Text: Alexandra Wach
Ein Meister des temporären Widerstands. Wann immer sich nur ein Zeitfenster auftat, ließ er die Geschäfte im Stich und flüchtete in eine Parallelwelt des rauschhaften Hortens. Obwohl ein Liebhaber asiatischer Kunst, war der Baron nie nach China gereist. Der 1882 geborene Sprössling einer adeligen Wuppertaler Bankiersfamilie kaufte bei Händlern in Paris und New York, was ihm wiederum regelmäßige Abstecher vom verordneten Arbeitsplatz ermöglichte.
Ein Banker, der in seiner Freizeit den Buddha-Look pflegt und in einer Attac-Gruppe den Ausstieg aus dem Kapitalismus übt. Nach so jemandem sucht man heute wahrscheinlich in der Finanzwelt vergeblich. Genau an diesem Alternativmodell fand Eduard von der Heydt aber sein Leben lang Gefallen. Auch als Sammler setzte sich der Deutsch-Schweizer keine Grenzen und propagierte die »Weltkunst«. Was ihn aber nicht daran hinderte, während des Zweiten Weltkriegs Finanztransaktionen für den deutschen militärischen Nachrichtendienst abzuwickeln. Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt in der Schau »Von Buddha bis Picasso« die Höhepunkte seiner weit verstreuten Sammlung und zeichnet die schillernden Lebensstationen nach: von Wuppertal bis Ascona.
Natürlich blieben auch seine gesammelten Schätze nicht an einem Ort. Zur Auswahl standen Villen am Berliner Wannsee, in Amsterdam und im maritimen Zandvoort, überfüllt mit Kunstwerken, die der Feingeist unhierarchisch in Dialog stellte: Van Gogh kombinierte er in diesen Privatmuseen mit mittelalterlichen Madonnen, Gauguin konkurrierte mit kambodschanischen Skulpturen, und Picasso musste gegen Kultgegenstände aus dem Kongo bestehen. Eine harte Kost für die nationalbewussten Zeitgenossen, die mit diesem Eine-Welt-Manifest wohl wenig anzufangen wussten, auch wenn gelegentlich selbst Kaiser Wilhelm gerne vorbeischaute.
Nur in dem Schweizer Domizil war das anders. Auf dem legendären »Monte Verità« oberhalb des Lago Maggiore war von der Heydt unter Gleichgesinnten. Zumindest was die Vorliebe für exzentrische Sinnsuch-Praktiken anging. Die Körper waren frei und entdeckten sich im Ausdruckstanz. Auf dem Gelände des eher überschaubaren Hügels standen selbst gebastelte Duschen, um die experimentierenden Künstler in der Sommerhitze zu erfrischen. Zu ihnen gehörten Hans Arp, Hermann Hesse, Hugo Ball oder Mary Wigman.
Die russische Malerin Marianne von Werefkin, selbst Mitglied des Wahrheitsclubs, lobte die Utopie-Perle in höchsten Tönen und reizte von der Heydts Sammelmanie: Für 160.000 Franken fand sich der wundersame Berg 1926 in seinem Portfolio und machte eine weitere Metamorphose zum Hotel durch – immerhin komplett im Bauhaus-Stil, worüber die traditionsbewussten Asconer nicht wirklich amüsiert waren.
Der neue Besitzer gönnte sich nebenan ein eigenes Holzhaus. Die Casa Anatta – heute eine Ruine, die demnächst wieder in Stand gesetzt wird – wirkte von außen schlicht, wenn auch deutlich größer als der Rest der Hütten. Den Wechsel vom Luxus in die Einfachheit einer Bergexistenz vollzog von der Heydt stilvoll. Zum täglichen Meditieren gesellte sich das obligatorische Schwimmen im Pool, wo der Genuss von Champagner nicht das Verzichtbekenntnis ausschloss.
Zivilisationsmüde Zweifler pilgerten in das Asketen-Paradies, bis der Zweite Weltkrieg die Stunde der Barbaren einläutete und von der Heydt nur noch eine Sorge umtrieb: Wie schützt man eine Sammlung, in der sich auch reichlich »entartete Kunst« befand, vor dem Zugriff der Nazis? Indem man Nähe zum Regime suggeriert und im Geheimen weiterhin seine abweichenden Vorlieben pflegt, samt der Freundschaft zum jüdischen Kunsthändler Alfred Flechtheim? Indem man Gelder für deutsche Auslandsspione über die eigenen Bankkonten passieren lässt und parallel Flüchtlingen auf dem Monte Verità Zuflucht gewährt?
1937 nahm von der Heydt die Schweizer Staatsbürgerschaft an und versuchte vergeblich, den Berliner Teil seiner Sammlung ins Ausland zu schaffen. Die Schweizer machten ihm nach Kriegsende trotzdem den Prozess, wenn auch ohne Verurteilung. Zu den Widersprüchen des Kosmopoliten passt auch, dass er 1946 seine außereuropäische Sammlung ausgerechnet der Stadt Zürich überließ, die ihm ein Museum versprach. Die passende Unterkunft fand sich schnell mit der Villa Wesendonck. Seit 1952 sitzt hier das Museum Rietberg, wo von der Heydts asiatische und afrikanische Kollektion, aber auch die Kuriosität schweizerischer Fastnachtmasken ein würdiges Ambiente gefunden haben.
In der bislang größten Ausstellung mit Werken aus der Sammlung des 1964 in Ascona verstorbenen Bankiers gönnt man sich nun die Zusammenführung der beiden Teile. Die der Stadt Wuppertal vermachte Gemäldesammlung der Moderne trifft auf die Zürcher Tempelwächter und Götterboten. Fotos der Originalwohnräume, in denen von der Heydt seinen Willen zum vorurteilsfreien Nebeneinander der Kulturen auslebte, dienen als Koordinatensystem für eine mit Sinn für den Zeitgeist rekonstruierende Ausstellungsarchitektur. Sie leuchtet die Etappen eines obsessiven Lebens mit der Kunst aus, das bis heute sicher Sehnsüchte weckt.
Von der Heydt-Museum Wuppertal, »Weltkunst. On Buddha bis Picasso«, bis 28. Februar 2016