TEXT: ANDREAS WILINK
Nicht »Singin’ in the Rain«, sondern Fighting in the Rain, aber mit ebensolcher choreografischen Grazie und Grandezza. Mit einem Wasserballett sprühender Tropfen, flutenden Regens, fliegender Leiber und wehender Kleider beginnt »The Grandmaster«, Wong Kar-Wais Hommage an das Martial-Arts-Kino und seinen Superstar IP Man. Wir sehen die äußeren physischen Abläufe und hören die weisen konfuzianischen Sentenzen der Kungfu-Kämpfer (»Nur der gewinnt, der stehen bleibt.«, »Die Macht der Klinge liegt im Verborgenen«), aber erkennen kaum deren tiefere Bedeutung, die religiöse und spirituelle Dimension dieses Rituals, das auf Präzision, nicht auf Zerstörung gründet. Das Vokabular bleibt eine Fremdsprache, deren Codes sich nicht knacken lassen.
1936 im südchinesischen Foshan; IP Man (Tony Leung Chiu-Wai) ist 40 Jahre alt, stammt aus wohlhabender Familie, ist höflich, zuvorkommend, kultiviert, verheiratet mit einer Schönheit, die ihm zwei Kinder schenkt. Er erlebt den dauernden »Frühling« seines Lebens. Dann bricht mit einem Feuersturm der »Winter herein«: die japanische Besetzung, der Verlust seiner Lieben, die Enteignung. Er behält nur seinen Stolz. Es folgt der Bürgerkrieg. Wir treffen ihn wieder in seinem Exil in der britischen Kronkolonie Hongkong, wo er sich als Ausbilder in einer Kungfu-Schule bewirbt und jemand sein Schüler wird, der bald auf seine Weise den Westen erobert: Bruce Lee. Parallel wird die Geschichte der Kämpfer-Dynastie Gong erzählt. Der Altmeister Gong dankt ab, ohne dass er die Niederlage im Duell als Erniedrigung empfindet. Seine Tochter Gong Er (Zi-Yi Zhang) sieht das nicht so sportlich, sie will die Ehre zurückgewinnen, nimmt den Kampf gegen den Newcomer IP Man und den gewissenlosen Ma San auf, der sich von den Japanern korrumpieren lässt und seinen Lehrer Gong im Streit tötet. IP Man und Gong Er treffen sich Hongkong wieder, wo sie als Ärztin traditionelle chinesische Medizin praktiziert.
Wong Kar-Wai und sein Kameramann Philippe Le Sourd haben einen betörend schönen Film geschaffen, der nicht allein von der Inszenierung der wirbelnden Fäuste und Füße bestimmt wird, sondern von schwebenden und statischen Bildern, wie der Prozession für den toten Gong in einem weiß-schwarzen Panorama, das jedem Museum Ehre machte.
»The Grandmaster«; Regie: Wong Kar-Wai; Darsteller: Tony Leung, Zi-Yi Zhang, Wang Qing-Xiang; Hongkong/China 2013; 123 Min.; Start: 27. Juni 2013.