TEXT: KATJA BEHRENS
Vor 37 Jahren fand im George Eastman House in Rochester, New York, eine Gruppenausstellung statt, die niemand sehen wollte: »New Topographics. Photographs of a Man-altered Landscape«, Fotografien der von Menschen geprägten Landschaft. Heute gilt sie als eine der wichtigsten Fotografie-Ausstellungen des späteren 20. Jahrhunderts. Lewis Baltz, einem der teilnehmenden Künstler, wird jetzt in Bonn eine große Retrospektive ausgerichtet, die Wandel und Kontinuität seiner Kunst untersucht. Eine umfassende Überblicksschau eines Fotografen, der nicht beim einmal gefundenen Erfolgsmodell stehen blieb, sondern das Medium klug erweiterte. Auch im 21. Jahrhundert ist Fotografie noch aktuell.
Was William Jenkins, Kurator und selber Fotograf, damals, 1975, in den Arbeiten der Kollegen fand, war ein neues Interesse an der von Menschen geschaffenen Landschaft, der zunehmend suburbanisierten Welt und die Auflehnung gegen die Tradition der idealisierenden Landschaftsfotografie. Die Ausstellung war eine Ode an das Gewöhnliche, eine Feier des Alltäglichen, hatte sie doch die unspektakulären Ecken der urbanen und halburbanen Alltagswelt und die Ränder der Landschaft zum Motiv. Bildmotive der zwölf New Topographics-Fotografen waren die Straßen und Parkplätze, die Strommasten und Shopping-Malls, die Industriebrachen und Fertigungshallen, Motels und Vergnügungsparks einer vorsichtig globalisierten Welt. Es war nicht mehr die erhabene Natur, sondern die zu habende moderne Welt, die nun ins Visier geriet.
Große Tore, Gebäudeecken, Fenster, verputzte Wände, Stromverteiler, leere Plakatwände und andere geometrische Formen und Flächen – die Motive, die der 1945 geborene Baltz Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre im Westen Amerikas findet und fotografiert, sind Prototypen einer industriell gefertigten Moderne, die mit ihren immergleichen Architekturmodulen ganz Kalifornien, Baltz’ Heimatstaat, überzieht. Gleichzeitig spricht der Künstler in seinen Bildern von der modernen Kultur, die diese anonymen Module als Lebensformen erdacht und gemacht hat, von einer Lebensform, die sich in Architektur und Landschaft niederschlägt.
So gehören die »Prototype Works« (1967–76), die bislang selten als ganze Serie gezeigt wurden, mit den »Tract Houses« (1969–71) und »The New Industrial Parks Near Irvine, California« (1974–75) zu den frühen Arbeiten, die die faszinierende und verstörende Transformation der amerikanischen Landschaft in ein endloses Areal kommerzieller Architektur dokumentieren. Mit diesen Bildern von Lagerhallen, Industriegebieten, öden Brachlandschaften und Baustellen, von Motelzimmern, heruntergelassenen Jalousien und Feuerleitern ist der kalifornische Künstler früh schon bekannt geworden. Heute wirken die Bilder freilich etwas wehmütig, sind doch viele der fotografierten Landschaften nicht nur Teil des vielbeschworenen Images eines freiheitsliebenden Amerika. Sie sind auch Tableaus einer Identifikation und Selbstbeschreibung, die längst entzaubert ist.
Baltz zeigte damals, 1975, seine »New Industrial Parks«, formal strenge, die Fläche betonende Bilder, die ihre Nähe zur Minimal Art offenbaren, aber die vorsichtige Brechung schon in sich tragen: Was ist der Preis des vermeintlichen Fortschritts? »Park City« (1980) und »San Quentin Point« (1986) sind Teile der Trilogie, die die Krise von Technologie und Gesellschaft anhand der Landschaft reflektiert. Holzpfosten, Isolierkabel, Verteilerkästen, Müll, ausrangierte Autos.
Schon die gesichtslosen Tract Houses, die den amerikanischen Traum vom eigenen Haus in einer Wohnsiedlung für jede Mittelschichtfamilie für einen kurzen Moment mit der Wirklichkeit versöhnten, sahen bald aus wie Geisterhäuser. Die sozialen Risse, die das Familienmodell in den 60er Jahren bekam, als die »Woodstock-Generation« die elterlichen Häuser verließ, um an den Universitäten des Landes zu protestieren, zeigen sich an den Fassaden, die Lewis Baltz in Kalifornien fotografierte. Es ist dieser leise gesellschaftspolitische Unterton, den schon die frühen Serien ankündigen, und den die späten Arbeiten ganz zweifellos in sich tragen.
Auch in seinen eigenen Texten, Aufsätzen, Kritiken zu anderen Künstlern ist Baltz stets vor allem an der politischen Dimension künstlerischer Ansätze interessiert. »In dieser Hinsicht konvergiert der Fokus des Autors mit demjenigen des Fotografen Lewis Baltz, denn auch dessen Werk lässt sich nicht auf die Dominanz einer formalen Bildsprache eines Frühwerks beschränken. Rückblickend erscheint die für seine frühen Serien immer wieder reklamierte Nähe zum Minimalismus eher als eine Art Mimikry, um die gesellschaftspolitische Dimension der Architektur zu thematisieren.« So schreibt Stefan Gronert, Kurator der Bonner Ausstellung, in seiner Einführung zur deutschen Publikation von Baltz’ Texten – und formuliert damit zugleich eine These der Ausstellung.
In seinen folgenden Serien »Nevada« (1977) und »Candlestick Point« (1984–88) bezieht Baltz nach und nach immer deutlicher Kontext und Hintergrund mit ein: weggeworfene Haushaltsgeräte, zerschossene Kühlschränke, Haufen von Autoreifen. Und doch, es ist immer noch die alte, die industrielle Welt, die sich hier abbildet.
Mit »89/91, Sites of Technology« wird dann der Übergang von der industriellen zur postindustriellen Welt erkennbar. Der Künstler lebt inzwischen in Europa, in Paris und Venedig. Die High-Tech Arbeitswelt hat sich hinter die spiegelnden Fassaden der Konzernzentralen, in die Gehäuse der Computer, in Kabel und Leitungen zurückgezogen, in die abstrakten Grafiken, Diagramme, Tabellen. Jetzt sind die Kanäle, in denen sich Wissen und Können bewegen, unsichtbar. Auf einmal gibt es nichts mehr zu fotografieren, weil die realen Dinge sich nicht mehr sichtbar manifestieren. Baltz’ Fotografien lüften das Geheimnis der Technologie nicht weiter, sie reproduzieren es.
Jetzt stehen spiegelnde Stahlwände und Halogenlampen in der Echokammer, hell leuchtende Neonschriften, sterile Flure und Büros für die neue Welt. Die Oberflächen bleiben versiegelt. Überwachung und Kontrolle sind Teil der neuen Arbeitswelt, Überwachungskameras liefern die verschwommenen Bilder, denen der Künstler wiederum verschwommene Menschenbilder und minimalistisch anmutende Ausschnitte entnimmt.
So ist Baltz’ »89/91 Site of Technology« auch der Versuch, die Krise der fotografischen Repräsentation nachzuerzählen. Gelegenheit dazu bietet sich ihm, als er von der französischen Mission Photographique Transmancheeingeladen wird, den ökonomischen und sozialen Wandel der Region Nord-Pas-de-Calais zur Zeit des Kanaltunnelbaus zu dokumentieren. Also untersucht er die neuen elektronischen und digitalen Technologien, die den Wandel mitbewirkten. Das Projekt ist das erste dieser Art. Es folgen Aufträge in Japan, Toshiba und Mitsubishi, für France Telekom, Opel in Rüsselsheim und viele andere. Immer noch ist der urbane Raum, sind Architektur, Landschaft, Ökonomie und Ökologie zentrale Themen; was sich nun allerdings ändert, ist die Herangehensweise. Er gibt die kleinformatige Schwarzweiß-Fotografie in Serien auf, stattdessen entstehen großformatige Einzelbilder in Farbe, motivisch und inhaltlich dicht und auf den Punkt, technisch brillant und präzise. Das Bild darf wieder großartig und einzigartig sein. Häufig aber ist es jetzt öffentlich, im Bahnhof, auf Plakatwänden, in Leuchtkästen. Der leise kritische Unterton des Dokumentaristen wird deutlich politischer. Und globaler. Besonders deutlich ist dies in der »Power Trilogy« (1992–95), die in ihren drei Teilen »Die Nachtwache«, »Gehorsame Körper« und »Die Politik der Bakterien« die Bedingungen untersucht, unter denen wir in einer zunehmend elektronischen Welt leben.
Kunstmuseum Bonn, 10. Mai bis 2. Sept. 2012. Tel.: 0228/77-6260. www.kunstmuseum-bonn.de