Bernd Kowalzik gründete nicht nur den legendären Musik-Club Zeche Bochum mit, sondern baute auch das Label Roof Music auf. Seit seinem Tod führen seine Töchter es in seinem Geiste fort.
1978 war die Musikwelt noch eine andere. Mit Platten ließ sich noch richtig gut Geld verdienen und ein Quereinsteiger konnte mitten im Ruhrgebiet ein lukratives Label eröffnen. So gelang es zumindest dem Sozialpädagogen Bernd Kowalzik, der leidenschaftlicher Sänger in einer Bluesband war und irgendwann sein Hobby zum Beruf machte: Er gründete Roof Music in Bochum und verhalf damit dem damals noch unbekannten Helge Schneider zu Berühmtheit. Seit seinem Tod 2014 sind seine Töchter Karoline Mücke und Anna Meierling in die Leitung des Labes eingestiegen und manövrieren es im Sinne ihres Vaters auch durch schwierige Zeiten.
Bernd Kowalziks Idee war die eines Gesamtpakets: Ursprünglich hatte er Roof als Musikverlag gegründet. »Aber es war natürlich interessant, von den Künstlern, die man im Verlag betreute, auch Platten herauszubringen«, erzählt seine Tochter Karoline Mücke, die mit ihrem Mann Uli Mücke heute die Musiksparte der Firma leitet. »Und dann dachte er sich: Die müssen ja auch irgendwo auftreten!« Also kaufte Kowalzik mit Freunden die 1960 stillgelegte Zeche Prinz Regent in Bochum-Weitmar und gründet dort die Zeche Bochum als Live-Musikhalle und Disco. Für sie buchte er auch das Programm und organisierte legendäre Auftritte von Tina Turner oder Herbert Grönemeyer. »Das war gar nicht schwer«, sagt Karoline Mücke, »alle, auch die ganz Großen, wollten hier auftreten«. Teilweise ist das heute noch so, etwa Clueso oder Die Toten Hosen.
»Er hat Ruhe, Gelassenheit und Kompetenz ausgestrahlt.«
Karoline Mücke über ihren Vater
Die Schwestern sitzen direkt neben dem bis heute bestehenden Club Zeche im Gebäudeteil, in dem seit Jahrzehnten Roof Music untergebracht ist. Im offenen Büro im Erdgeschoss steht eine ganze Wand voller Schallplatten – ein kleiner Teil der legendären Sammlung des Labelgründers. »Er hat Ruhe, Gelassenheit und Kompetenz ausgestrahlt«, erinnern sich die Töchter, »die Künstler fühlten sich bei ihm immer wohl«. Bald stieg auch ihre Mutter Kristine Meierling in das Label ein, kümmerte sich erst um die Finanzen und dann um die neuen Bereiche Hörbuch und Literatur.
Das Engagement der Eltern wirkte sich natürlich auf das Familienleben aus: »Bei uns Zuhause lief immer Musik«, erinnern sich die Töchter, »Jazz, Blues, die Beatles oder Eric Clapton, der Lieblingsgitarrist unseres Vaters.« In den Anfängen kam es auch mal vor, dass die Kinder morgens leise sein mussten, weil ein Künstler nach einem Konzert oder langen Studio-Sessions auf dem Sofa übernachtet hatte – persönliche Betreuung war den Eltern wichtig und ihre Türen standen immer offen. »Sie hatten ein gutes Gespür für Künstler, bauten sie oft von Beginn an auf, lange vor dem großen Erfolg. Entscheidungen trafen sie häufig aus dem Bauch heraus«, sagt Karoline Mücke.
Helge Schneider habe ihr Vater auf einer ganz kleinen Bühne vor nur drei Zuschauern erlebt – und davon seien zwei gegangen. So lautet zumindest die Legende. Bernd Kowalzik war aber klar, dass er hier ein musikalisches und komisches Genie vor sich hatte – schließlich blieb es dem Label rund 40 Jahre lang erhalten.
Im Besprechungsraum hängen goldene Schallplatten wie sich das für ein Musiklabel gehört – allerdings haben einige von ihnen gar nichts mit Musik zu tun: Eine ging an das Hörbuch von Hape Kerkelings Bestseller »Ich bin dann mal weg«, in dem der Komiker seine Wanderung auf dem Jakobsweg beschreibt. Es hat sich über 700.000 mal verkauft. Eine weitere Auszeichnung für 100.000 verkaufte Einheiten (in die heute auch Streaming-Zahlen in einem bestimmten Verhältnis miteinfließen) bekommt diesen Herbst Elke Heidenreich für das Hörbuch zu ihrem Verkaufshit »Altern«.
Obwohl es unter dem Dach von Roof Music längst auch eine Booking-Agentur für Live-Auftritte und eine Literaturagentur gibt, die Sven Regeners »Herr Lehmann« an einen Verlag gebracht hat oder Campino von den Toten Hosen vertritt, bleibt der Vertrieb von Musik-Alben und Hörbüchern ein wichtiges Kerngeschäft. Das Geld, dass man mit vielgestreamten Musikstücken oder Hörbuch-Kapiteln erwirtschaften kann, ist weiter ein wichtiger Faktor. Ein Künstler, der dem Label immer die Treue gehalten hat, ist der Musiker und Entertainer Götz Alsmann. Ein relativer Neuzugang die Band Das Lumpenpack, die aus der Poetry-Slam-Szene kommt und musikalisch vom Punkrock inspiriert ist.
Offen für ungewöhnliche Ideen
Karoline Mücke hatte sie auf der Freiburger Kulturbörse erlebt und sofort ihr Potential zwischen klugen, hintersinnigen Texten und mitreißender Musik erkannt. Auch Das Lumpenpack bekommt das Gesamtpaket von Roof: »Wir sind ihr Management, Verlag, Musiklabel und ihre Booking-Agentur«, sagt die Geschäftsführerin. »Und wir sind auch gern bereit, bei ungewöhnlichen Ideen mitzugehen, die vielleicht erstmal absurd erscheinen: Das Lumpenpack hat als DHL-Boten verkleidet Wohnzimmergigs bei Fans gespielt – mit Schrammelgitarre und Mini-Schlagzeug.«
Schon während ihres Romanistik-Studiums an der Ruhr-Universität (RUB) merkte die Label-Chefin, dass es sie doch beruflich in die Richtung der Eltern zog. Sie beschäftigte sich mit dem komplizierten Regelwerk der Musikverwertungsgesellschaft Gema oder lernte, wie man Hörspiele erstellt. Später arbeitete sie wie ihr Mann und Roof-Geschäftspartner Uli Mücke bei großen Major-Labels: der EMI in Köln und Universal in Berlin. Das Know-How bringt sie jetzt in Bochum ein.
Ihre ältere Schwester Anna Meierling machte ein Volontariat bei einer regionalen Tageszeitung, betreute bei einer Produktionsfirma in Köln das Musikformat »Top of the Pops« und studierte Medienwissenschaften an der RUB. »Eigentlich wollte ich eher in der Medienbranche bleiben.« Dann aber fand sie es spannend, die Künstler von der anderen Seite aus zu begleiten. Inzwischen betreut sie neben dem Künstlermanagement den Hörbuch- und Literaturbereich des Labels.
Anna Meierling betreute auch den Podcast-Zweig, der erstaunliche Zugpferde aufgebaut hat. Jan Böhmermann, der von Roof beziehungsweise der Hörbuch-Sparte tacheles! lange vor seinem Massenerfolg seine Lukas-Podolski-Parodie »Lukas‘ Tagebuch« veröffentlichte, produzierte mit dem Label ab 2016 den Podcast »Fest & Flauschig«. Die kumpelhaften Unterhaltungen mit seinem Freund Olli Schulz gehören heute zu den meistgehörten Podcasts überhaupt. Auch Heinz Strunks »Familienaufstellung« startete mit Unterstützung von Roof Music, das auch zwei Tonstudios in Berlin betreibt – inklusive angeschlossener Künstlerwohnungen. Irgendwann ist Roof mit der Podcast-Sektion, die zuletzt extrem gewachsen ist, allerdings an Grenzen gestoßen: Der die Branche beherrschende Streamingdienst Spotify produziert nur noch selbst »und man bräuchte eine eigene Sektion nur für das Thema in Berlin, um richtig mitzuspielen«, so Anna Meierling: »Es gibt Gegenwind und die Zeiten ändern sich.« Aber sie bleiben mutig und entscheidungsfreudig. »Wir haben eine gesunde Basis, einen starken Backkatalog.« Und den hat nicht zuletzt ihr Vater aufgebaut.






