// Wie an einem seidenen Faden schwingt sich ein Hauch von Ton hinein. Im dreifachen Pianissimo und noch ohne irgendein genaues Ziel. Doch plötzlich entpuppt er sich als Keimzelle. Oszillierende Klangfarben und pulsierende Rhythmusfelder sortieren sich. Während archaische Klopfzeichen und herausgepresste Geräusche aufknospen. Und auf einmal hört man ein Instrument, das es im Orchester gerade mal in die hinterste Reihe geschafft hat, mit ganz anderen Ohren. Dass das bislang dahinschlummernde Innenleben des Kontrabasses mit einer jetzt fast seismografischen Feinnervigkeit weniger wieder- als erstentdeckt worden ist, kann sich Stefano Scodanibbio auf die Fahnen schreiben. Seit er sich mit 18 Jahren für das mannshohe Streichinstrument entschieden hat, vergeht nahezu kein Tag, an dem er nicht die Ausdrucksgrenzen dieses Viersaiters verschiebt.
Die Neugier und Ausdauer, mit der er an neuen Spieltechniken feilt, spiegelt sich aber nicht nur in seinen eigenen Werken wider, wie etwa in dem 1979 angestoßenen Work in progress »Vo- yage That Never Ends«, mit dem er beim Düsseldorfer Altstadtherbst gastiert. Scodanibbio hat – ähnlich wie Teodoro Anzellotti am Akkordeon – das Image seines als zu behäbig geschmähten Instrumentes derart aufpoliert, dass selbst die Crème de la Crème der zeitgenössischen Musik hellhörig geworden ist. Iannis Xenakis und Brian Ferneyhough, Franco Donatoni, Terry Riley und nicht zuletzt Luigi Nono, der in seinem Opus Magnum »Prometeo« mit der Bogenspielanweisung »arco mobile à la Stefano Scodanibbio« den Landsmann verewigte: Sie alle haben für ihn komponiert. Vom amerikanischen Soundanarchisten John Cage ist gar ein Wort überliefert, das den Ausnahmestatus auf den Punkt bringt: »Ich habe noch niemals ein verblüffenderes Kontrabass-Spiel gehört als das von Stefano Scodanibbio.«
Als Scodanibbio sich nach ersten Fingerübungen im Jazz sowie an der Gitarre und dem Saxophon schließlich für den Kontrabass entschied, musste er zunächst zahllose Vorurteile abbauen. »Von den Streichinstrumenten war der Kontrabass noch in den 1970er Jahren das meist vernachlässigte Instrument. Er wurde einfach nicht als Solo-Instrument verwendet.« Der umfangreiche Korpus, die Länge der Saiten und die weit auseinander liegenden Noten – mit diesen Eigenschaften wurde so der Kontrabass mehr als ein Jahrhundert lang zum Gespött besonders unter klassischen Musikern. »Andererseits«, so Scodanibbios Plädoyer, »sind es eben genau diese Charakterzüge, die den Bass nicht nur einzigartig machen, sondern auch ein enormes Potenzial verbergen, die eine große Herausforderung sind.«
Wie rasend schnell Scodanibbio, der 1956 im italienischen Macerata geboren wurde, den Kontrabass rehabilitieren und auf Herz und Nieren neu ausmessen konnte, zeigte er schon 1987 in Rom, als er einen vierstündigen Solo-Marathon mit 28 Werken von 25 Komponisten hinlegte. Neben dem musikantischen Feinschliff, den er sich bei dem bedeutenden Kontrabass-Pädagogen Fernando Grillo holte, wurde für Scodanibbio aber gerade eine Lektüre richtungweisend für sein musikalisches Denken und Spielen. Es waren die Vorträge »Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend«, mit denen der italienische Schriftsteller Italo Calvino jene ästhetischen Tugenden zur Literatur formulierte, die Scodanibbio für sich »auch auf den Kontrabass übertragen« konnte.
Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit: Brachte man den Kontrabass mit diesen Attributen bislang nicht in Verbindung, hat sich das dank Scodanibbio längst geändert. Bewusst macht er das aber eben nicht nur solistisch, als Interpret, Improvisator und Komponist (Scodanibbio studierte bei Salvatore Sciarrino). Immer auch sucht er für sich und sein Instrument das neue Abenteuer im konzentrierten Dialog mit Gleichgesinnten. Zu seinen regelmäßigen Partnern zählen dann etwa der Trompeter Markus Stockhausen oder das Arditti Quartett. Manchmal auch kommt es – wie beim zweiten Altstadtherbst-Konzert – zu musikalischen Beziehungen, die den schweren Resonanzkörper von einer ganz neuen Seite zeigt. Wenn Scodanibbios Kontrabass sich auf den Wettstreit mit der Blockflöte von Dorothee Oberlinger einlässt. //
23. und 24. Sept. 2008, Neanderkirche, Düsseldorf; www.altstadtherbst.de