TEXT: INGO JUKNAT
Das Gespräch hat er beinahe verschwitzt. Man sieht es ihm nach, Christoph Clöser hat viel zu tun in diesen Tagen. Morgen fliegt er zum Konzert nach Moskau. Wo seine Band genau auftritt, weiß er selbst nicht. Irgendwer wird es ihm sagen. Moskau ist beinahe Routine, vier- oder fünfmal haben Bohren & der Club of Gore dort schon gespielt. Die Russen mögen die Band aus Deutschland.
Sie sind nicht die einzigen. In den letzten 20 Jahren sind Clöser & Co. um die halbe Welt getourt. Die Fangemeinde ist international – wobei man das Wort »Gemeinde« durchaus wörtlich nehmen kann. Die Fans sind treu ergeben, bei Konzerten herrscht eine Andachtsstimmung, wie man sie im Pop nur selten erlebt. In London traten Bohren jüngst in einer Kirche auf. Die Reihen waren bis zum letzten Platz gefüllt.
Nun sitzt Clöser in einer Trattoria seiner Heimatstadt Köln, zwischen Marienbildern, Landschaftsgemälden und Ferrari-Devotionalien. Die drei anderen Bohren-Musiker wohnen in Mülheim an der Ruhr, auch Morten Gass, mit dem Clöser fast alle Stücke gemeinsam schreibt. Das mit der Kirche in London sei ein echter Höhepunkt gewesen. »Die Leute waren extrem enthusiastisch.« Wenn auch nicht im Sinne von Pfeifen oder Taktklatschen. Dafür sind die Songs viel zu langsam. Manche Menschen behaupten gar, Bohren seien die langsamste Band der Welt. Selbst Clösers Mutter findet, er könne demnächst mal »was Schnelleres« spielen. Es dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Das Schneckentempo gehört zur Markenidentität, daran wird vorerst nicht gekratzt.
Ansonsten sind Bohren offen für alles. Und das, obwohl die meisten Bandmitglieder aus der (eigentlich) strengkonservativen Metal-Szene kommen. Noch dazu aus besonders extremen Nischen wie »Doom« und »Grindcore«. Anfang der 90er wurde ihnen der Krach zu eintönig. Ein originellerer Sound sollte her. Also entschlossen sie sich, die Gitarren auszustöpseln, auf die Bremse zu treten und vom Doom-Metal nur noch die finstere Atmosphäre zu übernehmen. Das Ergebnis war eine Art apokalyptischer Zeitlupen-Jazz. Mit der Betonung auf »eine Art«.
EIN KLAVIER, EIN KLAVIER!
Fest steht: Von Metal ist das Ganze weit entfernt. Und doch hört man die musikalischen Ursprünge von Bohren wie das Echo eines längst vergangenen Urknalls. Das liegt auch am Umgang mit den Klangquellen. Manchmal scheint es, als wollten die Musiker ihre eigenen Instrumente unterwandern. Es gibt nicht viele Bands, die es schaffen, ein Mellotron bedrohlich klingen zu lassen. Oder Metal-Fans Saxofone unterzujubeln.
Auf der neuen Platte folgt prompt die nächste Zumutung. Hier spielt erstmals das Klavier eine tragende Rolle. Die Idee entstand aus Langeweile, erzählt Clöser. Nach einem Konzert in Moskau habe er sich an einen Flügel gesetzt und Bohren-Stücke improvisiert. Das Ergebnis gefiel der Band so gut, dass sie ein ganzes Album in diesem Stil eingespielt hat. »Piano Nights« heißt es. Auf dem Cover sieht man Clöser als ernst dreinblickenden Jugendlichen mit Rollkragenpullover am Klavier. Der Eindruck ist komisch, aber wer meint, Hülle und Inhalt seien ironisch gemeint, täuscht sich. Die ganze Barpiano-Nummer ist kein Scherz.
Augenzwinkern im Pop findet Clöser tödlich. Bohren nehmen ihre Kunst ernst. Das merkt man schon an den langen Pausen zwischen den einzelnen Alben. Sechs Jahre liegen zwischen »Dolores«, der letzten Platte, und »Piano Nights«. Dazwischen erschien eine EP mit »nur« drei Stücken, aufgenommen mit dem amerikanischen Avantgarde-Musiker Mike Patton (einem breiteren Publi-kum aus seinen poppigeren Tagen bei Faith No More bekannt). Bohren schrauben lange an ihren Songs, sehr lange. »Wir wollen Meisterwerke schreiben«, sagt Clöser, »und das schafft man nicht im Jahrestakt.« Hinzu kommt, dass die meisten Bandmitglieder noch andere Jobs haben. Co-Komponist Morten Gass arbeitet hauptberuflich bei RWE, Thorsten Benning und Robin Rodenberg sind Krankenpfleger. Clöser komponiert häufig fürs Theater, früher hat er auch mal im Zirkus gespielt.
Nun also »Piano Nights«, Bohren-Album Nummer sieben. Die Marschrichtung stand schnell fest: »Wir wollten eine romantische Schlager-Sehnsuchtsplatte machen.« Die Songtitel auf »Piano Nights« passen zu dieser Philosophie: »Bei rosarotem Licht«, »Ganz leise kommt die Nacht« oder »Komm zurück zu mir«. Bohren-typischer sind da schon »Im Rauch« oder »Fahr zur Hölle«. Privat hören sie so ziemlich alles, auch WDR4, sagt Clöser. Für die öffentlich-rechtliche Rotation wäre seine Platte wohl zu düster – und zu lang. Allein das Stück »Verloren (alles)« dauert mehr als zehn Minuten. Bohren selbst halten die neue Platte für ihre beste seit »Black Earth« von 2002. Wahrscheinlich haben sie Recht. »Piano Nights« ist eine großartige Halbwelt-Fantasie, ein Noir-Soundtrack für schlaflose Regennächte.
Über den Sound hat sich die Band – natürlich – lange Gedanken gemacht. Ein Flügel kam nicht infrage. Der Ton hätte »zu gut« geklungen für die Bar-Piano-Idee. Am Ende wurde das Album auf einem weniger edlen Klavier eingespielt. Mit durchgetretener Bremse, wenn man so will. Das dritte Pedal, gedacht als Dämpfer, war während der gesamten Aufnahme unten. Mit dem Resultat ist Clöser hochzufrieden: »Das klang irgendwie muffig. Ein Bombensound!« Drumherum wabern die anderen Instrument wie ein Nebel.
Mit diesen Songs haben es Bohren tatsächlich in die Charts geschafft – Platz 49, zehn Plätze hinter Michael Wendler. Beim Gedanken daran muss Clöser lachen: »Da fängt man an, über Deutschland neu nachzudenken.« Nicht, dass er seine Band grundsätzlich für intellektuell halten würde. Viele der vermeintlichen Subtexte hätten die Medien erfunden. Darunter die These, die Musik von Bohren sei ein Statement gegen Schnelllebigkeit und kurze Aufmerksamkeitsspannen. »Das wird uns oft angedichtet. Totaler Quatsch«, sagt Clöser, »wir klingen so, weil uns dieser Sound gefällt. Das ist alles.«
Wer hört diesen Sound denn eigentlich? »So ziemlich alle. Früher waren vor allem Metal-Fans auf den Konzerten, inzwischen ist das Publikum sehr gemischt.« Kurze Pause. »Da kommen sogar Frauen.« Auf das Konzert in der Kölner Philharmonie freut sich die Band. Schon wegen des Platzangebots auf der Bühne. Live stehen die einzelnen Musiker in Lichtinseln unter speziellen L.E.D.-Lampen, die nach und nach den Farbton verändern. Ansonsten gibt es nur noch einen Spezialeffekt: Nebel, sehr viel davon. Im Gegensatz zu anderen Instrumentalbands halten Bohren von Projektionen überhaupt nichts. Zu viel Ablenkung von der Musik.
Auch sonst lässt sich die Band von ihrer Umgebung nicht beeinflussen. Im Proberaum stehen keine Räucherstäbchen, und von Industrie-Klischees wollen Bohren erst recht nichts wissen. Clöser sieht es inzwischen locker: »Ich habe mich daran gewöhnt, dass wir als Ruhrgebiets-Quartett bezeichnet werden. Dabei spielt sich die Hälfte der Musik und 90 Prozent des Business hier in Köln ab.« Und was die vermeintliche Inspiration anbelangt: Die Schlote der Ruhr gebe es ja eh nicht mehr. Nur auf Plattencovern vielleicht. Zum Beispiel auf »Sunset Mission« von Bohren und der Club of Gore.
Bohren & der Club of Gore, »Piano Nights«, erschienen bei Pias/Rough Trade. Konzert am 9. Mai in der Philharmonie Köln im Rahmen des »Acht Brücken«-Festivals. www.bohrenundderclubofgore.de