Ihr 40-jähriges Bestehen feiert die Düsseldorfer Kunsthalle am Grabbeplatz eher verhalten. Es gibt keinen Blick nach vorn, keine Vision für die Zukunft, lediglich einen Rückblick, der besser in einem Buch aufgehoben wäre. Nicht die Impulse der 1960er Jahre auf die Kunst der Gegenwart werden aufgearbeitet, sondern lediglich einige Aktionen, Performances und Happenings als »Cronik einer Nicht-Ausstellung« in Erinnerung gebracht, nicht live, sondern mittels Fotos und Videos. Die wenigen Stücke, die rekonstruiert wurden, wirken wie Relikte, die sich nicht reanimieren lassen.
»Between« lautet das Motto der Retrospektive und bezieht sich auf die Phase von 1969 bis 1973. Unter diesem Begriff rangierten die Lückenfüller zwischen zwei Ausstellungen – Kinderspiele, Protestaufrufe und Experimente, in denen das unmittelbar Aktuelle im Beisein von Publikum und Künstlerkollegen ausprobiert wurde. Vieles ist längst in die Kultur der Kindergärten eingegangen, wenn etwa die Gruppe »Haus-Rucker-Co« ein großes Trampolin aufblasen ließ und mit drei Bällen bestückte, die das Henkel-Logo »Der weiße Riese« trugen. Damals befanden sich tollende Menschenmassen auf den gigantischen Luftmatratzen. Heute ist der große Saal mit den aktualisierten »Persil«-Bällen leer. Wer will schon in einer Kunsthalle herumhopsen, wo man das doch in jedem Ikea-Laden tun kann und dabei viele Kinder als Mitspieler hätte?
Die »Zwischen«-Aktionen hatten eine wichtige Funktion für die Düsseldorfer Szene. Sie wirkten als Lockerungsübung in einer oft noch recht spießigen Umwelt. Hier wurden Dinge ausprobiert, die in kein herkömmliches Konzept passten. Was sollte sich Otto Normalverbraucher vorstellen, wenn Günther Uecker zwölf Stunden lang dünne Baumstämme mit dem Hammer bearbeitete, bis sie in Reih und Glied standen und eine »Plantage« bildeten. Oder wenn Peter Dürr in atemberaubender Höhe unterm Dach des Kinosaals schaukelte, als werde er gleich abstürzen. Ein anderes Beispiel war Johannes Stüttgen, der es endlos lang hinter einem Glas im Abstellraum aushielt und darauf wartete, dass jemand mit ihm und seinem kuriosen Telefon, bestehend aus einer halben Konservendose, Kontakt aufnahm. Künstler und Kunstgänger wurden mutiger, sie lernten voneinander und miteinander.
Das beste Spektakel lieferten Gilbert & George, ein damals noch recht unbekanntes junges Künstlerduo, das sich das Gesicht goldglänzend schminkte, einen Spazierstock zur Hand nahm und reichlich Zeit auf einem Bürotisch im Foyer des ersten Stockwerks verbrachte, um »Underneath the Arches« (Unterhalb der Brückenbögen) zu singen und dazu wenige Beinbewegungen zu machen. Heute würde das Star-Duo die Organisatoren der Kunsthalle vermutlich auslachen, wenn es den Auftritt wiederholen sollte. Ihre »Singenden Skulpturen« werden per Video übertragen: nonstop bis zum 9. April. Ein Tagesereignis von einst verlängert sich zum Zeitdehner.
Tony Morgan, von dem der Name der Veranstaltungsreihe stammt, hielt 1969 einen Lappen in einen Sud aus Farbe und Stärke. Beim Hochziehen erstarrte der Fetzen zu einem Stalaktiten: grandioses Beispiel für den Prozess-Charakter von Kunst. Heute baumelt das Ding als trauriges Memorial von der Decke, denn der Künstler lebt nicht mehr und sein Werk wirkt wie tot. Morgans These aber, »Die Schwerkraft macht die Form«, ist gängiges Gedankengut der Künstler geworden.
»Between« war Go in, Happening und Experimentierfeld für neue Medien. In der Kunsthalle zeigte der junge Student Franz Erhard Walther seinen ersten »Werksatz« nicht aus Farbe, nicht aus Bronze, sondern aus Tüchern. Die dünnen Objekte durften sich die Besucher umstülpen und mit ihnen herumspazieren. Nun sind die Kostbarkeiten unberührbar: reine Kunst geworden. An solche Begriffe dachte damals niemand.
Das »Zwischenspiel« ist eng mit dem Namen von Jürgen Harten verbunden, der nach der »documenta« 1968 zunächst als Stellvertreter und von 1972 bis 1998 als Leiter des Hauses am Grabbeplatz wirkte. Mit seinem pädagogischen und psychologischen Geschick schuf er im brav-biederen Deutschland eine erste kreative Freizone. Harten, der zuletzt von Berlin aus Düsseldorf die große Caravaggio-Ausstellung bescherte, war zudem ein Verhandlungsgenie. Während die Kunstakademie in den frühen 70er Jahren erstarrte und Leute wie Beuys und Immendorff vor die Tür setzte, suchte er das Gespräch mit den Künstlern und dem Publikum. Er nahm sie ernst. Und er witterte den neuen Geist bei noch Unbekannten wie Sigmar Polke oder Marcel Broodthaers, die dann selbst ihre Kunst kuratieren durften. Broodthaers wurde bei eine dieser Aktionen für Deutschland entdeckt, er begann seine Karriere mit dem fiktiven Museum am Grabbeplatz.
Lediglich ein Kunstraum konnte für die ren: der Nebelraum von Gotthard Graubner – so ungewohnt und unbequem wie ehemals. Erstmals stand der Betrachter nicht vor dem Bild, sondern im Bild. Laut und lustig ging es zu, die Besucher machten mit und freuten sich über jede Überraschung. Heute wird die Decke mit Folien geschützt, denn es darf kein Nebel in die Klimaanlage kommen und etwa den Rauchmelder auslösen.
Ursprünglich war Ulrike Groos als Kunst-hallen-Chefin und Nachfolgerin Hartens mit dem Vorsatz angetreten, das Modell »Between« gleichfalls anzuwenden, jedoch nicht als eigenständige Schau, vielmehr als Zwischenspiel. Für die Dauer von zwei Monaten aber lässt sich das beim besten Willen nicht recyceln. So wirkt »Between« wie jenes Ofenrohr von Joseph Beuys: Es existiert noch, hängt als Attrappe an der Fassade der Kunsthalle. Doch die Idee vom schwarzen Loch, das seit 1980 für den richtigen Durchzug im Haus sorgen sollte, ist längst abhanden gekommen, mitsamt jener Klappe, die den Luftstrom regulierte. Heute ist das Loch zugeklebt. So kann der Besucher nicht einmal ins Schwarze blicken. //