TEXT: INGO JUKNAT
Es gibt Worte, die Konzert-Promoter nicht gerne benutzen. Ganz oben auf der Verbotsliste steht: »experimentell«. Mit experimenteller Musik hausieren zu gehen, ist ein wenig so, als bezeichnete man das Essen bei der Schwiegermutter als »interessant«. Es ist ein Code für: schwer genießbar. Insofern muss man den Mut des Denovali Swingfests bewundern, die eigene Veranstaltung als »Festival für experimentelle Musik« zu verkaufen. Aber es geht wohl nicht anders. Eine Klammer, die sämtliche Künstler im Programm zusammenhielte, gibt es einfach nicht.
Drei Tage dauert die Veranstaltung in der Essener Weststadthalle, in dieser Zeit hören aufgeschlossene Gäste so ziemlich alles von dröhnenden Industrial-Sounds bis zu dahingetupften Piano-Melodien. Manche Musiker sehen aus wie finstere norwegische Death-Metaller – und sind es wahrscheinlich auch. Andere erinnern an fragile Feingeister aus dem Konservatorium. Schon alleine wegen dieser Mischung muss man das Denovali Swingfest mögen. Fast alle Festivals behaupten, ihrem Publikum etwas Besonderes zu bieten. Diese Konzertreihe tut es wirklich. Manche der in Essen auftretenden Künstler spielen in diesem Jahr nirgendwo anders in Deutschland.
Zur Beruhigung: Mit kopflastigem Geklöppel von Kunststudenten hat das Denovali bei allem Willen zum Experiment wenig zu tun. Ein Großteil der Musik ist sogar ziemlich eingängig. Das gilt besonders für die Klavierstücke. Die Pianisten bilden einen Schwerpunkt des Festivals. Manche, wie der Münchner Carlos Cipa, spielen das Instrument auf klassische Art. Andere, wie das britische Duo Piano Interrupted, kreuzen Klavierklänge mit elektronischer Musik. Und dann ist da noch die zierliche Engländerin Poppy Ackroyd. Sie präpariert nicht nur das Klavier, sondern auch die Violine, ihr zweites Hauptinstrument. Heraus kommen melancholische Instrumentalstücke, die immer ein wenig nach dem Soundtrack zu einem Jane-Campion-Film klingen (wer die idealen Bilder zu Ackroyds Musik sucht, sollte sich Campions neue Serie »Top of the Lake« anschauen).
Zu den Highlights des Festivals zählt der Auftritt des tschechischen Multiinstrumentalisten Tomáš Dvořák. Unter dem Pseudonym Floex spielt er atmosphärisch dichte Stücke, die irgendwo zwischen Elektronik, Nu-Jazz und Kammermusik angesiedelt sind. Dvořáks Hauptinstrument ist die Klarinette. Seit neustem begleitet ihn eine komplette Band, inklusive Sängerin. Wahrscheinlich gibt es kaum einen Act, der das genreübergreifende Konzept der Veranstaltung so sehr verkörpert wie Floex.
Das Denovali Swingfest ist auch ein Ort der Gitarrenwände, Echos und Ambientklänge. Exemplarisch für diesen Sound ist die Musik des Kanadiers Tim Hecker. Für langen Nachhall sorgen auch Bands wie Barn Owl, Field Rotation oder Witxes. Wem diese Künstler ein bisschen zu schwermütig sind, der sollte sich den Auftritt von Emika vormerken. Die britische Sängerin ist der Überraschungsgast beim diesjährigen Swingfest. Ihre Synthie-Hits sind fast schon poppig. Zumindest im Kontext dieses erstklassigen Festivals.
K.WEST präsentiert: Denovali Swingfest, 3.-6. Oktober 2013, Essen, Weststadthalle, www.denovali.com/swingfest