REZENSION ALEXANDRA WACH
Wie haben sich die blau glänzenden Stöckelschuhe in dieses kosmische Durcheinander aus Lichtblitzen und sich öffnenden schwarzen Löchern gleich am Eingang verirrt? Der surreale Titel »Through the Eye of the Needle to the Anvil« (Durch das Nadelöhr zum Amboss) hilft nicht wirklich weiter. 1988 widmete James Rosenquist die wandfüllende, rätselhafte Erzählung seiner verstorbenen Mutter – in seinen Augen ein verschwendetes Talent, das eigentlich Künstlerin hätte werden sollen. Bleibt man auf Entfernung zum Tableau-Körper, erschließt sich durchaus die biografische Dimension des existenziellen Dramas. Steht man direkt davor, fragt man sich unweigerlich, wie der Künstler die Übersicht behalten konnte.
Rosenquists Ideenreichtum schien bis zuletzt ungebrochen. 1997/98 ließ der in Grand Forks, North Dakota, geborene Sohn einer schwedisch-norwegischen Familie auf dem scheinbar nicht enden wollenden Triptychon »The Swimmer in the Econo-mist« (Der Schwimmer im Wirtschaftsnebel) ein Waffenarsenal auf blutende Lippenstifte los. Ein Zitat aus Picassos Antikriegsikone »Guernica« endete nebenan in einer detailreichen, apokalyptischen Wirbelexplosion. Geplant war der spektakuläre, gänzlich ohne digitale Computervorlagen auskommende Bildersog zunächst für das Guggenheim Bilbao. Dann schnappte es sich die Berliner Filiale. Krieg und Kosmetik-Industrie, Technologie und Natur auf einem einzigen cinemascopischen Stillleben? Auf diese Gegensatzpaare muss man in dem Genrekontext erstmal kommen. »Ich wollte den Betrachter mit unwahrscheinlichen Gegenüberstellungen bombardieren«, kommentierte Rosenquist. »In Swimmer habe ich verschiedene Arten von Ängsten, die uns heimsuchten, zu illustrieren gesucht: unsere Selbstzerstörung, unsere Neigung zu Waffen und Brutalität. Das Gemälde bezieht sich auf eine Aufzählung von Untergangsvisionen: durch Wasserstoffbomben, durch einen Meteor, durch Umweltzerstörung oder verbreitete Hungersnöte. Aber wie kann man diese Ängste lindern? Man arbeitet für etwas Positives.«
Manch ein Maler – und selbst die heutigen Sprayer und Street-Art-Künstler – dürfte bei der Herausforderung, stolze 50 Meter Leinwand mit zivilisationskritischen Statements zu füllen, an seiner Berufswahl zweifeln. Das gilt indes nicht für jemand, der seine Laufbahn als Reklamemaler fürs Kino begonnen hatte. Nicht nur, dass der junge Absolvent einer Kunsthochschule Anfang der 60er Jahre auf wackligen Gerüsten herumturnte und dabei New Yorker Hauswände im Nasenkontakt mit knalligen Plakatfarben versah. Die gigantischen Motive verschwanden vor seinen Augen zu einzelnen, mitunter beinahe abstrakten Ausschnitten. Rosenquist tauchte so intensiv ins Bild ein, dass er die Erfahrung fortan nicht mehr missen wollte.
Die fragmentierte Wirklichkeit in XXL sollte ihn nicht mehr loslassen. Daran konnten auch Begegnungen mit Künstlern wie Agnes Martin, Jasper Johns, Ellsworth Kelly oder Robert Indiana nichts ausrichten. Auf den späteren Großformaten und in den einsaugenden Rauminstallationen entwickeln Atompilze, Trockenhauben, Kotflügel, Zahnräder, Fische oder Bomber Beziehungen zueinander. Alleinstellung dürfen sie nicht beanspruchen. Sie sind Teil eines Collage-Konzepts, dass mit Sinn für doppelten Boden in Tiefenschichten der Manipulation-Tricks von Konsum, Werbung und Kommerz eintaucht.
Was auf diesen Gemälden, auf denen die Spur des Pinsels fehlt, eigentlich angepriesen wird, lässt sich trotz der eindeutigen Glanz-Ästhetik nicht mehr reflexhaft entschlüsseln. Man zappt sich verwirrt hindurch, auf Suche nach einem Kanal, der die hoch politischen Versatzstücke sinnvoll zusammenfügen möge. Auch wenn diese Praktik den einstigen Rezipienten von »President Elect« etwa noch nicht so geläufig war wie heutigen professionellen Bilder-Usern, verwirrt die Konfrontation eines Porträts des grinsenden John F. Kennedy mit Kuchenstücken und Kühlhauben immer noch. Die Vorstellung von Politik als einem Produkt wie jedes andere möchte man nicht ohne Protest akzeptieren. Zumal der tragische Präsident gleich im ersten Kölner Raum auf die heiter festgefrorene Joan Crawford trifft, die ihr Gesicht einer Zigarettenreklame zur Verfügung stellt. Das eher spröde Image des Hollywood-Stars verschmilzt aalglatt mit der verkaufsfördernden Werbebotschaft.
Das Museum, traditionell der Pop-Art verbunden, hat keine Mühe gescheut, um möglichst viele Leihgaben an Land zu ziehen. Ob das Moderna Museet in Stockholm, das Centre Pompidou in Paris oder das MoMA in New York, ihnen allen leuchtete die Idee einer ersten posthumen Ausstellung in dem weltweit renommierten Expertenhaus sofort ein. Was wohl auch an der betont wissenschaftlich fundierten Herangehensweise lag. Kurator Stephan Diederich hat das Quellenmaterial vieler aus dem Sinnzusammenhang gerissener Motive aufgespürt. Hat sie in alten Zeitungen und Magazinen gefunden, die »Camel«-Werbeanzeige mit der Crawford in der Hauptrolle, die Kuchenbackmischung der Firma »Swans Down«, Kennedys Originalwahlplakat und den eklig rot-braunen Brei von »Franco-American-Spaghetti«, der auf »I Love You with My Ford« von 1961 als wellige Abstraktion auftaucht.
In den Kabinetten am Eingang und auch in den über die Stockwerke verteilten Vitrinen finden sich Skizzen, die den Prozess des sich Bedienens und Kompilierens dokumentieren. Ein wandgroßes Foto zeigt das mit Papierschnitzeln und Stapeln aller Art überquellende Atelier. Vor allem im Life-Magazin fand Rosenquist eine inspirierende Mischung aus Reklame und US-amerikanischer Geschichte, die sich um Ereignisse wie den Zweiten Weltkrieg, Wirtschaftsaufschwung, Marilyn Monroe, Raumfahrtprogramm, Kalter Krieg, Bürgerrechtsbewegung und nicht zuletzt das Kommen und Gehen der Präsidenten-Charaktere rankte.
Eine weitere Besonderheit der opulenten Schau ist die erstmalig gemeinsame Präsentation von drei begehbaren Gemälderäumen. Sie entstanden zwischen 1964 und 1970 im Auftrag des legendären New Yorker Galeristen Leo Castelli, bei dem Peter Ludwig unter der Kategorie Stammkunde verbucht war und mehrfach am Ort des Geschehens für noch nicht getrocknete Rosenquists entbrannte. Spätestens hier führt am Eintauchen ins Bild kein Weg vorbei. Egal, in welche Richtung man schaut, das Kunstwerk fordert auch in den Randbereichen des Sehfeldes volle Aufmerksamkeit. Thematisch dominiert die Gesellschaftskritik, wenn sich auf »Horse Blinders« (Scheuklappen) von 1968-69 ein Themenkomplex aus DNA-Analyse, Abhörskandalen und Sechstagekrieg in den Vordergrund schiebt. Auch vor dem eigenen Ich gibt es dank reflektierender Aluminiumabschnitte, die in die Raumecken eingeklemmt sind, kein Entkommen. Die gespiegelte Silhouette wird Teil des Gedankenflusses, der sich in der Installation »F-111«, einer Anspielung auf das Kampfflugzeug F-111 und andere Militärgüter fortsetzt und in »Horizon Home Sweet Home« (Horizont trautes Heim) von 1970 kulminiert, das einer psychedelischen, in Trockeneisnebel gehüllten Beruhigungszelle ähnelt.
Auszeit von dieser Überdosis an mit Bedeutungen gespicktem Farbrausch lässt sich in einem Durchgangsraum im Obergeschoss nehmen, wo Gemälde mit Titeln wie »Exit« oder »Noon« in Grautönen gehalten sind. Manche dieser Schwarz-Weiß-Grisaillen existieren auch als farbige Grafik-Variante. Es sind Stille einfordernde, experimentelle Nebenwege eines gern lauten Analytikers des American Way of Life, der im Finale nochmals zum Paukenschlag ausholt. Im weitläufigen Heldenraum bekommt die illusionistische Weltraumromanze »Star Thief« (Sternenräuber) aus den 80er-Jahren ihren Auftritt. Organisches Leben repräsentierende Speckscheiben treffen auf einen im Sternenmeer eingebetteten weiblichen Kopf, der nicht etwa für Sex, sondern unseren Intellekt und Forscherdrang stehen soll.
Die metaphysisch eingefärbte Neugier auf die letzten Fragen ist auch in dem von Einsteins Relativitätstheorie beeinflussten galaktischem Reisebericht »The Stowaway Peers Out at the Speed of Light« (Der blinde Passagier späht bei Lichtgeschwindigkeit nach draußen) nicht zu übersehen. Ein Gemälde sei »eine Art Zeitmaschine«, so Rosenquist. »Es ist unbedingt notwendig, dass das Gemälde der Person, die es gerade betrachtet, seine Energie und Intensität unmittelbar mitteilt, während es gleichzeitig Elemente aufweisen muss, die nur dann hervortreten, nachdem man das Gemälde eine gewisse Zeit betrachtet hat.« Ein Paradox? Nein, in Rosenquists prädigitalen Ganzkörper-Erfahrungszonen eine mehr als treffende Gebrauchsanweisung.
MUSEUM LUDWIG, KÖLN, BIS 4. MÄRZ 2018, TEL: 0221/ 22126165