TEXT: ANDREJ KLAHN
Um es mal in der Sprache derer zu sagen, die zu der Zeit, als Roger Ballen mit der Kamera durch die südafrikanischen Dörfer zog, in dem Land das Sagen hatten: So leben weiße Neger. In den 1980er und 1990er Jahren reiste der 1950 in New York geborene Ballen durch die Randzonen eines von der Apartheid gezeichneten Landes, um in den »Dorps«, kleinen Gemeinden, und auf dem »Platteland« zu fotografieren. Dort begegnete er Menschen, die nicht zum Selbstverständnis der Buren passten, die aber, historisch gesehen, der selbsternannten Herrenrasse angehörten: Tagelöhner, Dienstboten oder Minenarbeiter.
Von der klapprigen Tür, die in die »Dorps« hineinführt, aufgenommen 1983 ausgerechnet in »Hopetown«, blättert zwar die Farbe, doch sie ist allemal stabil genug, um die Hoffnung draußen zu halten. Eine Reihe von Stühlen mit aufgeplatzten Polstern vor schmutziger Wellblechwand, ein alter Mann, der in gebeugter Haltung vor einer Wand mit Pin-ups steht, wobei ihm das Vitalitätsversprechen schwer auf den gebeugten Schultern zu lasten scheint – so trostlos bieten sich die »Dorps« dem Betrachter dar.
Doch es sind die Zwillinge Dresie und Casie, die Ballen 1993 im Westen der Provinz Transvaal für die Reihe »Platteland« aufnimmt, die bis heute exemplarisch für seine schwarzweiße, an Diane Arbus erinnernde Schonungslosigkeit stehen, mit der der seit 1981 in Südafrika lebende Fotograf den Porträtierten begegnet – so unsentimental, wie Walker Evans ein halbes Jahrhundert vor ihm die Armut der amerikanischen Landarbeiter dokumentiert hatte. Zwei disproportionierte Gesichter, große, abstehende Ohren, viel zu breite Hälse, auf denen schmale Köpfe aufruhen, verstört-feindselig starrende Blicke, ein vollgekleckertes Hemd. Die Wirkung dieses und anderer Bilder ist unmittelbar und stark, Ballens Bilder aber zielen nicht auf vordergründige Schocks. Deshalb ist der Betrachter gut beraten, sich zu fragen, was ihn da bisweilen so unangenehm berührt. Ist es die Lust an der vermeintlich schamlosen Indiskretion? Oder der Schauder vor der latenten Aggressivität, die in vielen Aufnahmen spürbar ist?
Dass der Bildband »Platteland« 1994 in Ballens Wahlheimat Südafrika trotz internationaler Anerkennung so kritisch diskutiert wurde, führt der Fotograf nicht zuletzt auf die historische Umbruchssituation zurück, in der sich das Land zu dieser Zeit befand. Im Jahr des Erscheinens von »Platteland« wurden die ersten freien Wahlen abgehalten, aus denen der »African National Congress« als Sieger und Nelson Mandel als Präsident hervorgehen sollte. Die weiße Bevölkerung war zutiefst verunsichert, und die Bilder der Verwahrlosten, die Ballen von seinen Reisen über das »Platteland« mitbrachte, waren nicht dazu angetan, sie zu beruhigen.
Ballen selbst will seine Aufnahmen der 1980er und frühen 1990er Jahre jedoch nicht als politische Kommentare zur Zeit missverstanden wissen. In der Tradition einer südafrikanischen Dokumentarfotografie, die die Kamera als Waffe im Kampf gegen das Apartheidsregime handhabte, verortet er sich nicht. Spätere Serien wie »Outland« (2001), »Shadow Chamber« (2005) und »Boarding House« (2008) changieren dann auch deutlicher zwischen Dokumentation und surrealer Inszenierung; sie erzählen kaum zu dechiffrierende Geschichten, rätselhaft und unheimlich.
Roger Ballen. Fotografien 1969–2009; bis 17. Juni 2012 im MartA Herford. www.marta-herford.de