TEXT: KATJA BEHRENS
Schon 1917 hatte Marcel Duchamp mit seiner radikalen Geste, ein Urinoir zu signieren, es um 90 Grad zu kippen und das Keramikstück zum Kunstobjekt zu erklären, das Konzept des schöpferischen Künstlerindividuums zur Disposition gestellt. Die Fotografie von Alfred Stieglitz zeigt »Fountain« als signiertes, aufgesockeltes Objekt, durch eine ausgefeilte Lichtregie kontrastreich inszeniert. Von nun an arbeiten sich die Künstler daran ab, entweder das genuine, das großartige Werk zu retten. Oder eben, auch nach Dada und Surrealismus, den von Duchamp eingeschlagenen Pfad weiterzugehen. Alltagsgegenstände, massenmedial verbreitete Bilder, der eigene Körper – alles wird angeeignet oder verwendet, verwandelt, reproduziert, wiederholt. Dass irgendwann auch die Fotografie einlenken und das Künstlersubjekt und mit ihm das singuläre Werk in Frage stellen würde, war nur eine Frage der Zeit.
Der amerikanische Künstler Ed Ruscha hatte stets ein etwas ambivalentes Verhältnis zur Fotografie, dennoch war es gerade dieses Medium, das ihn mit den konzeptualistischen Strömungen der Kunst um 1960 verbinden sollte. Seine Serien, etwa »Twentysix Gasoline Stations« aus dem Jahre 1963, gelten auch heute noch als Ikonen der konzeptuellen Fotografie. Nicht wegen ihrer besonderen Bildlichkeit, sondern gerade wegen des Fehlens jeglicher ästhetischen Aufladung waren die Aufnahmen etwas Besonderes: 26 Tankstellen entlang der legendären Route 66. Nüchtern und unspektakulär kamen die neuen Bilder daher. Weder ihr Format noch ihr inhaltlicher Gestus entsprachen dem bislang gültigen Kanon des Bildermachens. Charakteristisch für den neuen Stil und die neue Auffassung des Fotografischen ist die Ästhetik des Amateurhaften, des Dokumentarisch-Beiläufigen. Die alten Hierarchien werden außer Kraft gesetzt, formal und inhaltlich geht es von nun an »demokratischer« zu. Das Künstlergenie hat ausgedient. Anstatt, wie es bislang üblich war, dem kunstvoll komponierten und technisch brillanten Einzelbild und seiner Einzigartigkeit zu huldigen, sind auf einmal banale Motive wie Tankstellen, Motels oder Parkplätze bildwürdig, werden endlos wiederholt oder variiert. Dan Graham, Richard Prince, John Baldessari, Cindy Sherman und Kollegen schaffen Serien von unvergleichlich gewöhnlichen Dingen, Bilder, die an die der Werbung andocken, an Filme, Versandhauskataloge oder was eben sonst verfügbar war.
Auch der Düsseldorfer Künstler Hans-Peter Feldmann setzt mit seinen fotografischen Arbeiten dort an. Die Serie »Alle Kleider einer Frau« von 1974 besteht aus 72 kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien, deren absichtsvolle Kunstlosigkeit jene fehlende Großartigkeit zum Ausdruck bringt, die das besondere Merkmal der konzeptuellen Fotografie geworden war. Geniekult und die Idee des auratischen Werkes werden unterlaufen, indem der Künstler seine Fotos etwa als unlimitierte und unsignierte Bücher veröffentlichte und so einem großen Publikum anbietet: Ein dezidiert unkünstlerischer Gestus, der die Konzepte von High und Low, Original und Kopie ebenso zu Disposition stellt wie das institutionalisierte Betriebssystem Kunst als Ganzes. Bezeichnenderweise haben die Arbeiten Feldmanns meist noch nicht einmal einen Titel.
Und: Gerade erst ist der 70-Jährige mit dem Biennal Hugo Boss Award ausgezeichnet worden und hat das gesamte Preisgeld, 100.000 Dollar, in Ein-Dollar Noten an die Wände des Ausstellungsraumes im New Yorker Guggenheim Museums geklebt, hat damit eine ironische Installation geschaffen, die an die radikalen Gesten der Bilder- und Kunstmarktstürmer der 1960er Jahre anknüpft. Der Traum des Dagobert Duck.
Bereits in den 1950er Jahren haben Hans und Walter Bechtler aus der Gründerfamilie der Schweizer Luwa AG und Zellweger AG begonnen, zeitgenössische Kunst zu sammeln, haben Eingangshallen und Sitzungsräume ihrer Firmen mit gegenstandslosen Wandreliefs und Bildern ausgestattet und so Mitarbeiter, Kunden und Besucher irritiert; haben die Alberto Giacometti-Stiftung in Zürich initiiert und überhaupt allerhand Kunst-Engagement gezeigt. Die Söhne Ruedi und Thomas Bechtler führen heute die familiäre Tradition fort, haben die Sammlungstätigkeit um 1990 aber neu ausgerichtet. Von nun an wird Fotografie gekauft, »ein interessantes, junges, ein aufregendes Medium«, das offenbar auch Ruedi Bechtler selbst gepackt hat: Von ihm sind ebenfalls einige Arbeiten in der Ausstellung zu sehen.
In der beleuchten Werkgruppen und Hauptwerke der Konzept- und Performancekunst der 1960er- und 70er Jahre das Verschwinden der »Bildaura«, betonen die »apparative Dimension der Fotografie«, die seriellen Zusammenhänge und selbstreferentiellen Bildkonzepte, die, wie etwa bei Sophie Calle und Valie Export, die Fotografie mit der Performancekunst verbinden. Sie untersuchen die postmodernen Bildaneignungen der Appropriation Art bei Sherrie Levine und Louise Lawler bis zur Wiederkehr des Bildes in den großen Tableaus, die seit den 1990er Jahren entstehen, sowie alle Mischformen, Verschränkungen, Wiederaufnahmen und Anverwandlungen. »Wir wollten nicht einfach viel Geld ausgeben, um die sogenannte kanonische Fotogeschichte aufzuarbeiten, das war nie unser Interesse.« Bice Curiger, Herausgeberin der Zeitschrift Parkett, Kuratorin am Kunsthaus Zürich sowie Direktorin der 54. Biennale von Venedig 2011, hat gemeinsam mit Christina und Ruedi Bechtler in den letzten 20 Jahren deren Sammlung aufgebaut – eine Sammlung, in der letztendlich doch vor allem die großen, bekannten Namen eines US- und eurozentrischen Fotokanons vertreten sind. Das ist ein bisschen schade, denn gerade in der jüngeren Fotografie finden sich auch jenseits der etablierten Zentren wichtige Entwicklungen und Wendungen, die ein Licht auf Relevanz und Zeitgenossenschaft des Mediums Fotografie werfen.
Seit den 1980er Jahren ist die Serie indes keineswegs mehr die dominante Produktionsform. Jetzt lässt sich wieder eine stärkere Fokussierung auf das Einzelbild beobachten, mit der Folge, dass Künstler wie Gregory Crewdson, Andreas Gursky, Hiroshi Sugimoto oder Thomas Struth Großformate schaffen, die wieder auratisch und einzigartig sein dürfen: motivisch und inhaltlich dicht, technisch brillant und präzise. In der Sammlungsausstellung prominent vertreten sind etwa Leuchtkastenfotos des kanadischen Künstlers Jeff Wall, große Tableaus von Andreas Gursky wie »Niagara Falls« oder Thomas Struths »El Capitan. Yosemite National Park, California«, die beide an die heroische Landschaftsfotografie eines Ansel Adams anknüpfen. Die klassische Idee des Meisterwerks ist zurück. Unübersehbar wird die Wiederkehr des Bildes am Kunstmarkt ausgiebig gefeiert.
Und heute? Die gegenwärtige Praxis der Fotografie bedient sich nicht mehr nur einer, sondern verschiedener und teils sehr unterschiedlicher Bildstrategien. Die Schweizer Sammlung in Bonn zeigt einen kleinen Ausschnitt einer langen, großen Erzählung, die man immer wieder mit Vergnügen und Gewinn lesen kann. Die aber längst nicht zu Ende ist.
»Through the Looking Brain« Eine Schweizer Sammlung konzeptueller Fotografie. Kunstmuseum Bonn 30. Juni bis 25. Sept. 2011. Tel.: 0228/77-6260. www.kunstmuseum-bonn.de