Was mit der »Kraft des Einfachen« gemeint sein könnte, darüber hat vielleicht die Villa Prieger etwas zu erzählen. In einer winzigen Nebenstraße der Bonner Adenauerallee in direkter Nachbarschaft zum ehemaligen Auswärtigen Amt gelegen, ruht das Anwesen unter hohen, dicht stehenden Bäumen. Wirkt edel, vornehm, ein wenig kühl – und auf den ersten Blick eher kompliziert. Denn der 1864 errichtete Bau zeigt nicht nur seinen klassizistischen Ursprungsstil, sondern mit derselben Entschiedenheit auch die jüngste architektonische Moderne, die die nach Kriegszerstörung ein halbes Jahrhundert als Ruine daliegende Villa Ende der 90er im Wiederaufbau selbstbewusst überformte.
Herausgekommen aber ist kein stilistisches Mix-Monstrum, sondern so etwas wie ein Stein gewordenes Zwiegespräch zwischen alt und neu – ein Dialog, dem man am besten im Inneren lauscht, wo in herrschaftlich hohen und hellen Räumen die klare Kraft der Moderne und die Ruhe der Tradition eine so gelassene wie anregende Stimmung erzeugen. Dieses Gebäude: uneitel, großzügig, selbstbewusst, steht es ein für das »Einfache«? Man käme nicht auf derartige Überlegungen, wenn nicht für den heutigen Besitzer der Villa Prieger, Carl Richard Montag, die »Kraft des Einfachen« ein zentraler Begriff seiner Lebensphilosophie wäre. Mit ihm als Richtschnur hat Montag seit den 50er Jahren den väterlichen Innenausstattungsbetrieb zu einem Immobilienkonzern ausgebaut; hat er gigantische Bauvorhaben wie den Bonner T-Mobile-Komplex errichtet; hat er die in der Jugend kaum begonnene Künstlerkarriere aufgegeben, um schließlich am Nachmittag seines Lebens zu einem der bedeutendsten Mäzene des Landes zu werden.
Mäzen aber ist ein Wort, das für den 1929 im Sauerländischen Geborenen offenbar schon wieder zu geschwollen klingt: »Ich möchte nicht gern in solche Kategorien eingeordnet werden. Nein, ich bin der Montag und mache das so.« »So« hat Carl Richard Montag vor knapp 15 Jahren folgendes gemacht: Er hat sein nicht unbeträchtliches Vermögen genommen und angefangen, Stiftungen zu gründen. 1992 die (mit heutigem Namen) »Montag Stiftung Bildende Kunst«; 1997 die »Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft« sowie 2005 die »Montag Stiftung Urbane Räume«. Seit 1999 sind diese Institute in der Villa Prieger sowie in umliegenden Gebäuden untergebracht – ein privat angelegter Campus ist entstanden, unter hohen Bäumen und mit Rheinanschluss, keine Geldvergabestelle, sondern ein Think tank, der Projekte der öffentlichen Kultur befördert.
Denn verschrieben haben sich Montags Stiftungen dem Gemeinwohl. Für Institutionen dieser Art der Normalfall; gerade hat beispielsweise die Krupp-Stiftung der Stadt Essen ein neues Folkwang-Museum geschenkt. So zu handeln wie Berthold Beitz aber käme Carl Richard Montag wohl nicht in den Sinn. Wahrscheinlich hätte er genug Geld, um der Stadt Köln eine neue Hauptschule in der Altstadt hinzustellen, wo die bestehende heruntergekommen ist, gleichzeitig aber ihre Umwandlung in eine Ganztagsschule bewältigen muss – »katastrophale Zustände, unter denen Kinder lernen und sich zu Persönlichkeiten entwickeln sollen«, hat Montag da »hundert Meter vom Dom« entdeckt. Hier käme eine Spende gerade recht. Spendieren aber werden die um Unterstützung gebetenen Montag-Stiftungen »Jugend und Gesellschaft« sowie »Urbane Räume« keine Euros, sondern Know-how. Da im Schatten des Kölner Doms noch weitere Schulen ihre Mängel verwalten, schlugen die Stiftungs-Fachleute vor, das ganze Viertel zu einer Art Bildungsquartier aufzuwerten. Nun sind sämtliche in Frage stehenden Schulen aufgefordert zu überlegen, welche gemeinsamen Einrichtungen sie nötig haben und was diese leisten sollten. Danach werden die Montag-Stiftungen Pläne für Neu- oder Umbauten erarbeiten und den so entstandenen »thematischen Schulverbund« so lange organisatorisch begleiten, bis er reibungslos funktioniert. Dafür stehen Berater zur Verfügung. Bauen oder umbauen aber soll nach dem Willen Montags die Stadt Köln selbst: »Ich bin ein Gegner der Privatisierung öffentlicher Werte. Der Beitrag der Montag-Stiftungen ist: Wir leisten uns Prozesse im Dienste des Schulträgers. Nicht als Konkurrent, sondern als Partner. Und wir übernehmen Verantwortung dafür bis zur baulichen Ausführungsreife.« – Kostenlos für die Stadt Köln? – »Natürlich!«
Ein ähnliches Vorhaben ist derzeit in Bonn auf dem Weg; hier tüftelt der Stifter selbst in jeder freien Minute an den Plänen für den Neubau einer Grundschule im Verbund mit einer Tageseinrichtung für Kinder sowie den Umbau einer weiteren Grundschule in eine Ganztagsschule. »Pädagogische Architektur« soll entstehen, die dem vermehrten Bedürfnis der Schüler etwa nach Begegnungsräumen, aber auch nach Geborgenheit Rechnung tragen soll. So verspricht es Frauke Burgdorff, die als Geschäftsführerin des landeseigenen Instituts »Europäisches Haus der Stadtkultur« jüngst von Gelsenkirchen in den Vorstand der Stiftung »Urbane Räume« nach Bonn gewechselt ist und nun die geistige Freiheit und regulative Unbeschränktheit ihrer neuen Arbeitsatmosphäre lobt. Eine Stiftung muss nicht auf dem Seil des Interessenausgleichs balancieren, die »Kraft des Einfachen« zu nutzen heißt für Carl Richard Montag nicht zuletzt, von Nebengedanken frei auf ein Ziel loszugehen. Dieses Ziel steht für ihn außer Frage: eine humanere Gesellschaft: »Da ich von Hause aus ein sozialer Mensch bin, habe ich mich immer verantwortlich gefühlt für den Anderen, für den Schwächeren.« Und: »Im Grundgesetz gibt es einen wichtigen Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wenn Sie das ernst nehmen, dann müssen Sie diese Gesellschaft umkrempeln, denn die Würde des Menschen wird überall verletzt.«
Montag wurde in seinem Engagement stark von dem Reformpädagogen Theo Eckmann inspiriert, der vor allem das Lern- und Entwicklungsverhalten behinderter Kinder erforschte; derzeit bemühen sich die beiden Montag-Stiftungen »Jugend« und »Urbane Räume« darum, dem daniederliegenden Austausch zwischen Pädagogen und Architekten wieder eine neue Plattform zu verschaffen und eine Baukultur zu befördern, die den Kindern gegenüber Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Schaut man sich den Zustand der im Lande herumstehenden Schulen an, weiß man um die Bedeutung dessen.
Sein Freund Eckmann sei es gewesen, der ihm mit seinem Einsatz für die Kinder das Beispiel und mit seinem Begriff der »Sozialästhetik« ein Stück weit die Theorie zu seinem eigenen Engagement geliefert habe, sagt Montag. In der Tat haftet etwas Menschenliebes, etwas unverkrampft Weltverbessernwollendes allem an, was die Montag-Stiftungen fördern, nicht nur den Jugendprojekten wie dem Schulbau oder dem landesweiten Schülerwettbewerb »bio-logisch«. Auch ein auf den ersten Blick nüchternes Projekt wie »Stadträume am Rhein«, das das über weite Strecken unwirtliche Ufer zwischen Bad Honnef und Leverkusen urban entwickeln helfen will, dient letztlich dem Zweck, die Welt etwas bewohnbarer zu machen. Ein zutiefst aufklärerischer Gedanke.
Zumal es nirgendwo darum zu gehen scheint, der Stiftung gleichzeitig auch ein Denkmal zu setzen. Tue Gutes, hab’ Freude dran; aber rede nicht groß drüber – das scheint die ungeschriebene Losung der Montag-Stiftungen zu sein. Dennoch: Carl Richard Montag, ein Mensch, der gern zu leben scheint und »keine Angst hat«, wie er selbst von sich sagt, er ist nicht frei vom Wissen um den Riss in der Welt, um das Erkalten der zwischenmenschlichen Beziehungen und die Verfallenheit der Großstadtbewohner mit ihrer Umwelt. Diese Entwicklung zu beklagen erregt ihn sogar, diesen federnden älteren Herrn vom Typ Elias Canetti, der selbstbewusst wirkt und altersabgeklärt und zugleich immer noch staunend. Dass er eine Aufgabe habe, das ist wohl der Grundimpuls im Leben des Carl Richard Montag. Dass die Dinge anders zu bewerkstelligen sein könnten und das Bild der Welt verändert werden kann. Vielleicht liegt Montags prägende Erfahrung im Wechsel vom sauerländischen Dorf ins zerberstende Berlin der letzten Kriegsjahre, als der 14-Jährige mit einem Nachwuchsstipendium in der Tasche an die Hochschule der Bildenden Künste kam. Oder liegt im Erleben der zerstörten Städte der Nachkriegszeit. Jedenfalls verkehrte der junge Montag, so erzählt er, in den Aufbruchsjahren in Künstlerkreisen (und pflegt den Umgang bis heute), fühlte sich auch wohl als angehender Künstler, denn zwischen 1946 und 1949 besuchte er die Werkschule Münster. Schlug dennoch im Jahr darauf den Weg des Unternehmers ein – er hatte seine Familie zu ernähren und bald eine zweite dazu: »Ich habe nach dem Krieg 1947 meine erste Frau kennengelernt, eine Kriegerwitwe, die 18 Jahre älter war als ich und drei Kinder hatte. Die habe ich geheiratet.« Als sie 1989 starb, widmete der mittlerweile Millionär Gewordene ihr die erste, die »Elisabeth Montag Stiftung« (heute »Montag Stiftung Bildende Kunst«) – »weil meine verstorbene Frau sehr musik- und kunstinteressiert war. Wir hatten einen engagierten kreativen, kritischen Freundeskreis, über 40 Jahre, ihr wollte ich ein Denkmal setzen.«
Seit 1998 arbeitet die Kunststiftung; auch in ihrem Wirken zeigt sich Montags besondere Liebe zum öffentlichen Raum, denn initiiert wurden und werden ausschließlich Projekte im Spannungsfeld zwischen Kunst, Architektur und Gesellschaft: Nach dem gedanklichen Brückenschlag einer zweiteiligen Kunstintervention »An Elbe und Rhein« 1998 folgte ein Jahr später die künstlerische Auseinandersetzung mit einer realen Brücke bzw. ihrer Reste, der Brücke von Remagen – beide Male also ein Kunstkommentar zur deutschen Geschichte und beide Male unter Beteiligung namhafter Künstler. Unvergessen ist auch »Die Verbotene Stadt«, die 2002 Objekte und Installationen in die märchenhaft ins Grün versunkene Kokerei Hansa in Dortmund brachte. Kuratorin und Vorstand der Kunststiftung ist Ingrid Raschke- Stuwe, gerade eben ist die jüngste von ihr verantwortete Ausstellung zu Ende gegangen, in der Künstler wie Ottmar Hörl, Horst Gläsker oder Maik und Dirk Löbbert in Wuppertal zwei Monate lang »7 Treppen« in Kunststiegen verwandelten. Nach Montags Auffassung sollte Kunst sich nicht elitär zurückziehen, sich nicht artistisch selbst genug sein, sondern Stellung beziehen – auch dies ist ein Beispiel für seine Auffassung von »Sozialästhetik«.
Doch wie jemandes Vita verläuft, welcher Lebensphilosophie jemand folgt, kann die Frage, warum einer sein Vermögen nicht einfach festhält oder doch zumindest zum Großkunstsammler wird, letztlich nicht beantworten. »Meine Zielrichtung ist nie das Geld gewesen«, sagt Montag fast wegwerfend. »Sondern immer das Ergebnis. Substanz zu bilden, um sehen zu können, was man gemacht hat.« Aber auch, dass jemand von sich sagt, er sei »ein Macher, einer der immer von Ideen besessen war«, erklärt nicht alles. Denn entscheidend ist, was man macht, von welcher Idee man besessen ist. Vielleicht fühlt es sich tatsächlich viel unspektakulärer an, mäzenatisch tätig zu sein, als ein Normalmensch, dem dazu die Mittel fehlen, es sich vorstellen kann. Alles kaum ein Thema für Montag: »Ich wundere mich immer, wenn die Leute sich über mich wundern. Ich fühle mich immer total normal.«
Jedenfalls ist nicht vorstellbar, dass Carl Richard Montag zum Typus derer gehört, die tagsüber auf harte Weise Geld verdienen, um nach Feierabend ergriffen dem Gutenwahrenschönen zu huldigen. In seinen Firmen, in seinen Stiftungen sollen sehr humane Umgangsformen herrschen. Und auch des Bauherrn Montag Opus maximum, der T-Online-Campus mit seinen gigantischen Ausmaßen von einer Million Kubikmetern umbautem Raum, folgte dem Anspruch des humanen Maßes und zeigt großzügige Kleinteiligkeit, eine Art Siedlung mit Büros (Architekten Otto Steidle, Peter Schmitz). Nicht zuletzt dieses Bauprojekt ist es, das die dauerhafte Finanzierung der Montag- Stiftungen sicherstellt. 2003 hat Montag eine Förderstiftung gegründet, auf die seine Anteile an seinen Grundstücks- und Vermögensverwaltungsfirmen übertragen wurden. Sie sichert den aktiven Stiftungen die Mittel – auf lange Sicht. »Denn wir wollen Verantwortung übernehmen nicht nur für ein Jahr, sondern für 15 oder 20 Jahre.« Da handelt ein Privatmann in Kategorien, die die Öffentliche Hand nicht mehr erfüllt, nicht mehr erfüllen zu können vorgibt. Im einstelligen Millionenbereich bewegen sich die Finanzmittel, die die drei Montag- Stiftungen jährlich aufwenden – die Höhe variiert und ist abhängig von den Fördervorhaben, nicht umgekehrt.
Das Warum bleibt offen. Vielleicht ist die Antwort auch eine ganz einfache: Weil, anderen zu helfen, Sinnvolles auf den Weg zu bringen, ganz einfach Freude macht. »Es gibt keinen schöneren Zustand als zu wissen, das was du machen konntest, hast du gemacht. Nicht davon erzählt, sondern es gemacht. Und die Frage, für wen mache ich das? Für den Nächsten eben. Wenn Sie so wollen, bin ich der glücklichste Mensch der Welt.« //