydn oder Mozart abgeben wird. Der Kanadier gilt schließlich bis heute als ultimativer Spezialist fürs Superschwere. Wo die Finger anderer Spitzenpianisten kapitulieren, beginnen für Hamelin und seine Pranken erst der Spaß und die Lust am spieltechnisch Akrobatischen. Doch dass er eben längst auch ein geistvoller Gestalter etwa jener zerbrechlich poetischen Zwischentöne ist, die die Sonaten von Haydn und Mozart so extrem schwierig machen, hat er bei seinen zahlreichen Recitals beim Klavier-Festival Ruhr bewiesen.
Von seinen virtuosen sowie tiefgründigen Seiten präsentiert sich Monsieur Hamelin nun erneut. Wenn er in seiner Funktion als »Porträtkünstler« in zwei Konzerten den Bogen von Beethoven hin zu Rachmaninow schlägt. Darüber hinaus lernt man ihn als begeisterten Kammermusiker kennen, der sich mit dem Cellisten Johannes Moser verbündet. Und da Hamelin weiterhin ein Herz für Raritäten besitzt, streut er so manches Stück vom Rock-Enfant-terrible Frank Zappa ein. »Meine Programme bieten immer die Möglichkeit, ein oder zwei Dinge zu entdecken, die eher unbekannt sind und die es meiner Meinung nach wert sind, entdeckt und vorgestellt zu werden«, so der 63-Jährige im Vorfeld seiner diesjährigen Konzerte, die ihn in die Duisburger Gebläsehalle im Landschaftspark-Nord führen.
Malerei und Musik
Auch bei der 37. Ausgabe des seit 1988 stattfindenden Traditionsfestivals kommen Klavierliebhaber wieder voll auf ihre Kosten. In ihrem zweiten Jahr als Intendantin hat Katrin Zagrosek nämlich nicht nur auf ein musikalisch weites Panorama geachtet, das bei Bach beginnt und bei aktuellen Jazz-Sessions eines Michael Wollny endet. Unter den rund 60 Pianist*innen, die diesmal in 17 Städten spielen, finden sich alte Bekannte mit eigens auf das Festival zugeschnittenen Projekten. Der zweite »Porträtkünstler« Evgeny Kissin erinnert unter anderem mit Stargeiger Gidon Kremer an den russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch, der vor 50 Jahren gestorben ist.
Der Amerikaner Kit Armstrong erfüllt sich hingegen den langgehegten Traum, Malerei und Musik zusammenzubringen. Vier Tage lang bespielt er nicht nur die verschiedenen Ausstellungsräume des Museums Folkwang in Essen. In jedem Saal platziert Armstrong zudem unterschiedliche Tasteninstrumente, auf denen er musikalisch mit den ausgestellten Werken der Bildenden Kunst kommuniziert.
Das dritte mehrteilige Highlight liegt schließlich in den Händen von Pierre-Laurent Aimard. Zusammen mit Tamara Stefanovich widmet sich der Franzose seinem Landsmann Olivier Messiaen, der zu den prägendsten Figuren der Moderne gehörte. In sechs Konzerten bringt man etwa das »Quatuor pour la fin du Temps« zur Aufführung, das Messiaen 1940/41 im Kriegsgefangenenlager in Görlitz geschrieben hat. Und mit »Visions de l’Amen« erklingt ein Werk für zwei Klaviere, das Aimard seit Jugendzeiten kennt. Immerhin durfte er quasi als musikalischer Ministrant die Noten umblättern, als Messiaen und seine Gattin Yvonne Loriod diese vierhändigen Reflexionen über die irdische Leidens- und himmlische Erlösungsgeschichte der Menschheit spielten.
Zu den vielen mit Spannung erwarteten Wiederbegegnungen gehören aber auch die Konzerte mit dem Amerikaner Jeremy Denk, mit der französischen Wahl-Schweizerin Hélène Grimaud sowie dem Russen Daniil Trifonov. Und mit Martha Argerich kehrt ein absoluter Stammgast zum Klavier-Festival Ruhr zurück – nach immerhin schon rund 30 Konzerten.
Betörende Salondame, eifrige Komponistin, unverhohlene Antisemitin: Alma Mahler-Werfel ist eine Frau mit vielen Facetten. In Essen will das Festival »Doppelbildnisse« allen gerecht werden.
Sechs Kulturinstitutionen haben sich zusammengetan, um »Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne« zu feiern – und kritisch zu hinterfragen. Als Festival-Veranstalter agieren das Aalto Musiktheater, die Alte Synagoge als Haus jüdischer Kultur, die Essener Philharmoniker, die Folkwang Universität der Künste, das Museum Folkwang sowie die Philharmonie Essen.
Die konzertierte Aktion an verschiedenen Orten in Essen umfasst vom 20. März bis 22. Juni Konzerte, Symposien, eine Ausstellung mit Werken von Oskar Kokoschka sowie zeitgenössische Alma-Annäherungen von Studierenden der Folkwang Universität der Künste. Mit Schauspiel, Physical Theatre, Performance, Tanz und Gesang wollen sie die Besonderheiten und Widersprüche ihrer Persönlichkeit reflektieren – Rassismus und Antisemitismus, Flucht und Exil sollen dabei besondere Berücksichtigung finden.
Die interdisziplinäre Perspektive passt zu einer Frau mit vielen Eigenschaften: Alma Mahler-Werfel (1879-1964) war Tochter eines Malers und einer Sängerin, wuchs im Milieu der Wiener Moderne um 1900 auf. Sie erhielt eine musikalische Ausbildung, spielte hervorragend Klavier und nahm Kompositionsunterricht. In jungen Jahren als »das schönste Mädchen Wiens« gerühmt, umschwirrten sie die Männer. Die Maler Gustav Klimt und Oskar Kokoschka verfielen der Frau mit dem gewissen Etwas ebenso wie der Komponist Alexander von Zemlinsky oder der Theologe Johannes Hollnsteiner.
Oskar Kokoschka, Frau in Blau, 1919. Fondation Oskar Kokoschka, VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Staatsgalerie Stuttgart
Als Femme fatale setzte sich die allzeit auf Selbstinszenierung Bedachte gerne in Szene; noch wichtiger jedoch war Alma Mahler der Musendienst an schöpferischen (männlichen) Geistern. Denen fuhr die »Gebieterin«, die, irgendwie paradox, von der Sehnsucht durchdrungen war, sich starken Männern zu unterwerfen, gnadenlos in die Parade, wenn diese in ihrem Bemühen um das nächste Meisterwerk nachließen. Das galt in Besonderem für ihre drei Ehemänner: den Komponisten Gustav Mahler, den Bauhaus-Gründer Walter Gropius und den Schriftsteller Franz Werfel. Mit dem elf Jahre jüngeren expressionistischen Lyriker, den sie in ungnädigen Momenten als »kleinen, hässlichen, verfetteten Juden« schmähte (so ein Tagebuch-Eintrag), emigrierte sie 1940 in die USA. Zunächst nach Los Angeles (wo Werfel 1945 starb), seit 1951 lebte sie dann in New York und scharte als »La grande veuve« (so Thomas Mann), als Witwe von Mahler und Werfel, zahlreiche Emigrant*innen um sich, darunter Mann selbst, Erich Maria Remarque und Friedrich Torberg.
Wien, Los Angeles, New York – wo ist da der Anknüpfungspunkt zu Essen? Es gibt mehrere. Die 6. Symphonie von Gustav Mahler wurde am 27. Mai 1906 im Saalbau uraufgeführt – der Komponist (1860-1911) hat selbst dirigiert. Wie passend: Das sinfonische Werk enthält ein »Alma-Thema«. Noch berühmter ist das als Liebeserklärung an sein »Almschi« interpretierte »Adagietto« aus der 5. Mahler-Symphonie; am 5. und 6. Juni steht sie auf dem Spielplan der Essener Philharmoniker. Am 22. Mai geben die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko ein Gastspiel mit der 9. Sinfonie, dem letzten vollendeten Opus des frühverstorbenen Komponisten.
Vor ihrer Ehe mit dem 19 Jahre älteren Mahler, die 1902 geschlossen wurde, hat auch Alma eifrig komponiert – Lieder, Klavierstücke und Kammermusik. Gleichsam als Hochzeitsgeschenk jedoch erbat sich der Maestro im Vorfeld eine Verzichtserklärung: »… glaubst Du auf einen Dir unentbehrlichen Höhepunkt des Seins verzichten zu müssen, wenn Du Deine Musik ganz aufgibst, um die Meine zu besitzen…?« So hing sie das Komponieren an den Nagel: »Mein einziger Wunsch ist der, ihn glücklich zu machen.«
Konzerte und Tagungen
Auch in den mehr als 50 Jahren nach Mahlers Tod hat es sie nie wieder zum Komponieren gedrängt. Frauen, meinte sie, könnten auf dem Gebiet der Musik nichts wahrhaft Außerordentliches leisten, »weil sie zu wenig geistige Tiefe und philosophische Bildung haben«. Dass sie sich in dieser Hinsicht unterschätzte, sollen ihre »Fünf Lieder« zeigen, die am 20. und 21. März in der Philharmonie Essen in der Orchesterversion von Jorma Panula dargeboten werden.
Einen Tag später werden ihre kammermusikalischen Werke, »Wiener Salon«, aufgeführt. Die Konzerte sind Teil des Komponistinnen-Festivals »her:voice«, mit dem das Aalto Musiktheater in einem Symposion am 21. März Alma Mahler als Komponistin in den Blick nimmt. Eine weitere Tagung untersucht am 9. und 10. Mai in der Alten Synagoge die »jüdisch-österreichische Verflechtungsgeschichte« der Antisemitin. Wie ist es erklärbar, dass eine Frau, die mit zwei jüdischen Männern verheiratet war, Hitler bewunderte und die KZs der Nazis als »Greuelpropagandageschichten« bezeichnete? Darüber sprechen Expert*innen wie Klaus Hödl, Gesa zur Nieden, Andrea Winklbauer, Jörg Rothkamm und andere.
Den ersten Impuls zum »Doppelbildnisse«-Festival gab das »Doppelbildnis Alma Mahler und Oskar Kokoschka« von 1912 – es zählt zu den Spitzenwerken in der Folkwang-Sammlung. Direktor Peter Gorschlüter hatte die Idee, die mit Musik, Kunst und Literatur gleichermaßen auf vertrautem Fuß stehende Alma Mahler mit der gern grenzüberschreitenden Gegenwartskunst in Verbindung zu bringen. Als Teil der Dauerschausammlung und deshalb kostenlos zugänglich (vorab muss lediglich ein Zeitfensterticket gebucht werden) zeigt das Museum die Ausstellung »Frau in Blau – Oskar Kokoschka und Alma Mahler«. Mit dem expressionistischen Maler hatte sie von 1912 bis 1915 eine stürmische Affäre.
Die Kabinettschau präsentiert Kokoschkas Zeugnisse seiner Liebeslust, darunter Gemälde, Zeichnungen sowie Fächer, die er für Alma anfertigte; als »Liebesbriefe in Bildersprache«. Sein Ziel, sie auf immer an sich zu binden, erreichte er dennoch nicht. Nach einer dreijährigen ›Amour fou‹ gab Alma ihm den Laufpass. 1915 heiratete sie den Architekten Walter Gropius. Seine Attraktivität zog sie körperlich an, seine arische »Reinrassigkeit« sagte ihr weltanschaulich zu. Mit den zukunftsgerichteten Architekturkonzepten des Bauhaus-Gründers dagegen konnte die Frau, deren Kunstgeschmack durch die opulente Makart-Ära des späten 19. Jahrhunderts geprägt worden war, schlechterdings nichts anfangen.
»Doppelbildnisse. Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne«
20. März bis 22. Juni
im Aalto Musiktheater, in der Philharmonie Essen, Alten Synagoge,