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»Colanis Welt war rund«
Das Marta in Herford hat einen interessanten Ansatz für seine große Colani-Ausstellung gewählt: »Formen der Zukunft« beschäftigt sich (auch) mit Colanis Zeit in Ostwestfalen.
In Italien, so hat es Luigi Colani (1928-2019) einmal in einem Interview gesagt, würde er als Nachfolger von Leonardo da Vinci gehandelt. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb er angeblich dorthin all seine Prototypen und Modelle von Kugelküchen, Raumschiffen und Rennmaschinen brachte. Wo sein Nachlass heute liegt, wem er gehört? Das ist völlig unklar. Wohl auch deshalb hat das Marta in Herford einen ganz anderen, vielleicht sogar noch interessanteren Ansatz für seine große Colani-Ausstellung mit Designobjekten vom Fahrzeug über Möbel bis hin zu Geschirr oder Bekleidung, Zeichnungen und Fotografien gewählt: »Formen der Zukunft« beschäftigt sich (auch) mit Colanis Zeit in Ostwestfalen und welche Spuren er in unzähligen Firmen der Region, aber auch in Wohnzimmern hinterließ. Besonders ist, dass das Museumsteam dafür mit Designern der Schule für Gestaltung in Detmold zusammengearbeitet hat. Dort herrscht selbst am späten Abend noch Hochbetrieb: In den offenen Laboren der TH OWL werkeln Studierende fieberhaft an ihren Entwürfen, während die Kunsthistorikerin Friederike Korfmann und die Designer Tobias Henschen und Julian Puszcz von mitwachsenden Möbeln und Colanis Visionen für die Zukunft erzählen. Und einer Liebesgeschichte, die an einer Tankstelle in Rheda-Wiedenbrück begann.
kultur.west: Frau Korfmacher, wie ist am Marta die Idee zur Colani-Ausstellung entstanden?
FRIEDERIKE KORFMACHER: Im Marta zeigen wir vorrangig zeitgenössische Kunst. Aber wir sind auch ein Haus für Architektur und Design. Das bedingt sich ja schon ein ganzes Stück durch die besondere Architektur von Frank O. Gehry. Aber auch die Gründungsgeschichte des Hauses ist eng mit der Möbelindustrie in Ostwestfalen, speziell in Herford, verbunden. Unser Museum fußt auf Planungen für ein »Haus des Möbels«, in dem auch Ausstellungen hätten stattfinden sollen. Aus dieser Idee heraus ist dann das Museum entstanden. Diese Grundidee löst unser Haus nach wie vor ein, weil etwa auch die Verbände der Holz- und Möbelindustrie NRW im Gebäude ansässig sind.
kultur.west: Welche Verbindung hat Luigi Colani zu Ostwestfalen?
KORFMACHER: Er hat eine ganze Weile in Rheda-Wiedenbrück und im Schloss Harkotten im münsterländischen Sassenberg gewohnt und gearbeitet.
kultur.west: Mit welchen Unternehmen aus Ostwestfalen hat er zusammengearbeitet?
TOBIAS HENSCHEN: Für COR hat er zum Beispiel das Orbis-Sofa entwickelt. Das war der erste Aufschlag in Ostwestfalen, der mit einer lustigen Geschichte begann: Angeblich war er mit seinem VW-Käfer in Rheda-Wiedenbrück liegengeblieben. Ein Tankwart hat ihm so nett geholfen, dass er daraufhin gleich sieben Jahre lang in der Stadt geblieben ist.
JULIAN PUSZCZ: Es wird erzählt, dass er sich in die Tochter des Tankwarts verliebt hat. Belegen können wir das nicht, aber immerhin haben uns gleich mehrere Leute die Geschichte erzählt (lacht).
KORFMACHER: Dann gibt es aber auch Unternehmen wie Flötotto für Schulmöbel aus Gütersloh oder den Herforder Küchenhersteller Poggenpohl, mit denen er den Prototypen für eine Kugel-Küche entwickelt hat, die heute noch in deren Showroom ausgestellt ist. Ebenso der Bielefelder Getränkehersteller Carolinen oder die Möbelfirmen Suloplast und Elbro/Ellerbrok.
PUSZCZ: Die Firma Kinderlübke konnte mit Colani eines seiner heute wohl bekanntesten Möbel vertreiben: den »Zocker«. Oder den mitwachsenden Schreibtisch »Tobifant«.
HENSCHEN: Ungewöhnlich war der »Tobifant« nicht nur, weil er höhenverstellbar, sondern – vielleicht auch als Reaktion auf die Ölkrise – aus Holz hergestellt ist. Colani hat sonst eigentlich viel mit Kunststoff gearbeitet, dabei war sein Gedanke, an vielen Stellen die Natur als Vorbild zu nehmen. Auf jeden Fall gab es zu jedem Schreibtisch ein Kilo weißer Knete mit Werkzeug dazu. Aus dem Karton des Schreibtischs konnten die Kinder eine Windmühle bauen. Diese Gedanken haben wir aufgegriffen und in der Lobby einen Bereich mit den »Tobifanten« eingerichtet, in dem Kinder wie Colani kneten dürfen – und ihre Werke ausstellen.
kultur.west: Colani soll als Kind selbst kein Spielzeug besessen haben. Seine Eltern wollten lieber, dass er sich mit verschiedenen Materialien selbst welches baut. Ist das ein Märchen?
HENSCHEN: Nein, das hat er mehrfach selbst bestätigt. Es gibt auch die Geschichte, dass seine Mutter ihm eine seiner liebsten gekneteten Figuren weggenommen und im Kühlschrank aufbewahrt hat. Die durfte er nicht mehr verändern, weil sie wohl ahnte, dass da etwas Besonderes drinsteckt.
kultur.west: Ungewöhnlich ist, dass die Ausstellung von Designern und Kunsthistorikerinnen gemeinsam entwickelt wurde. Was war der Ansatz?
PUSZCZ: Wir wollten zunächst das generelle Werk verstehen und haben uns dafür einen Eisberg vorgestellt: Dessen Spitze ist das, was man heute noch von Colani sieht, wir aber wollten auch das Nicht-Sichtbare, das dahintersteckt, herausfinden. Auch ein Stück weit, was seine Person ausgemacht hat. Dann sind wir mit diesem Wissen in die Gestaltung der Ausstellung gegangen – durchaus auch in Verbindung mit den organischen Formen, die Gehry für das Marta entwickelt hat.
KORFMACHER: Die Ausstellung wurde bewusst von Designern kuratiert, die auch ein Display hierfür entwickelt haben. Meine Rolle war, das Ganze zu übertragen und zu vermitteln. Die Ausstellung wird zeigen: Colanis Welt war rund!
PUSZCZ: Wir haben die Ausstellung in verschiedene Bereiche eingeteilt. Wie Themeninseln in einer Landschaft, angefangen bei der Person Colani über den »Alles-Designer« bis zu Sitzmöbeln. Vor allem im Bereich der Mobilität waren seine Ideen für Aerodynamik ja sehr ungewöhnlich. Dann geht es ums »Lernen«, in dem wir zum Beispiel das »Lern-Ei« zeigen, in dem Kinder mit Kameras und Diaprojektoren lernen sollten. Und dann haben wir noch seine Vision. Colani hat so etwas wie ein Manifest veröffentlicht, »Ylem«, in dem es um seine Auffassung von Design und um die Zukunft ging.
kultur.west: Er selbst hat ja oft gesagt, dass er seiner Zeit voraus war. Wie sehen Sie das?
KORFMACHER: Im »Ylem« gibt es zum Beispiel eine Zeichnung aus den 1970er Jahren, die Menschen zeigt, die in Videokonferenzen im Büro sitzen. Er hat sich sehr mit Individualfahrzeugen beschäftigt. Zugleich aber auch darauf hingewiesen, dass wir eigentlich mehr zu Kollektiv-Transportmitteln kommen müssen, damit die Belastung nicht zu groß wird. Das sind schon spannende Visionen. Die Nutzung von Ressourcen hat ihn ebenfalls interessiert – so hat er immer wieder darauf verwiesen, dass aerodynamische Formen beim Auto dazu beitragen, dass weniger Treibstoff benötigt wird. Oder er hat darauf geachtet, dass Kunststoffformen effizient genutzt werden oder Verpackungen als Spielzeug weiterverwendet werden können.
kultur.west: Zeichnungen haben für Colani eine große Rolle gespielt. Ich habe ihn 2013 zu seinem 85. Geburtstag interviewt: Damals meinte er, im Monat zwei mal um die Welt zu reisen und auf den Flügen eine Kugelschreibermine und einen ganzen Schreibblock zu verbrauchen…
HENSCHEN: Er war ungeheuer produktiv, hat immer mit weißem Stift auf schwarzem Karton gezeichnet. Und sich dabei durchaus mit neuen Entwicklungen beschäftigt – zuletzt hat er sogar einen 3D-Drucker entwickelt. Aber am Computer zu zeichnen, war kein Thema für ihn. Das Haptische, das Manuelle war für ihn wichtig. Typischerweise trug Colani weiße Kleidung – so konnte man nicht sehen, dass er eigentlich vollgestaubt von Gips oder glasfaserverstärktem Kunststoff war.
KORFMACHER: Es wäre sehr interessant zu sehen, wie er heute arbeiten würde. Ich glaube, zum Beispiel der Bereich der Biokunststoffe hätte ihn sehr interessiert. Schön ist, dass wir im anderen Teil der Gehry-Galerie zeitgleich den RecyclingDesignpreis ausstellen. Vor diesem Hintergrund passt diese Kombination mit Colani sehr gut.
kultur.west: Ist klar, wo Colanis Nachlass heute ist?
HENSCHEN: Es gibt Menschen, die sich damit beschäftigen. Und es gibt Fragen, die nicht geklärt sind. An der Stelle haben wir gemerkt: Da können wir nichts machen.
KORFMACHER: Wir haben aus diesem Gedanken heraus das partizipative Projekt »Bring your own Colani« entwickelt. Schließlich hat er sehr viele Dinge in sehr vielen Haushalten hinterlassen. Wir laden die Besucher*innen dazu ein, ihre persönlichen Objekte von Colani mitzubringen – oder auch eine Erinnerung.
kultur.west: Was ist das größte Ausstellungsstück?
PUSZCZ: Ein Pierce Arrow, ein Luxus-Sportwagen, 6,70 Meter lang. Und wir haben eine Truck-Karosserie.
KORFMACHER: Das kleinste Objekt ist übrigens eine Streichholzschachtel, die er auf Schloss Harkotten als seine Visitenkarte verteilt hat.
kultur.west: Sie haben sich nun lange Zeit mit Colani beschäftigt – was hat sie beeindruckt?
HENSCHEN: Die Vielzahl an Sachen, diese vielen tausend Dinge, die er gestaltet hat.
KORFMACHER: Die Konsequenz, mit der er einfach alles designed hat.
PUSZCZ: Es wirkt so, als hätte er sein ganzes Leben für die Sache gegeben. Er hat mal erzählt, dass er das ganze Geld, das er mit seinen Projekten verdient hat – nach seiner Aussage müssen das Millionen gewesen sein –, komplett in andere Riesenprojekte reinvestiert hat. Er wollte zwischendrin ja zum Beispiel riesige Flugzeuge bauen. Und er hat immer gearbeitet, immer gezeichnet. Bis in seine letzten Lebensstunden hinein.
Friederike Korfmacher ist Jahrgang 1989, hat Kunstgeschichte in Osnabrück und Bochum studiert. Nach Stationen unter anderem am Museum für Gegenwartskunst in Siegen ist sie seit 2020 Assistenzkuratorin am Marta Herford. Die Produkt- und Interiordesigner Tobias Henschen (Jahrgang 1994) und Julian Puszcz (Jahrgang 1998) haben sich an der Detmolder Schule für Gestaltung kennengelernt und betreiben das Designbüro Zweieckig. Gemeinsam mit Prof. Tim Brauns haben sie die Ausstellung kuratiert.
»Luigi Colani. Formen der Zukunft«
1. Dezember 2024 – 23. März 2025
Parallel zur Colani-Schau ist in den Gehry-Galerien die Ausstellung zum
RecyclingDesignpreis zu sehen.