TEXT: STEFANIE STADEL
Ein Schiff auf hoher See. Sabine Moritz hat es in luftigen Strichen, Tupfen und gedeckten Tönen auf die Leinwand gebracht. Zufrieden ist sie allerdings noch nicht. »Ich werde die Farben wohl noch eine ganze Weile hin- und herschieben müssen«, sagt sie. »Damit so etwas wie Tiefe entsteht.« Doch an diesem Tag bleiben die Pinsel liegen. Die Staffelei ist an die Seite gerückt, und die vermischten Farbpasten trocknen ein – oben auf dem alten Arbeitswagen, den die Malerin als Palette benutzt. Wie oft habe sie sich schon vorgenommen, die Krusten abzutragen. Bisher fehlte ihr die Muße, so Moritz. Vielleicht kommt sie in den kommenden Wochen dazu. Denn nach vielen aufreibenden Monaten ist endlich etwas Ruhe eingekehrt.
Die Werkschau in der Wuppertaler von der Heydt-Kunsthalle läuft – es ist der bisher größte Auftritt in ihrer Karriere. Aber nicht der einzige, den Moritz in letzter Zeit bewältigt hat. Die Künstlerin zieht aktuell weite Kreise: Zuletzt stand Belgien auf dem Programm, außerdem größere Ausstellungen in London und in der Pariser Zweigstelle der New Yorker Top-Galeristin Marian Goodman. Alles sei sehr gut gelaufen, erfährt man von Moritz’ Assistentin. Die Künstlerin selbst hält sich mit solchen Erfolgsmeldungen zurück – ein zustimmendes Nicken muss reichen.
Ja, sie kommt an mit ihrer gut gemachten Malerei, auch auf dem Kunstmarkt. Obwohl Moritz dem Publikum weder Gefälligkeiten noch Sensationen zu bieten hat. Im Gegenteil – die Malerin übt Zurückhaltung in trüben oder zarten Tönen. Auch ihre Themen haben nichts Reißerisches: Blumen, Schiffe, Kinder, Häuser. Oft schwingen bei solchen Alltäglichkeiten biografische Bezüge mit. So gesehen zeichnet sich ein Bruch ab im jüngeren Werk, das den Zweiten Weltkrieg als Sujet ins Spiel bringt. Und dem Betrachter damit zuweilen einiges zumutet. Zwar sind es nie Szenen konkreter Gewalt, die Moritz ins Bild setzt. Doch kann das Ungewisse, bloß Angedeutete zuweilen intensiver und wohl auch nachhaltiger wirken.
AUF DEN ZWEITEN BLICK
Jene Frau mit dem weißen Kopftuch etwa geht einem nicht aus dem Sinn. Sie kehrt dem Betrachter den Rücken zu. Auch das Gesicht des Uniformierten neben ihr wendet sich ab. Gemeinsam schaut das Paar übers weite Feld, dem mildes Grün und Blau eine Ahnung von Frühling verleiht. Man mag etwas wie Zärtlichkeit in der Geste des Mannes erkennen – wie er seine linke Hand auf die Schulter der Begleiterin legt. Doch dauert es nicht lang, bis man die Waffe in der Rechten erkennt und begreift, dass er die Frau nur in die richtige Distanz für den Schuss schiebt.
Wie hier, so interessiert sich Moritz insgesamt selten für das Ereignis ansich. Viel lieber nimmt sie das Davor, das Danach oder das einfach Ungewisse in den Blick. Dieser Zug steht in Einklang mit Moritz’ Malweise, die den Gegenstand verunklärt, die Formen verwischt und Tatsachen durch Flecken und Schlieren verschleiert.
Eine, die sich heute noch ganz aufs Malen und Zeichnen konzentriert. Dabei immer wieder traditionelle Gattungen wie Stillleben und See-stücke aufgreift.
Eine, die in ihren Gemälden den Zweiten Weltkrieg zurückholt. Mit ihrer stillen Kunst fügt sich Moritz schlecht ins Klischee des jungen, multimedial versierten Aufsteigers. Sie ist keine Karrierekünstlerin. Hätte sie sonst über 40 Jahre gewartet, bis zum Schritt aus dem privaten Atelier hinaus aufs Kunstparkett?
Warum hat Moritz sich so lange Zeit gelassen? Vielleicht wegen der drei Kinder – inzwischen sieben, 18 und 19 Jahre alt. Oder doch eher wegen des Supermalers an ihrer Seite? Seit fast 20 Jahren ist die Künstlerin mit Gerhard Richter verheiratet. Sie rede nicht gerne darüber, sagt sie. Und das merkt man ihr auch an. Dahinter steckt wohl die Furcht vor dem Verdacht, sie könne von der Prominenz profitieren.
Wie ist es, mit der eigenen Kunst immer in der zweiten Reihe zu stehen? Versteckt hinter dem Rücken des großen Malerstars? »Ich habe mich gefühlt wie in einem Topf«, lächelt Moritz. Und fügt ernster hinzu: »Als würde ich ständig Fragen stellen, aber nie eine Antwort bekommen.« Nun also hängt sie ihre Fragen an die Wände der Galerien und Museen. Fünf Räume füllt Moritz damit in der von der Heydt-Kunsthalle. Die ältesten Arbeiten dort stammen aus Studientagen an der Düsseldorfer Akademie.
Es sind Erinnerungen an die DDR, die sie damals in den frühen 90ern mit Blei- und Buntstift zu Papier brachte. 1969 in Quedlinburg geboren, verbrachte Moritz Kindheit und Jugend in einer Plattenbausiedlung bei Jena. »Ich wollte das noch einmal aufzeichnen, festhalten«, sagt sie. Die faden Fassaden, die einfache Einrichtung, das Labor-Equipment der Eltern, beide Chemiker. 1985 hatte die 16-Jährige mit ihrer Familie die DDR verlassen. Im Anschluss an die Schule nahm sie 1989 in Offenbach das Kunststudium auf und wechselte zwei Jahre später nach Düsseldorf, wo sie zuerst bei Markus Lüpertz, später dann in Richters Klasse studierte.
Seit 20 Jahren lebt Moritz gemeinsam mit Gerhard Richter in Köln, inzwischen im noblen Stadtteil Hahnwald. Doch die erste Zeit wohnte die Familie in der Innenstadt, wo Moritz heute noch zeichnet und malt. Als Vorbilder dienen ihr die Blume in der Vase oder das Haus gegenüber. Häufiger aber greift Moritz auf Bilder aus Büchern oder Zeitungen zurück, die ausgeschnitten und sortiert in Ordnern oder Kisten lagern. Jeder und jede mit einem eigenen Label – »Leben / Menschen / Arbeit« steht darauf, »Hubschrauber / Raketen / Flugzeuge / Schiffe« auf einem anderen, auf einem dritten steht »2. Weltkrieg / Gedenkstätten / Vergangenheit«.
Einer ganz ähnlichen Ordnung folgt nun auch die Schau in Wuppertal: Vom Alltäglichen in den Bildern von Blumen, Häusern, Kindern schreitet man dort fort zu Schiffen und fragt sich bald, ob das vielleicht auch Kriegsschiffe sein könnten. Unversehens gerät die Idylle ins Wanken. Sie kippt, wenn Helikopter nahen und sich bedrohlich am Himmel formieren. Der Ausstellungs-Rundgang endet im Desaster.
Warum interessiert sie gerade der Zweite Weltkrieg? »Weil ich mich immer wieder frage, wie die Menschen das ausgehalten haben – und weil es noch immer nachwirkt.« Moritz hält einen Moment inne: »Vielleicht spielt auch die Idee eine Rolle, dass man die Zeit im Bild anhalten kann.« Da steht die Frau mit dem Kopftuch noch immer – vor jenem Feld im Frühling. Von einem Hoffnungsschimmer umfangen. Eben jene Ambivalenz ist es wohl, mit der Moritz den Betrachter in Atem hält.
Von der Heydt-Kunsthalle, Wuppertal. Bis 29. Juni 2014. Tel.: 0202 / 5636571. www.von-der-heydt-kunsthalle.de