TEXT: HONKE RAMBOW
»Street« ist ein demokratisches Versprechen. Auf der Straße darf jeder mitmachen, unabhängig von Herkunft, Bildung und finanziellem Background. Die Straße ist der öffentliche Raum, die Bühne, die jedem zur Verfügung steht, frei von Regeln und Konventionen. Zahlreiche Trends wurden aus dieser romantischen Vorstellung heraus geboren: Streetball und Streetsoccer, Streetfashion, Streetart und Streetdance. So schnell sie aufkamen, wurden sie institutionalisiert. Kaum ein Theater, das nicht seine Jugendstücke mit ein paar hippen Streetdancern aufpeppt, kaum ein Modelabel, das nicht kalkuliert, welche Trends Modeblogger von den Straßen der Welt aufsammeln. Auch die Museen öffnen sich der Streetart.
Nun also Streetfood. Seit einiger Zeit breitet sich Streetfood rasant und in großem Maßstab aus – und ist eigentlich schon wieder weg von der Straße. Zu beobachten ist das Phänomen auf Streetfood-Märkten, auf denen Imbissstände und Foodtrucks einen von allen anderen Funktionen als dem gemeinsamen Essen enthobenen künstlichen Straßenraum konstruieren. Köln, Düsseldorf, Duisburg und Essen haben bereits ihre regelmäßigen Veranstaltungen, Dortmund kommt im April hinzu. Streetfood ist in NRW angekommen.
Was aber unterscheidet Streetfood vom normalen Burger, von Currywurst und Döner? Ramin Köhn von der Agentur MARTA, Veranstalter des Streetfood-Market in Essen, bezeichnet es als »Slow Fast Food«. »Vieles, was angeboten wird, ist in Bioqualität, Vegetarisches und Veganes spielen eine große Rolle. Aber genauso gibt es auch Anbieter, die sich auf qualitativ hochwertiges Fleisch spezialisieren.«
Im Unterschied zu den bekannten Gourmetmeilen, auf denen örtliche Restaurants mit mehr oder weniger originellen Häppchen Werbung für ihre Gastronomien machen, sind die Streetfood-Anbieter tatsächlich auf Gerichte zum Mitnehmen spezialisiert. Dass es dabei international zugeht, ist Grundlage des Trends. »Die Menschen reisen viel und lernen in New York, Südafrika oder Ostasien neue Möglichkeiten des Essens auf der Straße kennen«, ist Köhn überzeugt. »Und dann wollen sie das hier auch haben.« Vincent Schmidt, der gemeinsam mit Till Riekenbrauk und Matthes Robel die Street-Food-Festivals in Köln, Düsseldorf, Duisburg und Dortmund organisiert, stützt die These, wenn er den Inkubations-Mythos der Veranstaltung nacherzählt: »Till kam aus Vietnam zurück und berichtete begeistert von dem, was dort einfach von einer mobilen Kochstation auf Fahrrädern angeboten wird«.
Schon 1985 erzählte der japanische Regisseur Juzo Itami in seinem Meisterwerk »Tampopo« vom Versuch, die perfekte Nudelsuppe zu kochen. Die fast spirituelle Beschäftigung mit einem schlichten, für den Verzehr bestimmten Gericht war in seinem Episoden-Film über Lust und Irrsinn der Esskultur noch satirisch aufgeladen. In der Eingangsszene erklärt der Meister seinem Schüler, wie eine Nudelsuppe zu essen sei, wie die Ringfleisch-Streifen mit den Stäbchen gestreichelt und sanft untergetunkt werden müssen, wann etwas Suppe geschlürft werden darf und in welcher Reihenfolge den Bestandteilen Achtung entgegengebracht werden muss. Angesichts des industrialisierten Fastfoods von McDonalds ist das absurd – dem gesteigerten neuen Bewusstsein der Streetfood-Jünger allerdings nicht so unähnlich.
Der US-amerikanische Fastfood-Riese spürt den Trend bereits am eigenen Burger. Im zweiten Jahr hintereinander sanken die Gewinne; mit Fleischklopsen aus deutscher artenreiner Produktion versucht McDonalds, die neuen Achtsamkeits-Esser zurück zu gewinnen. Das Niveau der Streetfood-Trucks, die Köhn als »Popup-Restaurants« bezeichnet, bleibt jedoch ein anderes. Die Festivals und Märkte wollen weit mehr leisten, als den Hunger ihrer Besucher zu stillen, die nicht nur aus jungen Hipster-Kreisen kommen, sondern aus allen Altersklassen. »Die Gäste begeben sich auf Entdeckungstour, dabei geht es auch darum, über das Essen miteinander in Kontakt zu kommen«, so Köhn.
»Streetfood ist ein hochwertiger Imbiss, bei dem Qualität, schnelle Zubereitung und bezahlbarer Preis in Einklang stehen«, fasst Vincent Schmidt zusammen. Jenseits der Festivals und Märkte stehen die Anbieter unter der Woche auf dem Parkplatz im Industriegebiet. Dort ist dann Streetfood auch wieder nur die etwas bessere Ausprägung des Fastfoods. Inwieweit es tatsächlich um Esskultur geht, darf hinterfragt werden. Streetfood ist einer modernen Arbeitswelt geschuldet, in der die Mittagspause nicht lang genug ist, um im Restaurant Platz zu nehmen. Statt Grillhähnchen aus Massentierhaltung wird das Pastrami-Sandwich aus regional produziertem Biorindfleisch zwischen zwei Terminen gegessen. Das verschafft sicherlich mittägliche Abwechslung und ein besseres Gewissen; ob es langfristig ein Beitrag zur Esskultur ist, muss sich herausstellen. Ramin Köhn glaubt allerdings, dass Streetfood auch positiven Effekt auf Restaurants haben kann: »Zumindest für solche, die sich auf Nischen wie Bio, vegetarisches und veganes Essen spezialisiert haben, ist das gesteigerte Bewusstsein für gutes Essen sicherlich von Vorteil.«
Bei den Märkten sei insbesondere der regionale Anspruch noch schwer umzusetzen, bekennt Vincent Schmidt, da sich die Szene in NRW erst entwickele. Um Anbieter aus der Streetfood-Hochburg Berlin kommen die Veranstaltungen noch nicht herum. Die rasante überregionale Ausbreitung Marke »Streetfood-Festival« – im Mai bis nach Mainz – macht es nicht leichter, die eigenen Ansprüche aufrecht zu erhalten. Auch Köhn, der sich mit seinem Streetfood Market ausschließlich auf Essen konzentriert, musste noch bei der ersten Ausgabe im März auf Anbieter aus Berlin zurückgreifen. Er ist jedoch zuversichtlich, dass die heimische Szene durch die gesteigerte Nachfrage schnell wächst, und er demnächst ausschließlich mit regionalen Ausstellern zusammenarbeiten kann.
Street Food Festival:
Köln, Jack In The Box, 18./19. April 2015;
Düsseldorf, Stahlwerk, 2./3. Mai;
www.street-food-festival.de
Streetfood Market, Essen, 10. Mai;
www.schoeneralfred.com