TEXT: ANDREAS WILINK
Kriegsbilder. Nahkampf Mann gegen Mann – auch davon versteht Steven Spielberg etwas. Was er extrem in Szene setzte, als er Private James Ryan und Kameraden in der Normandie unter dem Beschuss deutscher Kanonen am Atlantikwall landen ließ, zeigt er nun ein Lebensalter früher auf dem Schlachtfeld von Jenkins’ Ferry in Arkansas: Nord gegen Süd, Blau gegen Grau, Weiß gegen Schwarz. 1864, bald geht der Sezessionskrieg ins vierte Jahr. Am Ende wird er 700.000 Tote gekostet haben. Auf das Gemenge im Dreck und Blut folgt eine Lektion in Bürgerkunde. Abraham Lincoln empfängt junge Soldaten, zwei hell- und zwei dunkelhäutige, letztere bekommen weniger Sold und dürfen nicht Offizier werden. Aber alle Vier sprechen druckreif, sind argumentativ gerüstet und haben die guten Gründe für den Bruderkrieg am Schnürchen, als würden sie (und Spielberg) uns Aufklärungsunterricht in Verfassungspatriotismus erteilen. Schon in dieser ersten Begegnung erscheint Lincoln als Monument, wie es im Memorial der Hauptstadt in Stein gehauen thront; da macht es auch nichts, dass der grandiose Daniel Day-Lewis ausschaut wie Gregory Peck als Kapitän Ahab. Jede Einstellung – ein Bekenntnis. Nicht zuletzt auch mit Blick auf den derzeitigen Amtsnachfolger Obama, den Spielberg in den Mantel der Geschichte seines Vorgängers hüllt.
In Washington will der Präsident, dessen jüngster Sohn Fotografien betrachtet, auf denen Negerkinder für ein paar Hundert Dollar zum Kauf angeboten werden, in seiner zweiten Amtszeit dem Kongress einen Antrag zur Abstimmung vorlegen, der die Abschaffung der Sklaverei (»fortan und für immer frei«) im 13. Zusatzartikel der Amerikanischen Verfassung einschreibt. Er ist umstritten, selbst bei Teilen seiner republikanischen Partei, bei den oppositionellen Demokraten sowieso. Die Gegner fürchten zudem, dass ein möglicher Frieden der Union mit den elf konföderierten Staaten durch den Paragraphen gefährdet würde. Die Zweidrittelmehrheit scheint mehr als unsicher.
Über lange Strecken hat Spielberg einen in düsteren Brauntönen gehaltenen Debattenfilm gedreht, in dem komplizierte juristische Fragen erörtert werden, auch ihre sozialen und staatsrechtlichen Konsequenzen (was bedeutet es für die Mehrheitsgesellschaft, vier Millionen Schwarze integrieren zu müssen) und zuvörderst die religiösen und moralischen Implikationen. Man hätte das eher einem Robert Redford zugetraut. Dramatisches Feuer (auch dank der Drehbuch-Dialoge von Tony Kushner) schlägt sich aus den parlamentarischen Duellen, vor allem in den Auftritten des hinreißend knorrigen, rhetorisch brillanten radikal-republikanischen Abgeordneten Thaddeus Stevens (Tommy Lee Jones), der mit seiner farbigen Haushälterin Tisch und Bett teilt. Ihr bringt er das Dokument der Emanzipation mit nach Hause, nachdem schließlich die Abstimmung knapp gewonnen ist.
Spielbergs Lincoln wird in Amerikas Gedächtnis eingehen: als einsamer Schmerzensmann, auf seinem letzten Ganz nur begleitet vom Klang einer Trompete und meistens umhüllt von John Williams’ bei Beethoven ausgeliehener Musik. Und als großer Puritaner gemäß dem Credo »Man gewinnt seine Lasten lieb«; verpflichtet dem Ethos der Beständigkeit, mürbe, gebeugt und in stetem Ringen mit sich selbst, seiner Frau (Sally Field), seinem ältesten Sohn, der partout die Uniform anziehen will, mit seinem Volk, das noch nicht reif ist für die Demokratie. Hier wirkt ein zweiter Moses, der am liebsten, wie er seiner Mary anvertraut, nach der Kapitulation des Südens und dem Friedensschluss von Appomattox ins Gelobte Land reisen würde zu den Ursprüngen der Könige David und Salomon. Es bleibt ihm verwehrt, so wie Moses das Betreten Kanaans. Vorher stirbt der Präsident durch die Kugel eines Attentäters.
»Lincoln«; Regie: Steven Spielberg; Darsteller: Daniel Day-Lewis, Tommy Lee Jones, Sally Field, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt; USA 2012; 145 Min.; soeben angelaufen.