INTERVIEWS: ULRICH DEUTER UND STEFANIE STADEL
K.WEST stellte zwei Kunsthistorikern folgende Fragen:
1. Welche Neuigkeiten birgt Riegels Buch für Sie?
2. Wie beurteilen Sie Riegels Thesen? Vor allem die Behauptung, dass Beuys zeitlebens von völkischem Gedankengut bestimmt gewesen sei.
3. Muss sein Werk aufgrund der Hypothesen Riegels neu gedeutet werden?
4. Sollte man in der Vermittlung des Werkes nun andere Wege gehen?
BEAT WYSS, geboren 1947 in Basel, ist Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Vor einigen Jahren bereits äußerte er die Ansicht, Beuys habe in seinem Künstlerhabitus Ideen und Symbole verinnerlicht, die ihm als Hitlerjunge eingeimpft worden seien.
1. Im Umriss war die Vergangenheit von Beuys als Hitlerjunge und kriegsfreiwilliger Bordfunker seit der Biografie von Gieseke und Markert »Flieger, Filz und Vaterland« (1997) bekannt. Offenbar war die Zeit noch nicht reif, das Buch blieb kaum beachtet. Als ich 2009 in meinem Buch »Nach den großen Erzählungen« einige Fakten aufgriff, gab es zwar einen Sturm im Wasserglas, der sich aber schnell wieder legte. Ob sich das diesmal wiederholt? Neu an Riegels Beuys-Biografie ist die Akribie, mit welcher der Autor die einschlägigen Sachverhalte belegt. Überrascht hat mich der Umfang an Nazikontakten des Künstlers.
Ich hoffe, dass das Medienecho endlich auch Resonanz im kollektiven Gedächtnis findet. Die Gelegenheit ist günstig. Wir erleben momentan einen Generationenwechsel. Beuys vertritt ästhetisch Positionen der 68er-Bewegung, deren Vertreter jetzt in Rente gehen. Die nachrückende Generation ist nicht mehr bereit, die Mythologien der Selbststilisierung meiner Altersgruppe der Berufsjugendlichen unkritisch zu akzeptieren.
2. Beuys’ Begeisterung für das Völkische und für die nationalsozialistische Bewegung ist, zynisch gesagt, völlig normal. Wie Riegel aufzeigt, ist der Knabe ja in diesem Geist erzogen worden. Bei Günter Grass und Martin Walser war das nicht anders. Bei Schriftstellern scheint man aber weniger nachsichtig zu sein, während der Künstler als Edler Wilder gehandelt wird. Man sollte aufhören, im Künstler den guten Menschen und Heiler der Gesellschaft zu sehen. Künstler sind nicht besser, aber auch nicht schlechter als ihre Zeitgenossen.
3. Ich denke schon. Die selbstgestrickten Mythen des Künstlers sind kritisch zu analysieren. Allerdings bin ich nicht der Meinung wie Riegel, dass Beuys die Öffentlichkeit bewusst getäuscht hat. Sein Lebenswerk kann gelesen werden als der unbewusste Versuch der Selbstheilung von einem Kriegstrauma.
4. Das Werk von Beuys bleibt unangefochten von den biografischen Enthüllungen. Es wäre zu selbstgerecht, den Künstler posthum einfach dafür abzustrafen, dass er als Kind die Nazi-Ideologie verabreicht bekam. Mit seinen performativen Aktionen hat er durchaus versucht, ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte zu verarbeiten. Eine Mehrheit ist Hitler nachmarschiert. Ich denke, da regt sich der kollektive Widerstand der deutschen Kunstwelt: gegen die ernüchternde Einsicht, dass der große Joseph Beuys schlicht ein Kind seiner Zeit war und dass wir vielleicht mitgelaufen wären wie damals der Hitlerjunge aus Kleve. Ich hoffe, dass mit Riegels Buch ein neues Kapitel in der Beuys-Forschung aufgeschlagen wird. Verabschieden wir uns vom guten alten Bild des Kunstdruiden, der die Welt retten wollte, indem er die deutschen Städte in einen Eichenwald verwandelt.
ULF JENSEN, Jahrgang 1976, hat die große Beuys-Ausstellung 2010/2011 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 mitvorbereitet und wissenschaftlich begleitet. In seiner Dissertation beschäftigte sich der Kunsthistoriker mit dem Thema »Film als Form. Joseph Beuys und das bewegte Bild«.
1. Nach einigen Jahrzehnten oft verklärender, manchmal irreführender Literatur zu Joseph Beuys wäre die ausführliche Dekonstruktion der Mythen um die Künstlerfigur zugunsten seines Werks erfrischend gewesen. Riegel zählt dieses Œuvre allenfalls auf, und so reduziert sich der Gehalt des Lebenslaufs auf jene Abschnitte, mit denen er gegen die übersteigerte öffentliche Präsenz des Künstlers polemisiert. Allerdings ignoriert Riegel dabei völlig, dass in den vergangenen Jahren in der Kunstwissenschaft ein wahrnehmbarer Beitrag zur Analyse dieser Medienpräsenz als künstlerischem Konzept geleistet worden sowie eine Reihe von Forschungsbeiträgen zustande gekommen ist, die den Diskurs um Beuys in analytischem Ton bereichert.
2. Da sich »Die Biographie« mit ihren zahlreichen Quellenangaben in wissenschaftliches Gewand kleidet, ist es umso wichtiger, darauf hinzuweisen, dass Riegel an entscheidenden Stellen nicht analytisch, sondern suggestiv vorgeht. Vor allem dort, wo es um die Argumente geht, mit denen der Künstler in die Nähe »völkischen Gedankenguts« gerückt werden soll. Immer wieder werden da Zitate – offenbar absichtlich – sinnentstellend aus ihrem Zusammenhang gerissen. Die stärkste dieser Suggestionen geschieht auf der Bildebene. Im Bildteil in der Mitte des Buches sind einige bereits bekannte Porträts des Künstlers versammelt. Die einzige Fotografie, die aus diesem Schema herausfällt, ist das Porträt Karl Fastabends – des späteren Mitbegründers der »Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung« – in SS-Uniform. Auf der umseitigen Abbildung sieht man Beuys dann 1975 neben Fastabend sitzen. Damit ist die gesamte Biografie mit dem Emblem des Bösen abgestempelt, denn die Bildfolge inszeniert einen Pakt. Hier geht die »kritische Biographie« zu weit. Riegel türmt gleichsam einen Scheiterhaufen auf, an dem nun jeder zündeln kann, der sich die Mühe ersparen will, sich mit dem Werk des Künstlers auseinanderzusetzen.
3. Nein, es bleibt dabei: Ein fundiertes Bild von der Kunst des Joseph Beuys und ihrer Bedeutung entsteht nur, wenn man sich zu den Ordnungsprinzipien durcharbeitet, die das Œuvre durchdringen. Generell kann das Schrifttum von Wissenschaftlern und Journalisten dafür bestenfalls eine Anregung bieten. Wir sollten den Impuls für einen Museumsbesuch nutzen, um das eigene Beuys-Bild aufzufrischen!
K.WEST stellte drei Museumsleuten folgende Fragen:
5. Wie beurteilen Sie Hans Peter Riegels Behauptung, dass Beuys zeitlebens von völkischem Gedankengut bestimmt gewesen sei? Dass Beuys diese Ideologie in der ›Philosophie‹ Rudolf Steiners wiedergefunden habe, der er gefolgt sei? Dass Beuys sich nie von seiner jugendlichen Begeisterung für die Nazi-Welt und das Kriegshandwerk distanziert habe? Dass er nach dem Kriege regen Umgang mit Ex-Nazis gepflegt habe?
6. Ist Beuys’ Kunst auch von diesem völkischen Gedankengut durchdrungen? Und muss sein Werk jetzt anders gedeutet werden?
7. Werden Sie diese (nicht ganz so) neuen Erkenntnisse zu Beuys in der Ausstellung von dessen Werken in Ihrem Haus berücksichtigen?
ARIE HARTOG, geboren 1963 in Maastricht, ist Direktor des Bildhauermuseums Gerhard-Marcks-Haus in Bremen. 2005 kuratierte er eine Ausstellung über Beuys’ Verhältnis zu seinem Lehrer Ewald Mataré.
5. + 6. Für die Kunst von Joseph Beuys gilt: Wer die anthroposophische Gedankenwelt kennt, sieht mehr. Das gleiche gilt für Beuys und das völkische Denken, wobei es dann eher Beuys‘ Äußerungen sind, die Staunen und manchmal Schaudern (»Sprechen über Deutschland«) erwecken. Die kunsthistorische Forschung hat verschiedene Schichten im Werk von Beuys aufgedeckt (auch anthroposophische und in anderem Zusammenhang braune). Das Problem ist aber, wie diese Schichten gelagert sind – und welche heute Bedeutung haben.
Innerhalb eines Werkes von Beuys kann jedes Element zum Bedeutungsträger werden. Der einzige, der die intendierte Bedeutung kannte (und selektiv und oft wechselnd benannte), war der Künstler selbst. Es ging ja immer darum, dass der Haufen Fett und das Filz von irgendetwas handelten. Nie bloß herumlagen. Mit Beuys Tod verschwand der wichtigste Exeget, und damit verloren die Werke einen wesentlichen Teil ihrer Magie. Fett und Filz lagen nun herum, wie Ausstellungen in Berlin und Düsseldorf eindrucksvoll bewiesen.
In Beuys‘ Œuvre kann alles symbolische Bedeutung besitzen, und das hat also eigentümlicherweise dazu geführt, dass es seit seinem Tod an Inhalt verloren hat. Über Themen wie Anthroposophie und völkisches Denken bekommt das Werk in der Diskussion über das Buch von Hans Peter Riegel heute bestimmte Inhalte zurück. Aber es gibt viel mehr, und es gilt, das Alles (von den progressiven bis zu den völkischen Ideen) im Zusammenhang und ohne Angst zu untersuchen. Die Herausforderung scheint mir, diese Kunst in ihrer historischen Komplexität zu würdigen – und zu vermitteln.
Ich zeige Ihnen ein Bild von der Performance »Wie man einem toten deutschen Künstler das Hasenjagen erklärt« des israelischen Künstlers Joseph Semah von 1986. Darin erinnert der eine Joseph den anderen daran, dass Hasen in der europäischen Kulturgeschichte auch als Symbol für Juden galten. Der Hitlerjunge Beuys wusste das und so bekommt sein späteres Spiel mit toten Hasen eine weitere Bedeutungsschicht. Aber der Vorwurf gilt weniger Beuys als den Bewunderern, die sich immer da zurückzogen, wo es schwierig und kompliziert wurde – und nur noch vom größten deutschen Künstler in der romantischen Tradition schwärmten. (Und dass die anderen Hitlerjungs verstanden, worauf Beuys mit seinen toten Hasen anspielte, darf ebenfalls vermutet werden).
RON MANHEIM, geb. 1943 in Amsterdam, war Stellv. Künstlerischer Direktor des Museums Schloss Moyland mit seinem großen Bestand an Werken von Beuys. Er ist Projektkoordinator des Netzwerks Graphische Sammlungen NRW.
5. Sowohl »zeitlebens« als auch »bestimmt« halte ich für irreführende Begriffe. Völkisches Gedankengut war bei Beuys belegbar vorhanden und ist in Äußerungen noch bis in seine letzte Lebensphase hinein nachweisbar. Das heißt aber nicht, dass sein ganzes Denken und alle gesellschaftsutopischen und kunsttheoretischen Überlegungen immer von diesen Ansätzen geprägt gewesen seien. Es ist klar nachweisbar, dass anthroposophische Ideen sowie die entsprechende Denkweise auch bei Beuys immer wieder eine große Rolle spielten. Ihre Formulierung »der er gefolgt sei« lässt mir zu wenig Spielraum für das eigene und originelle Denken von Beuys, auch wenn dieses sich vielleicht nie ganz aus dem Rahmen der Anthroposophie entfernte. Über Beuys’ Umgang mit den Erinnerungen an die Nazizeit werde ich mich später in der Form einer eigenen Veröffentlichung äußern. Hier sei nur gesagt, dass eine dem Stand der zeitgeschichtlichen Forschung entsprechende Selbstbefragung bei Beuys nicht festgestellt werden kann. Ex-Nazis, insofern sie in Nürnberg nicht zum Tode oder zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, hatten und haben ein Recht darauf, als gesellschaftsfähig behandelt zu werden.
6. Die Frage, ob Beuys’ Kunst von »völkischem Gedankengut durchdrungen sei«, ist so allgemein wie die, ob das gesamte kompositorische Œuvre von Wagner von antisemitische Vorstellungen durchdrungen gewesen sei, und also schon als Frage wegen mangelnder Präzision abzulehnen. Die Frage ist aber sehr wohl zu stellen, ob in Werken von Beuys solche Ideen eingegangen sind. Da betritt man ein schwieriges Feld, da Beuys selbst sein Denken (und also auch sein Reden) zu einem Teil seiner Arbeit erklärt hat. Dies verpflichtet die Kunstwissenschaft aber nicht, diesem Gedanken zu folgen. Eine kritische Prüfung seines Œuvres auf solche Fragen hin gehört aber zu einer aufgeklärten kunsthistorischen Praxis.
BETTINA PAUST, geboren in Berlin, war ab 2002 Leiterin des Joseph Beuys-Archivs Museum Schloss Moyland und ist seit 2009 Direktorin des Museums mit seinem großen Bestand an Werken von Beuys.
5. Um Ihre Fragen ganz konkret zu beantworten: Es trifft nicht zu, dass »Beuys zeitlebens von völkischem Gedankengut« bestimmt gewesen sei, genauso wenig wie von nationalsozialistischem Gedankengut, was ihm seit Jahren in Wellen immer wieder versucht wird zu unterstellen. Diese Vermutungen wurden jetzt wieder erneut aufgeworfen durch die neue Biografie von Hans Peter Riegel. Und genau hier liegt die grundsätzliche Problematik begründet. Denn meines Erachtens hat der Autor diese Biografie mit seinem eingeschränkten und vorgefassten Blick auf Beuys angelegt. Seine aufwendigen Recherchen und seine Darlegungen sowie seine Vermutungen und Spekulationen dienen im Wesentlichen der Konstruktion eines spezifischen Bildes von Beuys, das der Autor vermittelt haben will. Warum zum Beispiel spielt in den inhaltlichen Ausführungen von Riegel über Beuys und Steiner die dazu erschienene wissenschaftliche Literatur keine wesentliche Rolle? Die Auseinandersetzung von Joseph Beuys mit den Schriften und Theorien Steiners ist in der Beuys-Forschung seit langem Thema, spätestens seit der Dissertation von Wolfgang Zumdick, erschienen 1995.
6. Da die Kunst von Joseph Beuys nicht von »völkischem Gedankengut« durchdrungen ist, ist auch keine andere oder gar neue Deutung möglich. Was allerdings von Nöten ist, ist eine differenzierte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Leben und Werk von Joseph Beuys, jenseits von Spekulationen und Stimmungsmache.
7. Hier kann ich mich nur wiederholen: Die Darlegungen von Hans Peter Riegel über die Auseinandersetzung von Beuys mit der Anthroposophie enthalten aus meiner Sicht keine Erkenntnisse, die bisher noch nicht thematisiert wurden. Deshalb wird die Biografie auch keine Auswirkung auf die Ausstellungspraxis der Stiftung Museum Schloss Moyland haben.
Hans Peter Riegel: »Beuys. Die Biographie«; Aufbau Verlag, Berlin. 2013, 595 S., 28 Euro