TEXT: SASCHA WESTPHAL
Immer wieder gingen die Blicke der Spieler direkt zum Publikum. Im allgemeinen Chaos der Verwechslungen und Verdopplungen konnten ihnen nur die Zuschauer noch etwas Halt geben. Ihr wisst Bescheid, signalisierten diese Blicke und waren zugleich eine Warnung: Seid euch nicht zu sicher, auch eure Identität ist brüchig. Dieses offensive, dabei wunderbar offene Spiel mit dem Publikum hat nicht nur Dan Jemmetts Inszenierung der »Comédie des Erreurs«, die 2011 zu Gast beim Shakespeare-Festival im Globe Neuss war, geprägt. Es ist typisch für die Arbeit des in London geborenen Regisseurs, der ein Jahr später Shakespeares »Richard III.« in »Les Trois Richard« verwandelt hat. Aus dem deformierten Intriganten und Mörder wurde ein groteskes Komiker-Trio. Das Spiel um Macht und Mord als Einladung zum Lachen; aus dem Lachen erwächst eine Komplizenschaft, die uns an das komisch-schreckliche Scheusal kettet.
In Dan Jemmetts Augen ist das »elisabethanische Theater perfekt geeignet, einen Dialog zwischen Bühne und Publikum anzustoßen«. Und dieses Gespräch setzt er beim 25. Shakespeare Festival mit einer Neuinszenierung der selten gespielten dunklen Komödie »Measure For Measure« fort, die am 16. Juni Premiere hat. Shakespeares bizarres Wien, ein Operettenstaat, über den Herzog Vincentio als zynischer Puppenspieler herrscht, wird bei Jemmett zu einem Beerdigungsinstitut. Der Tod ist allgegenwärtig in dem Drama, das für den englischen Theatermacher in enger Verbindung zu einem anderen späten Stück Shakespeares, dem »Sturm«, steht: Wie Prospero versuche der Herzog, »die Widersprüche des Lebens aufzulösen, indem er sie fest mit seiner eigenen Sterblichkeit und der der anderen verknüpft«. Vincentio – ein alternder Zauberer im Reich der Toten, der nicht Herr wird über die Gespenster, die jeden von uns verfolgen.
Jemmetts »Maß für Maß« ist auch eine Art Geburtstagsgeschenk, das sich das Shakespeare Festival zum Jubiläum macht. Zum ersten Mal hat es selbst eine Inszenierung in Auftrag gegeben und bewusst ein Werk gewählt, das im Ruf steht, schwer fassbar zu sein. So will man die Auseinandersetzung mit den sogenannten »problematischen Stücken« des Autors vorantreiben und dem Ziel, einmal alle Werke des Dramatikers auf die Bühne des Globe gebracht zu haben, näherkommen. In den kommenden Jahren sollen weitere Auftragsproduktionen folgen.
Eröffnet wird das Festival allerdings mit einem seiner berühmtesten Stücke. Shakespeare at the Tobacco Factory, ein in Bristol ansässiges Theater, gastiert mit Polina Kalininas Inszenierung von »Romeo and Juliet«. Rastlosigkeit und das explosive Element von Baz Luhrmans Verfilmung erfüllt auch diese extrem energetische Produktion. Auf der von einem Karussell dominierten Bühne kann jeden Moment alles außer Kontrolle geraten.
Einen ähnlich direkten, zupackenden Ansatz verfolgt der brasilianische Regisseur Márcio Januário mit seiner Gruppe Cia Completa Mente Solta. Er geht allerdings noch deutlich weiter und überträgt die Geschichte und Figuren aus »Hamlet« auf die Lebensverhältnisse in den Favelas von Rio de Janeiro. Der suchende, zögernde Prinz von Dänemark ist in »Trans Hamlet Formation« (4. Juni) Stellvertreter all derjenigen Brasilianer, die angesichts der Gewalt und der Ungerechtigkeit verzweifeln und aufbegehren.
In den vergangenen Jahren haben Theatermacher und Bühnen, inspiriert von Luk Percevals epochalen »Schlachten«, mehrere Historienstücke zu großangelegten Tableaus zusammengefügt. Dem Trend folgt auch die bremer shakespeare company mit Johanna Schalls Produktion »Shakespeares Könige. Mord Macht Tod« (11. bis 14. Juni). Der Bogen reicht von Richard II. bis zu Heinrich VI. – ein Konzentrat, das die Mechanismen von Politik offenlegt und vor allem von der Schwäche der Herrschenden erzählt, die Lüge und Tod gebiert.
28. Mai bis 27. Juni 2015; Globe, Hammer Landstraße 2, Neuss.