TEXT: MARTIN KUHNA
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Heinrich Himmler war sein tüchtiger Gehilfe. Der »Reichsführer SS« gilt als Manager des millionenfachen Mordes an »Untermenschen« aller Art und als Architekt der »Endlösung«. Zu beidem hat er sich in Geheimreden 1943 stolz bekannt: »Ruhmesblatt in unserer Geschichte«. Doch seine eigene Rolle dabei beschrieb er fast larmoyant als »schwerste Aufgabe«, die er je von seinem »Führer« übernommen habe.
Wahr ist wohl, dass Mord dem SS-Chef keine Leidenschaft war, sondern ein notwendiges Geschäft als Kehrseite jenes Vorgangs, für den er allerdings eine Passion hatte: Vermehrung und Verbreitung der »germanischen Rasse«, mit seiner SS in zentraler Rolle, als Organisatorin von Siedlung, Umsiedlung und eben Mord, als Genpool einer supergermanischen Elite und Wahrerin einer sinnstiftenden, quasi-religiösen »Weltanschauung«, die Rassismus mit vorgeblichen Traditionen eines entchristlichten Mittelalters verbinden wollte.
Himmler scheute keine Mühen, sein Weltbild (pseudo-) wissenschaftlich untermauern zu las-sen, um der SS eine integrative Grundlage zu geben für ihre Rolle als »Orden« – mit Ritualen, Symbolen, »heiligen« Orten. Als er auf die Wewelsburg bei Paderborn hingewiesen wurde, ganz nah bei der »germanischen Kultstätte« Externsteine, griff er sofort zu.
Auf dem Gelände einer mittelalterlichen Burg hatte der Paderborner Fürstbischof 1609 ein Schloss im Stil der Weserrenaissance errichtet. Seine Nachfolger verloren das Interesse; der Bau wechselte mehrfach die Besitzer. 1924 kaufte ihn der Kreis Büren und richtete ein Museum, eine Jugendherberge und ein Restaurant darin ein. Doch der Unterhalt des Kulturzentrums überforderte den Kreis; man war froh, als die nunmehr staatlich alimentierte SS das Haus nach 1933 übernahm.
Zunächst war von einer »SS-Schule« die Rede, doch bald schwebte Himmler ein Zentrum zur Erforschung des »Ahnenerbes« vor, wo sich außerdem SS-Führer in exklusivem Rahmen treffen konnten. Die »Totenkopfringe« gestorbener SS-Oberen wollte der ritterromantisch phantasierende »Reichsführer« auf der Wewelsburg in einem Schrein aufbewahren; für Notzeiten plante er, einen Gold- und Silberschatz zu verstecken. Wie Himmler »seine« Wewelsburg sah, zeigt ein Brief an SS-Obergruppenführer Seyß-Inquart Ende 1940: »Ich freue mich sehr, wenn ich Sie in diesem Jahr an ein paar ruhigen Tagen auf der Wewelsburg als meinen Gast begrüßen kann. Die Stille und die Beschaulichkeit der Burg wird uns die Muße und die Gelegenheit geben, uns über viele wichtige und letzte Dinge unterhalten zu können.« Einmal im Jahr wollte Himmler alle seine Obergruppenführer auf der Wewelsburg versammeln; doch ist es nur im Juni 1941 dazu gekommen: Der »Reichsführer« machte die Runde mit dem Plan vertraut, die Bevölkerung der Sowjetunion um 30 Millionen Menschen zu dezimieren. »Weltanschauliche« Einstimmung auf Völkermord.
Die Wewelsburg sollte für derartige Zwecke ausgebaut werden; den monströsen Plänen wäre das gesamte Dorf Wewelsburg zum Opfer gefallen. Die Knochenarbeit, was Wunder, hatte man Sklaven zugedacht; im benachbarten Niederhagen wurde ein KZ eingerichtet. Allerdings kam es nur noch zum Bau einer SS-Wache im altertümlichen Stil und zu »wehrhaft-mittel-alterlichen« Umgestaltungen am Schloss. Dazu zählte der Wiederaufbau des Nordturms mit einem nie genutzten »Obergruppenführersaal« und einer Art Krypta.
1945 wurde die Wewelsburg gesprengt und brannte aus. Nach der Restaurierung zogen wieder eine Jugendherberge und ein Museum in den Renaissancebau. Dazu gehörte seit 1982 eine kleine Präsentation zur NS-Vergangenheit des Hauses. Ihre fällige Erneuerung war ein heikles Unterfangen: Wegen konsequenter Geheimhaltung während der Nazizeit hielten sich hartnäckig Legenden um die Wewelsburg; an NS-Hinterlassenschaften wie das »Sonnenrad«-Mosaik im »Obergruppenführersaal« knüpften Nazis und esoterische Spinner ihre Fäden.
Der Kreis Paderborn packte das Nazitier bei den Hörnern und kam zu einer keineswegs provinziellen Lösung. »Ideologie und Terror der SS« verknüpft nun die NS-Geschichte der Wewelsburg mit einer einzigartigen Gesamtschau zur Geschichte der SS. Und obwohl vieles gezeigt wird, das in anderem Kontext NS-Devotio-nalienfreunde erschauern ließe, lädt die Schau nirgends zu positiver Identifikation ein. Das Material spricht nicht für, sondern gegen sich; es entlarvt sich selbst als hohlen Kitsch und wird stets kontrastiert mit dem grausigen SS-Alltagsgeschäft, dem der Firlefanz höhere Weihen verleihen sollte.
Im ehemaligen SS-Wachgebäude wird man zunächst ins Kellergeschoss geleitet und arbeitet sich hoch, von den Anfängen der SS bis zum Ende, von der Weimarer Vorgeschichte der Wewelsburg bis zum bundesrepublikanischen Nachleben. »Arbeiten« ist wörtlich zu nehmen: Die Informationsdichte ist extrem hoch, und die Ausstellung ist zwar nicht unanschaulich, aber spröde genug, um wohliges Gruseln im Ansatz zu ersticken. Der Effekt wird gestützt, indem die ehemaligen SS-Räume so nüchtern ausgestaltet sind, dass sich die ursprünglich intendierte pseudo-mittelalterliche Gemütlichkeit nicht durchsetzt.
Zu ebener Erde führt der Rundgang hinüber zu Krypta und »Obergruppenführersaal« im erstmals frei zugänglichen Nordturm der Burg, wo die einst beabsichtigte Raumwirkung geradezu ironisch gebrochen wird: Statt das große »Sonnenrad«-Mosaik auf dem Fußboden abzudecken, platzieren die Ausstellungsmacher orangene Sitzsäcke und kleine Regale darauf. Besucher können sie wegschieben – dann werden sie bald wieder zurückbugsiert. Teile des »Sonnenrades« bleiben immer sichtbar, aber die knautschigen Sitzsäcke an der Stelle angemessen wuchtigen NS-Mobiliars nehmen dem Symbol jede Wirkung.
Die NS-Schaustücke in den Vitrinen des Wachgebäudes dagegen wirken – allerdings gerade-zu schmerzhaft peinlich. Der vielzitierte, von Himmler an alle SS-Familien verschenkte »Julleuchter« zum Beispiel: Da steht er, 20 Zentimeter hoch, aus braunroter Keramik, mit Runen und einem Herzchen darin, wie das Modell eines Dixi-Klos in »rustikal«. Man muss einfach an Hannah Arendts Wort von der »Banalität des Bösen« denken. Selbst »Ehrendolche« und Himmlers Totenkopfringe, von SS-Größen heiß ersehnt, erinnern nur an geschmacklose Erkennungszeichen einer Jungens-Piratenbande.
Als verlogenen Kitsch entlarvt die Ausstellung auch Himmlers gesamtes Wewelsburg-Projekt. Die geplante Überbauung des ganzen umliegenden Dorfes reduzierte nicht nur die angebliche Verbindung mit »germanischen« Wurzeln zu hohlem Geschwätz. Auch Himmlers Gewese um »Sippe« und »Scholle« erweist sich als Enttäuschung für NS-Nostalgiker, die den Nazis Sinn für Familie und Heimat attestieren möchten. Alle Dorfbewohner hätten der Super-Wewelsburg weichen müssen, umgesiedelt wie Millionen andere, irgendwohin »in den Osten«, wo man ja den Platz freimordete – wie besprochen in der Wewelsburg.
Die Frage, wie das alles hat sein können, beantwortet auch diese Ausstellung nicht. Im Gegenteil: Man spürt sie nur noch quälender. Aber das ist ein Kompliment.
Tel.: 02955/7622-0. www.wewelsburg.de