TEXT: ANDREAS WILINK
Es ist – nach dem Comic »Waltz with Bashir« – der zweite Film aus Israel über den Krieg, der anders aussieht als alles, was sonst von dieser Kino-front kommt.
Geknickte Sonnenblumen, prall, dass die Stengel ihre Blüten nicht mehr halten können: ein Feld, friedlich und unberührt, so weit das Auge reicht. Mit einem Unschuldsbild beginnt und endet »Lebanon« von Samuel Maoz, nur dass sich zum Schluss etwas verändert hat in dem Panorama. Ein Panzer steht in all der Blumenpracht – eine gestrandete Hoffnung, wie das Schiff in den Schollen des Eismeers auf dem Gemälde des C.D. Friedrich.
6. Juni 1982, erster Tag des Libanonfeldzugs. Im Innern des Panzers mit vier Mann Besatzung steht geschrieben: »Der Mensch ist aus Stahl, der Panzer ist aus Eisen.« Aber in diesem Film scheinen beide Metalle zu schmelzen im gehärteten Lichte dessen, was geschieht. Der heute 48-jährige Maoz vermochte das für ihn befreiende Debüt, das in Venedig den Goldenen Löwen erhielt, erst mit 25jähriger Verzögerung nach dem eigenen traumatischen Erleben niederzuschreiben und zu inszenieren.
Wenn Buchheims/Petersens »Boot« beklemmend war, dann hat man für die Situation in dem Tank keinen Ausdruck mehr: die bedrängende heiße Enge, der Gestank, das Rumpeln bei jeder Bewegung, der Höllenlärm, den die Kriegmaschine drinnen wie draußen produziert, das Ausgeliefertsein in dem schwerfälligen, wehrhaften und zugleich wehrlosen Koloss, die beschränkte Sicht, die sich den Soldaten (und dem Zuschauer) nur durchs Fadenkreuz des Peilgeräts eröffnet.
»Lebanon« sperrt uns mit ein. In dem Panic Room Panzer wird das klassische Psychokammerspiel-Format physisch verdichtet. Die wie in eine Büchse gezwängten blutjungen Kerle sind dem Druck nicht gewachsen – sie kotzen, weinen, rasten aus. Es beginnt mit einer Straßenblockade. Der Feuerbefehl gilt einem Pkw, der der Einheit entgegen braust und in dem arabische Terroristen vermutet werden. Der Panzerschütze versagt zunächst, so dass aus dem Auto heraus Schüsse fallen können, ein Israeli tödlich verwundet und zum »Engel« wird, wie der militärische Code es nennt. Das nächste nahende Auto erhält keine Warnung mehr. So wird ein Farmer mit seinem Hühnertransport zum Opfer. Die verkohlten Leichen des Federviehs, flatternde Leiber verendender Tiere und der zuckende Körper des schreienden Bauern, den eine Kugel verstummen lässt, bildet nur den Auftakt für eine Reise ins Herz der Finsternis. Der Panzer wird in ein Grenzdorf kommandiert, das schon von Israels Luftwaffe bombardiert wurde, und gerät zwischen den Ruinen in eine Falle.
Die Bilder stehen für sich. Wir atmen mit den Soldaten, sehen mit ihren Augen, empfinden mit ihnen den Horror der Gewalt, des Tötens, des Leidens: eine außer sich geratene Mutter, deren Kind soeben im Feuer starb, die sich nicht beruhigen lässt und niedergestreckt wird; die versteinerte Miene eines alten Kaffeehausbesuchers, dessen Tischnachbar blutüberströmt zusammengesackt ist; der Kadaver eines zerschossenen Esels; ein wimmernder Syrer, den die Israelis gefangen nahmen und vor zwei christlichen Falangisten schützen, die ihn mit Folter bedrohen; schließlich der Tod eines der Panzerfahrer.
»Lebanon« ist nichts weniger als die Fortsetzung von Goyas »Desastres de la Guerra« und Picassos »Guernica«-Gemälde mit filmischen Mitteln. Die Orientierungslosigkeit der vier Männer schärft sich, gerade weil Samuel Maoz auf jeden Kommentar und politische Parolen verzichtet, zum Psychogramm der gesamten zerrissenen Nation.
»Lebanon«; Regie und Drehbuch: Samuel Maoz; Darsteller: Yoav Donat, Itay Tiran, Oshri Cohen, Michael Moshonov; Israel 2009; 92 Min.; Start: 14. Oktober 2010.