// »Draculas Drucker« hausen irgendwo im Gewerbegebiet. Oder vielmehr an den grauen, hässlich ausfransenden Rändern der Innenstadt Kölns, wo diese zwischen Lagerhallen, Fabrikgeländen und Mietskasernen allmählich ihren Charakter, ihre Berechenbarkeit verliert. Einen ausgeprägten Hang zum Glamourösen, zum Renommieren wird man ihnen also, bei der Wahl einer solchen Adresse, nicht unbedingt unterstellen können. Hier findet sich zwar nur ihre Werkstatt, hier kommen sie zusammen, um gemeinsam zu arbeiten. Aber auch zum Wohnen haben sie sich Stadtviertel ausgesucht, die gerade nicht durch Betulichkeit oder Bedeutungsschwere auffallen, genauso wenig übrigens wie sie selbst – Gert und Uwe Tobias.
Für unwiderstehlich aufstrebende Künstler-Stars, die mit ihrem sehr speziellen, sehr eindringlichen Stil gerade erst in Amerika gefeiert wurden, geben sich die beiden Brüder sogar auffallend ungespreizt. Dass sie, wie sie mehrfach betonen, das Bodenständige und Unaufgeregte bevorzugen, im Leben und in der Arbeit, nimmt man ihnen bedenkenlos ab. Vielleicht findet sich gerade deshalb in den Berichten über das Künstler- und Brüder-Paar ein solch aufgeregter, geradezu schriller Ton. Dass sie Zwillinge sind, entzückt natürlich die Presse, obwohl man den beiden das nicht unbedingt ansieht und schon gar nicht anmerkt. Und dann stammen sie aus Zentralrumänien, aus den mythen- und nebelumwucherten Karpaten, weswegen eben die beiden Siebenbürger Sachsen kürzlich vom aufgeregten »Kultur-Spiegel« als »Draculas Drucker« gefeiert wurden.
Dabei drucken die Brüder Tobias nicht etwa teuflische, ketzerische, irgendwie lästerliche Pamphlete, nutzen nicht Menschenblut. In ihrem Atelier entstehen, in intensiv leuchtenden Farben, mit kräftig-wuchtigen, bisweilen sogar expressiv anmutenden Konturen, meterhohe Riesen-Holzschnitte, wie man sie nie zuvor gesehen hat. Grandiose, überwältigende Arrangements von intensiven Farben und akrobatischen Formen. Selbst das große Atelier der Künstler wirkt zu klein für diese gewaltigen Tableaux. Dass hier, inmitten grauer Vorort-Ödnis, in irgendeiner schäbigen Lagerhalle, solche rasanten Arbeiten geschaffen werden, und dazu auch noch ausgerechnet in einem jahrhundertealten, heutzutage eigentlich doch nur noch skurril und verschroben anmutenden Medium – das ist nur eine der vielen Pointen, welche das alles andere als skurrile Künstler-Duett zu bieten hat.
Auch darin liegt zum Beispiel eine Pointe: Dass sie sich 2002 nach Abschluss des Studiums an der Braunschweiger Kunstakademie, wo sie der Rock’n’Roller Walter Dahn unter seine Fittiche nahm, im schrulligen Köln statt im halbstarken Berlin niedergelassen haben. Um von dort aus dann ganz unerwartet rasch die Metropolen zu erobern. Dies seit der Ausstellung ihrer Riesenholzschnitte in den Kölner Räumen der Galerie Michael Janssen, Titel »Come and see before the Tourists will do – The Mystery of Transylvania«. Damals griffen sie, ebenso drastisch-plakativ wie Camp-haft ironisch, die Titel einiger trashiger B-Pictures zum Dracula-Motivkreis auf – »I married a Vampire« oder »My Demon Lover« –, um daraus, und aus folkloristisch anmutender, knallbunter Ornamentik, diese monumentalen Drucke zu schaffen.
Zwar erschließt sich erst im persönlichen Gespräch mit den Brüdern, dass diese Serie gerade nicht auf jenen marktgängigen Effekt angelegt war, der von den meisten Exegeten in erster Linie wahrgenommen wird – Draculas Drucker! –, sondern aus zwei unterschiedlichen biografischen Motiven seine Spannung bezog: Der Rückbesinnung auf die eigene Herkunft, für die eine Sentimental Journey ins heimatliche Siebenbürgen 1999 den entscheidenden, bis heute nachwirkenden Anstoß bot. Und eben der ironischen Distanzierung vom allfälligen Transsilvanien-Klischee in stenzhafter Camp-Attitüde. Eine Masche ist daraus nur in der Berichterstattung geworden; den Künstlern selbst ist dieses allzu süffige »Dracula-Ding« ziemlich peinlich.
Doch seit diesem fulminanten Auftritt im Jahr 2004 reißen sich die – mitunter sehr namhaften – Kunstsammler um die Arbeiten von Gert und Uwe Tobias. Mittlerweile sind zahlreiche dieser Holzschnitte, von denen sie jeweils nur höchstens zwei Exemplare herstellen, auch von renommierten Museen angekauft worden, vom Hammer Museum in Los Angeles und vom Museum of Modern Art in New York zum Beispiel – an beiden prestigeträchtigen Orten waren sie im vergangen Jahr mit vielbeachteten Einzelausstellungen vertreten. Oder vom Bonner Kunstmuseum, wo jetzt vom kundigen Stefan Gronert der bislang größte Überblick über ihr Schaffen mit über 100 Arbeiten präsentiert wird. Natürlich werden dort auch die kolorierten Riesendrucke zu sehen sein, für deren originelle Herstellungstechnik, die dem altehrwürdigen Holzschnitt-Verfahren ganz neu-es, heftig pulsierendes Leben einhaucht, die Brüder mehrfach mit einschlägigen Preisen ausgezeichnet wurden. Mit einer speziellen Säge nämlich schneiden sie die einzelnen Holztafeln zurecht, färben diese in mehrfachen Durchgängen ein und fügen sie dann in der Manier eines Puzzles für den Abdruck zusammen; gedruckt wird übrigens mit dem eigenem Körpergewicht, mit den Füßen statt mit der Druckerpresse.
Man kennt solche monumentalen Formate, wenn überhaupt, nur aus den Zeiten Dürers und des Bauernkriegs. Damals benutzte man solche Holzschnitte, hergestellt aus mehreren zusammengesetzten Druckstöcken, um Weltkarten zu drucken oder Stadtansichten aus der Vogelperspektive, für die Darstellung großer Feierlichkeiten und festlicher Umzüge. Mit Mustern und Ornamenten überzogen, wurden Riesen-Holzschnitte auch zum Wandschmuck hergestellt. Als Tapeten für vornehme Patrizierhäuser in der Stadt wie vielleicht für abgelegene Landsitze in den Karpaten.
Gert und Uwe Tobias, die 1973 hier geboren wurden, in Siebenbürgen, in einem Dorf nicht weit von Kronstadt, eilt ein Ruf voraus, der so dunkel und geheimnisvoll schillert, der aus solch prägnanten Ingredienzien besteht, dass er von professionellen Image-Beratern nicht besser hätte erfunden werden können. Es beginnt ja schon damit, dass sie nicht nur Zwillinge sind, sondern dazu auch noch als Künstler-Duo eine symbiotische Arbeitsgemeinschaft bilden, ohne sich je über den konkreten Anteil des Einzelnen zu äußern oder diesen Anteil zu kennzeichnen: Alle Werke werden stets von beiden gemeinsam signiert, auch wenn sie in der Regel von einem
alleine ausgeführt werden. Außerdem, man darf dies wohl nicht unterschätzen, schwingt im Auftreten von Zwillingen stets jenes besondere, auch unheimliche Fluidum mit, das schon die Romantiker am Motiv des Doppelgängers faszinierte. Gerade weil sie in zweifacher Ausführung vorhanden sind, muten Zwillinge rasch unwirklich an, wie eine Fata Morgana.
Dann ist da eben die Provenienz aus Transsilvanien, aus der schaurigen Domäne des blutsaufenden Pfählers Vlad Tepes, der das Vorbild bot für Bram Stokers Dracula und all die Heerscharen von bösen, blassen Vampiren der Populärkultur zwischen Murnaus »Nosferatu« und Polanskis Vampir-Tanz. Dazu kommt, dass Rumänien noch einen weiteren namhaften Dunklen Lord besitzt, Nicolae Ceauşescu. Und eine solche Referenz mit gleichsam auf Knopfdruck abspulbaren Assoziationsketten ist natürlich Gold wert auf dem Kunstmarkt, wo die Fama genauso viel zählt wie die Ahnenreihe eines Zuchthengstes bei der Pferde-Auktion.
Die Tobias-Brüder, aus weltferner Gegend, aus einer marginalisierten Minderheit stammend, sind jedoch ab 1985 im biederen und eher diesseitigen Rüsselsheim aufgewachsen, wohin ihre Eltern auswanderten, mit nicht viel mehr Hab und Gut als eben in ihre Reisekoffer passte. Und von Dracula, dieser mythischen Figur aus der westlichen Popkultur, haben sie erst in Deutschland gehört. Irgendwann werden sie im Fernsehen den einen oder anderen dieser Vampirfilme gesehen haben, die meist damit beginnen – als rites de passage ist dies ja kanonisch –, dass der jugendliche Jonathan Harker mit der Kutsche durch die immer einsamer, immer gespenstischer scheinende Karpaten-Landschaft reist, bis er dann irgendwann ganz in das Geisterreich eintaucht. Als ein notorischer Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Alltag und Mythos, Menschen und Spukgestalten würde dieser unglückliche Held allerdings vorzüglich zur emblematischen Figur des ganzen Werks der Tobias-Brüder taugen.
Lässt sich dieses doch am ehesten so erfassen: Als ein Wandern eben, ein unbefangenes Herumstreunen zwischen ganz unterschiedlichen Welten. Wie in einem kunterbunten, tausendfach flimmernden, den Augen des Betrachters einen sensationellen Éclat offerierenden Fli-ckenteppich, werden in ihren Arbeiten die unterschiedlichsten Elemente mit frappierender Virtuosität – und erheblichem Sex-Appeal – zusammengewoben: Versatzstücke aus der traditionellen osteuropäischen Volkskultur mischen sich mit Inspirationen aus der Pop-Art der 60er Jahre. Folklore – florale Muster, die an Tischdeckchen, an Stickarbeiten keuscher Mädchen erinnern – mischt sich mit modernistischem Bauhaus-Chic. Figuren, die ans russische Bauerntheater denken lassen, begegnen totemhaften Erscheinungen, wie man sie in heidnischen Riten vermuten würde. Ikonografisches Strandgut aus der Welt der Siebenbürger Sachsen fügt sich zu elaborierten, oftmals auch ironisch anmutenden Zitaten aus der Kunstgeschichte. Man denkt unweigerlich an die russische Avantgarde, an die Moritaten-Stimmung in den Gemälden der legendären Künstler-Gruppe »Karo-Bube«, an die Feenwesen und Traumerscheinungen, wel-che die Werke jener Maler bevölkern, die zum Kreis der Zeitschrift »Welt der Kunst« gehörten, an die Hymnen auf das blockhaft dargestellte Bauernleben im Frühwerk des Kasimir Malewitsch, an die Kühnheiten der großen Formenjongleure Tatlin und Rodtschenko. An Paul Klees Fabelwesen natürlich, an Edvard Munchs Dämonen, an die maskierten Schießbudenfiguren James Ensors. In den Werken der Brüder wimmelt es von schillernden Untoten, von bemerkenswert virilen Wiedergängern aus einer vielleicht schon verloren, verschüttet geglaubten Geschichte.
All diese ganz unterschiedlichen Fäden laufen hier, in der chaotischen Werkstatt am Rand der Kölner Innenstadt, in dicken Strängen zusammen: Um von Gert und Uwe Tobias, den lässigen Mythen- und Geisterbeschwörern aus dem Sagenland am Rand der Karpaten, äußerst stilsicher zu bunten und poppigen Teppichen geknüpft zu werden. Zu Fliegenden Teppichen, auf denen sie bestens aufgelegt im tollkühnen Tempo die Bildwelten des 20. Jahrhunderts überqueren, von der klassischen Moderne am Montmartre bis zur New Yorker Pop Art, von der revolutionären Agit-Prop aus dem bolschewistischen Russland bis zur Traumfabrik Hollywoods. Vom abgelegenen Bauernhof in Siebenbürgen bis zum transsilvanischen Märchenreich.
Kunstmuseum Bonn, 5. März bis 12. Mai 2008. Tel.: 0228/776260. www.kunstmuseum.bonn.de