TEXT: ANDREAS WILINK
Die Zwillinge Sofie und Daan (Carice van Houten, Jelka van Houten) wurden vor Jahr und Tag ausgetragen von einem amerikanischen Hippie und in Amsterdam aufgezogen von zwei Gay-Vätern. Nun, nach 33 Jahren, erhalten sie Nachricht von ihrer unbekannten (Leih-)Mutter. Die lebt in den USA in einem Wohnmobil, muss wohl schwer krank sein und ziemlich neben der Spur – gespielt wird sie von der tollen Holly Hunter, dem Star aus Jane Campions »The Piano«. Sofie und Daan sind bereit, sich eine Auszeit zu nehmen, in die USA zu reisen und Jackie nach New Mexico in die Reha zu kutschieren. Ungleiche Schwestern: Sofie, der Single, lebt nur für ihre Karriere als Journalistin und hält Abstand zu emotionalen Verstrickungen. Dan hat das Gegenprogramm verwirklicht, ist verheiratet, eher gutmütig von Natur und weich. Sie will natürlich ihre Mutter kennenlernen, während Sofie in der Fremden nur die »Eizellen-Lieferantin« sieht. Eine Reise mit Erkenntnisgewinn wird es für beide, nicht nur, weil die Schwestern lernen, wie ein Schlangenbiss zu behandeln ist und was wirksam gegen aufdringliche Kerle auf dem Rastplatz hilft. Das Hauptproblem ist die seltsame Frau, die keinem Schema folgt, keine Kategorie erfüllt, die keine bürgerliche Existenz vorzuweisen hat, aber instinktsicher ist und auf ihr Art lebensklug und weise. Antoinette Beumer hat einen sensiblen Film gedreht, ein schönes Roadmovie, das zur aktuellen familienpolitischen Kontroverse das Seine beiträgt. Holland war schon immer etwas weiter in diesen Fragen. In gewissem Sinn ist »Jackie« auch eine Variation zu »Thelma and Louise«, wenngleich ohne die notgedrungen kriminelle Energie, den erotischen Hunger, den emanzipatorischen Gestus. Der Freiheitsimpuls, der die amerikanische Hausfrau und die Kellnerin bei Ridley Scott antrieb, ist ebenfalls etwas herabgedimmt, aber bleibt spürbar. Sofie und Daan lernen etwas – über sich, über die andere und über die Frau, die ihre Mutter zu sein behauptet. Jackie, egal, wer sie ist oder war, gibt dem Leben der Schwestern eine Wendung zum Besseren. Der Horizont weitet sich. Das liegt nicht nur in der endlosen Landschaft des Westens begründet.
»Jackie – Wer braucht schon eine Mutter«; Regie: Antoinette Beumer; Darsteller: Holly Hunter, Carice und Jelka vam Houten; Niederlande / USA 2012; 98 Min.; Start: 18. Juli 2013.