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»Vom kleinen Verein zur international anerkannten Institution«
Mathias Wittmann ist kaufmännischer Geschäftsführer, Inka Arns die künstlerische Leiterin des HMKV ein Dortmund. Stefanie Stadel hat mit den beiden über Industriehallen und Elfenbeintürme gesprochen.
kultur.west: Wer im Dortmunder U den HMKV erreichen will, muss zunächst die Rolltreppe hinauf, in den Ausstellungraum hinein. Ein Ticket braucht man nicht, ist der Eintritt immer frei?
MATHIAS WITTMANN: Ja, unser Anspruch ist es, mit dem was wir machen, möglichst viele Menschen zu erreichen. Deshalb ist es uns wichtig, dass die Ausstellungen und Veranstaltungen des HMKV frei zugänglich sind – auch die Publikationen stehen auf unserer Homepage alle kostenfrei zum Download bereit. Aus dem Elfenbeinturm heraus werden wir es damit wohl nicht schaffen, aber zumindest ein paar Etagen herunter.
kultur.west: Wir sitzen im dritten Stock des Dortmunder U. Ein Haus mit Industriegeschichte: Bis 1993 wurde hier noch Bier gebraut. Aber auch die Anfänge des HMKV sind eng mit diesem Ort verbunden.
INKE ARNS: Gleich nebenan, nur wenige Schritte vom U entfernt liegt das Künstlerhaus, wo der Künstler Hans Christ und die Kunsthistorikerin Iris Dressler 1996 den Verein gegründet haben. Zwei Jahre später nur haben sie dann in der leerstehenden Union-Brauerei die große Schau »Reservate der Sehnsucht« organisiert.
Frau Arns, Sie waren damals gerade mit dem Studium fertig und noch lange nicht in Dortmund.
ARNS: Die legendäre Ausstellung kenne ich nur von Fotos und Erzählungen. Es muss Wahnsinn gewesen sein. Erst am Tag der Eröffnung hatte der HMKV die Genehmigung bekommen. Eine Etage war mit Rollrasen ausgelegt, und die Leute haben gepicknickt. Nicht zuletzt diese Schau hat die Stadt Dortmund wohl auf die Idee gebracht, das verlassene Gebäude für eine kulturelle Nutzung umzubauen. Im Kulturhauptstadtjahr 2010 war es so weit, und wir sind mit dem HMKV im Dortmunder U eingezogen.
kultur.west: Zwischendurch hatte der Verein eine über 100 Jahre alte Industriehalle des Stahlwerks Phoenix-West in Dortmund Hörde bespielt. Das war doch sicher auch ein beeindruckender Ort, wären Sie gerne dortgeblieben?
ARNS: Ich selbst habe 2005 beim HMKV angefangen und hatte also das große Glück, in der Phoenixhalle arbeiten zu können: 16 Meter hohe Räume, 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Ein toller Ort, der aber auch seine Nachteile hatte. Wir mussten jede Wand auf 5,20 Meter Höhe planen und richtig viel Material bewegen. Weil die Halle kaum isoliert war, konnten wir nur zwischen März und Oktober Ausstellungen zeigen. Im Winter war geschlossen. Ich erinnere mich gut an unsere letzte große Schau dort: »Arctic Perspective«, wo wir uns mit den Veränderungen rund um die Arktis im Kontext des Klimawandels beschäftigt haben. Eine Ausstellung, die hier genau am rechten Platz war. Schließlich ist das Ruhrgebiet einer der zentralen Orte für die Industrialisierung gewesen, deren Folgen sich früh in der Arktis zeigten. Das finde ich spannend: lokale Ausgangspunkte zu suchen, um globale Themen anzugehen.
kultur.west: Mittlerweile hat »Phoenix des Lumières« die Halle in Dortmund Hörde eingenommen und feiert Erfolge mit immersiven Ausstellungen, die neueste Medien nutzen, um das Publikum zu überwältigen. Waren Sie schon einmal dort?
WITTMANN: Noch nicht. Es reizt mich auch nicht sehr, dieses Eintauchen in schöne, große, bunte Bilder, wie bei Alice in Wonderland. So etwas unterscheidet sich ja auch grundsätzlich von unserer Arbeit. Wir haben einen Bildungsauftrag, dort geht es in erster Linie um Unterhaltung.
ARNS: Ich würde mir das trotzdem gerne einmal anschauen. Die Schlüssel zur Halle habe ich ja noch (lacht).
kultur.west: Sie sitzen mit dem HMKV nun seit fast 15 Jahren Mitten in der Stadt, was doch sicher auch seine Vorteile hat?
WITTMANN: Auf jeden Fall. Es war seinerzeit auch eine mutige Entscheidung, wenn nicht ein visionäres Statement der Stadt Dortmund. Einen solch zentralen, innerstädtischen Standort, der ja als Filetstück gelten kann, zum Kulturort zu machen. Statt hier ein Einkaufszentrum oder ein Parkhaus anzusiedeln.
ARNS: Vom Bahnhof sind es nicht einmal zehn Minuten zu Fuß zum U. Mit dem Umzug aus der Phönixhalle hierher ins Zentrum konnten wir unsere Besucherzahlen vervierfachen.
kultur.west: Aus dem kleinen Verein ist eine international anerkannte Institution geworden. Wie viele Menschen arbeiten mittlerweile im HMKV?
WITTMANN: Wir sind über die Jahre zu einem recht großen Team herangewachsen. Wenn man alle dazu zählt, sind hier rund 30 Personen beschäftigt. Das entspricht einem kleinen mittelständischen Unternehmen.
kultur.west: Von Beginn an hat sich der HMKV, schon im Namen, der Medienkunst verschrieben. Ein Begriff der damals allerdings noch etwas anders besetzt war. Wie würden Sie Medienkunst heute definieren?
ARNS: Die Bedeutung des Begriffs hat sich in den letzten drei Jahrzehnten total ausgeweitet und dabei an Genauigkeit verloren. Heute subsumiert man darunter zum Beispiel auch digitale Medienkunst – wieder ein ganz anderer Bereich. Schon als ich 2005 im HMKV anfing, habe ich darüber nachgedacht, dem Verein einen neuen Namen zu geben. Doch die alte »Marke HMKV« war einfach zu bekannt und geschätzt.
kultur.west: Überblickt man das Programm des HMKV, scheint es weniger durch bestimmte Medien geprägt. Vielmehr fällt auf, dass er nun schon seit Jahrzehnten immer wieder gesellschaftliche Themen und Fragestellungen aufgreift. Wie wichtig ist Ihnen die Politik im Programm?
ARNS: Wir haben uns nie für technische Spielereien interessiert. Viel wichtiger erscheint uns die Frage, was hinter den Technologien steckt. Was machen sie mit uns? Ein gutes Beispiel ist unsere KI-Ausstellung »House of Mirrors. Künstliche Intelligenz als Phantasma«. Da haben wir 2022 untersucht, welche Ängste oder Wünsche mit der KI verbunden sind. Und auch hinter die Oberfläche geschaut – wie funktioniert KI eigentlich, und was macht sie mit der Umwelt? Was muss überhaupt aufgewendet werden, damit diese sogenannte Künstliche Intelligenz trainiert wird. Das müssen ja Menschen machen, aber unter welchen Bedingungen arbeiten sie?
kultur.west: Das klingt nach einem erheblichen Rechercheaufwand – ist das üblich?
ARNS: Wir recherchieren für viele Ausstellungen sehr gründlich. Oft arbeiten wir auch zusammen mit externen Kurator*innen, die sich intensiv mit den Themen beschäftigt haben und zum Beispiel an Forschungsprojekten beteiligt sind. Ich möchte aber hervorheben, dass unsere Ausstellungen nicht am Schreibtisch entstehen – Ausgangspunkt ist immer die künstlerische Praxis. Themen werden nicht aus der Luft heraus generiert, sondern durch die Anschauung einer künstlerischen Szene.
kultur.west: Auf diese Art sind Sie oft schon sehr früh auf Themen gestoßen, die gerade wichtig werden.
WITTMANN: Ja, als wir 2022 die Ausstellung über Künstliche Intelligenz gemacht haben, da ist in der Öffentlichkeit noch wenig darüber gesprochen worden. Ein Jahr später schon wurde das Thema dann ganz groß in der politischen Debatte. Ähnlich ist es uns gegangen mit der Ausstellung »Der-Alt-Right-Komplex«, die sich bereits 2019 mit Rechtspopulismen auseinandergesetzt und verdeutlicht hat, wie sie insbesondere das Internet und die Sozialen Medien zur Verbreitung ihrer Botschaften nutzen. Heute sprechen wir darüber, wie die AFD TikTok missbraucht und instrumentalisiert. Ich will nicht anmaßend sein, aber würde schon sagen, dass der HMKV in der Themenfindung oft eine gewisse Pionierstellung hat.
kultur.west: Da liegt die Frage nach Ihren Plänen nahe. Was wird morgen brisant im HMKV?
WITTMANN: Dazu will ich noch eine praktische Anmerkung machen, die für unsere Planungen in eine weitere Zukunft von Bedeutung ist. Nachdem wir viele Jahre immer nur mit Projektförderung von einer Ausstellung zur nächsten kalkulieren konnten, erhalten wir seit 2021 endlich eine institutionelle Förderung von der Stadt und vom Land, die es uns möglich macht, zwei, drei Jahre im Voraus zu planen. Das ist umso erfreulicher, als wir ja aktuell das Erstarken politischer Gruppierungen erleben, die unsere Arbeit missbilligen und bekämpfen. Deshalb ist es doppelt wichtig, mit der institutionellen Förderung Sicherheit zu gewinnen.
kultur.west: Dann blicken wir mal in die weitere Zukunft – auf das Jahr 2026, wenn die Manifesta ins Ruhrgebiet kommt. Frau Arns, Sie selbst gehören zur Gruppe, die mit ihrem Konzept die Biennale hierherholen konnte. Was haben Sie vor?
ARNS: »Das Ende der Seidenstraße«, so lautet der Arbeitstitel unseres Projekts. Unsere Idee ist es, dass sich die Manifesta mit der neuen Infrastruktur beschäftigt, die von China initiiert und gebaut wird: Die neuen »Seidenstaßen«, von denen eine in Duisburg endet. Wir wollen schauen, was diese neue Logistik verändert in den jeweiligen Ländern auf der Strecke. Allgemein gedacht geht es um die Folgen der Globalisierung. Für mich ist das aber auch eine schöne Art und Weise, die Geschichte unserer Stadt ins Spiel zu bringen, denn Dortmund liegt ja an einer alten Handelsstraße: Der Hellweg hat Nowgorod mit Antwerpen verbunden. Solche lokalen Bezüge finde ich immer wieder interessant! Sie sehen, in den vielen Jahren hier in Dortmund habe ich mich zu einer richtigen kleinen Lokalpatriotin entwickelt.
Inke Arns ist seit 2005 künstlerische Leiterin und seit 2017 Direktorin des HMKV. Studiert hat sie Slawistik, Osteuropastudien, Politikwissenschaften und Kunstgeschichte in Berlin und Amsterdam.
Mathias Wittmann ist Betriebswirt und arbeitet seit 2020 als kaufmännischer Geschäftsführer im HMKV.