Die magische Verbindung des Ausnahme-Künstlers mit seinem Werk ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon Michelangelo behauptete, aus dem Marmor meißelnd nur das zu befreien, was ohnehin in ihm wohne. Der Stein sprach zu ihm so, wie das Edelmetall zum Goldschmied Cardillac. E.T.A. Hoffmanns schillernde Künstlerfigur aus der Erzählung »Das Fräulein von Scuderi« hat Paul Hindemith zum Titelhelden seiner vor 80 Jahren uraufgeführten Oper gemacht und damit das Nachtstück zu Berlioz’ Goldschmiede-Opus »Benvenuto Cellini« geliefert. Das Paris von Ludwig IV. der Novelle ist bruchlos dem Dickicht der modernen Großstadt anzupassen. So wie der genial- besessene Goldschmied das Metall aus dem Erdinneren zu Kunstwerken verschmilzt, nach denen alle süchtig scheinen, ist er selbst mit seinen Geschmeiden libidinös verbunden. Das muss böse enden. Der romantische Dichter nicht anders als der Komponist der Neuzeit stellen dem pathologischen Charakter, dem die gar nicht so heimliche Sympathie gilt, eine eitel-gierige Kundschaft und amorphe, latent aggressive Volksmasse gegenüber.
Klaus Weise zeigt an der Bonner Oper überzeugend, dass Cardillacs Schicksal einen zwar pervers gewendeten, dennoch exemplarischen Künstlerkonflikt spiegelt. Der Versuch, auf kriminelle Weise die Gesetze des Marktes zurückzunehmen, ist zeitlos-aktuell. Die packende, temporeiche Deutung wählt jedoch eine stilisierende Form. Mit albtraumartig vertieften Bildern (Bühne: Martin Kukulies) kommt sie Hindemiths wuchtigem, gravitätisch schreitenden Expressionismus präzise auf die Spur: Riesige Treppen führen ins Nichts, gewaltige Pfeiler werfen Schatten, Käfige und diffuses Licht bedrängen die Szene klaustrophobisch-unterirdisch. Die blockartig choreografierten, glänzend präparierten Chöre verstecken sich hinter vergrößerten Papp-Konterfeis. Andreas Scheibners glatzköpfiger Cardillac entgeht pauschalen Bösewichts-Klischees und zeigt eine fragile, gleichwohl unter Starkstrom stehende Existenz. Sängerisch stehen ihm alle Möglichkeiten zu Gebote – er nutzt sie generös. Erich Wächter entlockt dem Beethoven-Orchester reiche Farben und geht souverän auf Hindemiths neokontrapunktischem Holzschnitt ein. Ein ohne Abstriche schlüssiger Abend. REM