Das mit dem Träumen sei schon auch anders bei ihr, sagt Eva Mattes. Als »Träumender Mensch« hatte sich die Schauspielerin vor einigen Jahren in der Zeit selbst gedeutet. Als jemand, deren Träume sich erfüllten, wenn sie sich stark konzentriert habe. Eine aktive Träumerin, keine Somnambule, die willenlos etwas mit sich geschehen lässt. Die darüber nicht das Leben versäumt, sondern es durch ihre Träume erst recht erfasst und lenkt. Der Traum als Energiespender und Lebensverstärker.
Andere würden vermutlich von »denken« sprechen, um das zu charakterisieren, was sie unter »träumen« verstehe, weil ihr das »sanft Wünschende« mehr entspreche und weil es ihr »halt so passiert«. Erläutert Eva Mattes bei unserer Begegnung in Baden-Baden, wo sie mal wieder eine »Tatort«-Folge als Hauptkommissarin Klara Blum dreht.
Eva Mattes, eine Sinnende. Wie schön, dass das Wort Sinn und Sinnlichkeit anklingen lässt.
Auf ihrer Traum- und Wunschliste, auf der einst Rainer Werner Fassbinder stand, der sie von seinem ersten Film an fasziniert habe, bis es dann bei ihr »klingelte« und er am Telefon war und sie 1972 gemeinsam »Wildwechsel« drehten, die Liebes-Anarchie in Bayern nach Kroetz, auf dieser Liste steht noch Ingmar Bergman. Auch der kennt keine Barriere zwischen Tag und Traum. Bei ihm sind die Welt der Lebenden und das Totenreich durchlässig. Und überhaupt, sein Film »Abend der Gaukler« ist für Eva Mattes das »Nonplusultra«. Aufrichtig und schamlos persönlich. Ein Schauspieler-Film. Ein Film für Schauspieler.
Vielleicht kommt man über die Sängerin Eva Mattes der Schauspielerin Mattes und ihrem eigenen Selbstbild nahe. »Man würde nicht erkennen, dass es von mir ist, wenn man’s nicht weiß«, resümiert sie ihre erste, soeben veröffentlichte CD »Language of Love«. Da singt eine sehr feminine Stimme, lazy, jazzig und blues-getönt, an der das Schwarz deutlicher zu kleben scheint, als jene schwarze Farbe, mit der sie vor 35 Jahren als Desdemona in Peter Zadeks Hamburger »Othello « von ihrem Mohren Ulrich Wildgruber an- und abgeschmiert wurde.
Es macht ihr offensichtlich Freude, Verwunderung über die andere Mattes auszulösen und zu erfahren, dass der Hörer ihrer Songs, darunter »My funny Valentine« und »Everytime we say Goodbye«, seine Vorstellung von ihr erweitern muss.
Eva Mattes, das ist doch die gut geerdete, solide, mit Intuition und Instinkt begabte, ziemlich weibliche Person, die Bayerin aus Tegernsee, wo sie 1954 geboren wurde. Die als Teenager bereits ans Theater kam, nachdem sie als Synchronsprecherin dem Timi in »Lassie« und der Pippi Langstrumpf Deutsch beigebracht hatte, die mit Turrini und Kroetz ernsthaft debütierte, die als Hanni in »Wildwechsel« den Franz, der sie liebt, zum Mord an ihrem Vater anstiftet und ihn dann verrät. Die von Zadek blutjung als Hedvig in Ibsens »Wildente« besetzt wurde, obwohl sie gar nicht filigran und blond war, wie der sie vor Augen hatte. Die für die Marie in Werner Herzogs Film-Fassung des »Woyzeck« 1978 in Cannes eine Palme errang. Die als Prousts Haushälterin »Céleste« (Percy Adlon) fast nur dasitzt und im schweren Hocken eine Geschichte auch ohne Sprache erzählt. Die sowieso nur da sein und schauen muss – aber das nie abstrakt tut. Die immer ganz Körper ist, so dass sich in seiner Dumpfheit, manchmal Plumpheit, in seinem Strahlen und kindlichen Beseligt-Sein ein leuchtender Rummelplatz Welt vor einem aufbaut. Die eine Klarheit und auch eine große Schönheit hat, übrigens auch während unseres Gesprächs. In Frankreich würde man sie schon jetzt, obwohl gerade mal etwas über 50 Jahre alt, zu den monstres sacrés zählen, ein Heiligtum, wie Simone Signoret eines war und Jeanne Moreau heute eines ist. Aber in Frankreich, da gibt es eben für Frauen ihres Alters Rollen im Film, Frauen wie Isabelle Huppert, und Filme wie von François Ozon. Seltener in Deutschland – Oskar Roehler oder Christian Petzold sind Regisseure, die sie schätzt, »weil die ihre eigene Sprache haben«.
Eva Mattes mag die Überraschungsmomente. »Ob das eine Art Versteckspiel ist bei mir?«, fragt sie. Aber der Versteck spielende Schauspieler will – wie jedes Kind – gefunden werden, zuerst auch von sich selbst. »Alles, was drin ist in diesem Beruf, darf raus.« Es heraus zu lassen, »ist auf jeden Fall eine Art von Trieb«.
»Etonne-moi« hat Jean Cocteau von seinen Akteuren gefordert und diesen Überraschungscoup dann auch zum Lebensprinzip erklärt.
Was hat Eva Mattes, die seit 35 Jahren mit Peter Zadek zusammen arbeitet und keinen anderen weit und breit sieht, der sie in ähnlichem Maße stimuliert und bei dem das Ergebnis ein solch »intensives gegenseitiges Befruchtungsprogramm« sei, an diesem Zadek zuletzt überrascht? »Eigentlich überrascht er bei jeder Produktion, weil er so präzise über Menschen Auskunft gibt. Seine Erzählungen sind atemberaubend.
Da tun sich Abgründe auf.« Wie jüngst in Shelagh Delaneys »Der bittere Honig«, mit dem Zadek, Mattes, Julia Jentsch und Co. bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen für sechs ausverkaufte Vorstellungen gastieren. Als sie die Rolle dieses Muttertiers – »laut, derb, grob, liebeswütig und alle anderen fertig machend« – für sich entwickelte und Zadeks Interventionen kamen, dachte sie: »Wie bitte, so weit geht das? Das kann ich mit der Figur machen.« Bei einer bestimmten Szene und Dialog-Passage habe er sie gestoppt und gefordert: »›Mach doch mal ne Nummer draus‹. Und da ich gerade mit meinem Busen beschäftigt zu sein hatte, habe ich halt die Busen-Nummer gebracht.«
Ist Nacktheit ein Problem für sie, die sich in ihren ersten Rollen völlig zu entblößen hatte? Sie verneint. Die Halbwüchsige, die schon allein in München lebte, habe sich darin geübt, indem sie in ihrer Wohnung lange nackt herum gelaufen sei, sich vor einen Spiegel gestellt und genau betrachtet habe: »Das bist du und so bist du. Ich wollte sicher sein für mich.« Anders hätte es wohl nicht sein können, dass ein junges Mädchen mit absoluter Selbstverständlichkeit die engen Grenzen dessen hinter sich ließ, was ein Publikum, dem der Schauspieler ja »ausgeliefert« ist, für geschmacklich einwandfrei und zumutbar hält. Sie ließ der Natur zugehörig aussehen, was da zwischen ihr und Wildgruber im »Othello« abging. »Connection« nennt Zadek in seinem neuen Erinnerungsbuch das, was es braucht, um solche extremen befreienden Situationen auf unserem »angezogenen Theater« herzustellen.
Dass so etwas geschehen könne, habe damit zu tun, sagt Eva Mattes, dass er »ganz genau besetzt« und von unten her, vom Regieplatz aus, »provoziere«. Bei »Othello« habe er aber nur zu ihr gesagt: »›Liebling, schau den Uli an‹ – und da habe ich mich so in ihn reingeschaut.« Zwei vom Schweiß tropfnasse Menschen tobten und taten einander an, was Liebende bei Shakespeare eben einander zumuten. Sie sei dann wie »vom Donner gerührt« gewesen, als die Aufführung zu einem das Haus an der Kirchenallee erschütternden Eklat geriet. Heute hängt wieder ein riesiges Foto der nackten Mattes im Foyer des Deutschen Schauspielhauses. Dort gehört es hin. Was jetzt dort herrscht, ist der wahre Skandal: Er heißt Mittelmäßigkeit. Seit »Othello« weiß sie, was von den Leuten mit dem Etikett »Ekeltheater« belegt wird. Damit braucht man Eva Mattes also nicht mehr zu kommen.
Unsicherheit ist ungefähr das letzte, was mir bei Eva Mattes einfallen würde, denn das alttestamentarische Gebot wider den Götzendienst, dass man sich kein Bildnis machen soll, fürs Theater und für die Leinwand gilt dieses mosaische Gesetz nicht. Gibt es überhaupt etwas, das sie sich nicht zutraut – als Rollenfigur. »Wenn mir ein anderer etwas zutraut, fange ich sofort an zu denken, na dann…« Dennoch sei sie, sagt sie, zunächst beim Betreten der Bühne »schüchtern, sensibel, ängstlich und im Grunde genommen viel zu zart«.
Und die Power, der Wille, die oft glamouröse Lockung, die sie verkörpert? »Da musst du die Tür aufmachen.« Aus dem, was hinter all den Türen liegt – es müssen über 200 sein, die das One-Woman- Schauspielhaus Eva Mattes enthält, ließe sich eine komplette König- Blaubart-Burg einrichten. Da ist das schlichte Bauernmädchenzimmer der Jungfrau Johanna, die sie vor langer Zeit bei Wilfried Minks gespielt hat. Eine Nische besetzt die »Bleiche Mutter«, als die sie in einem unserer typischen Siebziger-Jahre-Befindlichkeitsfilme (Helma Sanders-Brahms’) Deutschland durchlitt. Der Raum der Joanne, die sie – lesbisch, aggressiv, rabiat – 1984 in John Hopkins’ »Verlorene Zeit« hinfletschte. Das Wallstreet-Büro, in dem sie sich als kluge Portia vorbereitete auf den Prozess, den sie für den »Kaufmann von Venedig« und gegen Shylock gewinnen muss (1988 in Wien). Die Garderobe, die sie als »Blauer Engel« Lola bewohnte, als Zadek und Savary am Berliner Theater des Westens 1992 eine rummelige Revue mit dem »Professor Unrat« veranstalteten, der Star Ute Lemper ausfiel und Mattes die Chose übernahm.
Da ist die Kammer der Warja in Tschechows »Kirschgarten«. Diese Rolle wiederum, habe Zadek gemeint, der ja das »Knallbonbon« Mattes liebt, wie sie lachend bekennt, würde ihr gewiss schwer fallen, die Warja sei doch ganz entfernt von ihr. Sie aber habe sich gedacht: »Der wird staunen. Die war von Anfang an da – etwas schwärmerisch, christlich versponnen und verquer.« Da ist die Stube der Marie des armen »Woyzeck«, die sie auch in der Verfilmung Werner Herzogs neben Klaus Kinski spielte. Sie bekam dafür 1978 eine Palme in Cannes – und bald darauf ein wichtigeres Geschenk. Für einen Moment herrscht eine ganz seltsame Stimmung in unserem Gespräch. Eva Mattes lächelt abwesend und eröffnet mir, dass Herzog der Vater ihrer 25-jährigen Tochter Hanna ist. Später kam ein Bruder dazu, Josef, Sohn ihres langjährigen Lebensgefährten Wolfgang Georgsdorf, mit dem Eva Mattes in Berlin-Kreuzberg lebt.
Da ist ein düsterer Vorführraum, in dem ein seltsames Zwitterwesen mit flusigem Bart unter verschatteter Hutkrempe haust: »Ein Mann wie Eva«. Eva Mattes als Fassbinder, eine kühne Anverwandlung, schon ein Jahr nach dem Tod des Genies des Neuen Deutschen Films 1983 entstanden. Was war ihr wichtig, von RWF zu zeigen?: »Die weibliche, weiche, traurige Seite«. Die, die sie kannte, denn er sei immer »zärtlich« zu ihr gewesen. Im Chinesischen Roulette des Family-Psycho-Terrors wurde ihr kein Einsatz abverlangt.
Eine weitere Tür führt in den Palast-Salon einer Königin: zu Shakespeares Cleopatra. Schön sei sie gewesen, schlank wie nach einer »Pyramiden- Diät«, zitiert sie amüsiert die Bild-Zeitung. Zehn Kilo habe sie für die Dame vom Nil 1994 abgenommen, ihr bronzierter Leib sei in kostbare Stoffe gehüllt worden. Dabei sollte die Ägypterin ursprünglich, so Zadeks Idee und Spleen, aus Assoziationen zu Golda Meïr und Arafat erschaffen werden. Aber wenn die Mattes abnehmen soll, wird sie dick, und wenn sie an ein israelisch-arabisches Gipfeltreffen erinnern soll, wird sie schön. Aus dem Anti-Typ, den Eva Mattes immer wieder gern kreiert, wurde bei ihrer Cleopatra ein Ideal. »Ob Sie es nun glauben oder nicht, ich empfinde mich auch so – als schön, erotisch, feinsinnig. Doch ein Riesenbrocken kann ich auch sein.« Zum Staunen bestellt: »Ach, das ist Eva?« Auch das ist Eva. //
Eva Mattes bei den Ruhrfestspielen: »Der bittere Honig«: 23. bis 28. Mai; »Die Dreigroschenoper«: 2. bis 5. Juni; Tel.: 02361/9218-0; www.ruhrfestspiele.de