Es ist Nacht. Ein Wasserstrahl plätschert ins Bild, formt sich zu Tropfen, beschreibt Bögen, lässt Dampf aufsteigen in der kühlen Luft. Was für ein Strahl das wirklich ist, erahnt man erst durch den Titel dieses kurzen Films der Künstlerin Rosemarie Trockel: »Es war Nacht, es war kalt und wir hatten viel getrunken.« Die kurze Sequenz beschreibt die Poesie eines Urinstrahls, soweit so etwas möglich ist. Schon 1917 musealisierte Marcel Duchamp ein Urinal unter dem Namen »Fountain« – also alles nichts Neues? Doch, neben dem Verschwinden der Provokation ist im Fall Rosemarie Trockels auch das Umfeld ist ein anderes: Ihr Film ist nicht für die verdunkelte Medienkunst-Ecke eines Museums entstanden, sondern für einen mittelständischen Armaturenhersteller aus Iserlohn und dessen Kunst-Projekt-Reihe »Statements«. Die Firma Dornbracht nämlich hat in den letzten Jahren nicht nur das Bad als Ritualraum weitergedacht, sondern legt mit seinen »Cultural Projects« ein kulturelles Engagement an den Tag, das die Grenze zwischen Werbung und Kunst verschwimmen lässt.
Dabei fing es 1950 wenig vielversprechend an. Alois Dornbracht und sein Sohn Helmut bauten nach Feierabend in einer Iserlohner Baracke Armaturen zusammen, die sie in Köln verkauft wollten. Wenn überhaupt, wurden sie drei oder vier Stück los – von den Modellen, die 40 Jahre später zu 40.000 Exemplaren pro Monat hergestellt werden würden. Mittlerweile sind aus der einstigen Baracke zirka 25.000 Quadratmeter Produktionsfläche geworden, seit den 70er Jahren hat sich Dornbracht immer mehr als Designmarke etabliert. Die Armatur wird nicht mehr als Gebrauchsgegenstand behandelt, sondern als Schnittstelle zwischen Mensch und dem Element Wasser, die Handlung des Waschens wird zum Ritual erklärt. Die bis heute währende Zusammenarbeit mit dem Designer Dieter Sieger brachte Badelandschaften hervor, die den Anspruch erheben, unter Beanspruchung aller Sinne den Körper und die Seele zu reinigen. Man kennt Orte zeremonieller Badekultur wie den Hammam, das Dampfbad des Orients; oder Peter Zumthors kontemplative Granithallen der Therme Vals in Graubünden. Dornbracht versucht, diese Orte kollektiver Reinigung mutatis mutandis ins Private zu holen.
Aus dieser Überlegung sind die drei Ritualbäder »MEM«, »Tara.Logic« und »Elemental Spa« entstanden. »MEM« ist das Bad für »spirituelle Regeneration«; statt aus einem verkalkten Duschkopf fällt das Wasser hier wie Regen in ein Becken, das eher einem kleinen Pool als einer Duschtasse gleicht. Es gibt Ruhezonen und, um der Spiritualität noch eins draufzusetzen, einen kleinen eingebauten »Garten Eden«: eine mit exotischen Blumen bepflanzte Nische, in der man einen Apfelbaum leider vergeblich sucht. »Tara.Logic« ist das »aktive Bad«, das den Körper in den Mittelpunkt stellt und dessen Gestaltungskonzept die vertikale Linie ist. Hier herrschen gedecktere Farben vor, auf die Wände werden teilweise bewegte Computeranimationen projiziert. Absolutes Gegenstück dazu ist das archaische »Elemental Spa«, ein Bad aus angerosteten Stahlplatten – es wirkt auf den ersten Blick zwar rau und wie eine feuchte Skulptur von Richard Serra, auf den zweiten Blick faszinieren aber die Konsequenz des Entwurfs und das Zusammenspiel der Elemente Wasser und Stahl. Bei aller Ästhetik vermisst man allerdings ein bisschen das profane Frotteehandtuch, den liegen gebliebenen Kamm oder wenigstens einen Zahnpastafleck. So sauber, rein und schön ist diese Welt des Badens und der Reinigung, die Dornbracht mit seinen Produkten fast schon über-inszeniert.
Das Wesen des Wassers in all seinen Formen zeigen die »Cultural Projects«. Seit 1998 unterstützt Dornbracht ausgewählte Künstler und sponsert deren Ausstellungen an diversen Orten (etwa im Kölnischen Kunstverein). Zusammen mit dem Art-Director Mike Meiré von der Agentur »Meiré und Meiré«, der auch für das reduzierte, visuelle Erscheinungsbild der Kataloge und Publikationen verantwortlich ist, wurde die Ausstellungs- und Katalogreihe »Statements« ins Leben gerufen, in der Künstler sich mit dem Wasser im weitesten Sinne auseinandersetzen. In der Rückschau bieten die »Statements« einen Überblick über die Kunstszene und die Trends der jeweiligen Jahre. So feiert »Statements 1« mit den Fotos von Daniel Josefsohn die realistisch-körnige Ästhetik der MTV-Werbekampagnen jener Tage, und auch die Ausgabe »002.98 Bathcouture« wirkt im Rückblick noch unentschlossen. Auf Hochglanzkarton gedruckt wirkt das Model der Fotografin Inez van Lamsweerde, das statt Schmuck einen Duschkopf samt Schlauch um den Hals trägt, in seiner Ernsthaftigkeit eher unfreiwillig komisch. Ein paar Seiten weiter inszenieren die Foto-Dekorateure »Pierre et Gilles« einen seifenblasenumträumten, duschenden Jüngling in Kitsch-Pose, während Autorin Sybille Berg mit ihren unfrohen Texten über morgendliche Menschen im Bad das Ganze wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Aber vielleicht macht diese Differenz der Perspektiven den Erfolg der »Statements« aus.
Einen Überblick über zehn Jahre »Cultural Projects« und »Statements« bieten die Magazine mit dem angenehm lapidaren Namen »Iserlohn Vol. 1 & 2«. Sie stellen noch einmal die teilnehmenden Künstler und ihre Arbeiten vor, ergänzt mit Interviews und Essays: Thomas Rentmeister, Juergen Teller, Yves Netzhammer, Gregor Schneider, um nur einige zu nennen. Aber auch Mike Meiré selbst kommt in diesen schick gestalteten Magazinen vor, z.B. mit seiner Kücheninszenierung »The FARM Project«, die er bereits auf den Kölner »Passagen« und der »Skulptur Projekte Münster 07« vorgestellt hat. Das »FARM Project« ist eine Mischung aus Kunstwerk und Werbung und damit das genaue Gegenteil der sonstigen durchgestylten Räume von Dornbracht. Meiré präsentiert die neuen Küchenarmaturen in einem chaotisch zugeräumten Gewächshaus und zitiert die bäuerlichen Küchen: Da hängen Töpfe und Schinken von der Decke, ausgestopfte Tiere zieren die Wände, und in den Regalen steht Omas altes Geschirr mit Blümchenmuster. Sogar lebendige Tiere wie Lämmer oder kleine Schweine finden ihren Platz auf frischem Stroh, und zwischen alledem lugen die edlen Küchenarmaturen hervor. Meiré sieht diese Küche als ein »permanentes Making-Of« und als eine »Werkstatt der Sinne«.
Die Sinne erweiternd ist auch Meirés aktuelles Projekt »noises for ritual architecture«, das auf den diesjährigen »Passagen« erstmals vorgestellt wurde. Aufbauend auf den Eigenschaften der drei Bädern »MEM«, »Logic« und »Elemental Spa« hat er einen »Sound-Spa« aus luftgefüllten Folienkammern entworfen und mit dem Komponisten Carlo Peters einen Soundtrack für diese Räume erarbeitet. Ist es bei »MEM« eine meditative Mischung aus Regenplätschern und langgezogenen Tönen, greift »Elemental« die dunklere Anmutung der Stahlplatten auf. So kann sich auch Otto-Normal-Duscher die Dornbracht-Räume mental-virtuell ins Haus holen und hat endlich eine gute Alternative zu den Delphinstimmen-CDs. Natürlich sind die deutschen Durchschnittsbäder nicht für diese raumgreifenden Designgesten ausgelegt. Dennoch muss Schönheit mehr sein als nur Oberfläche. Bleibt also die anzustrebende Geisteshaltung einer inneren Reinigung. Dornbracht baut die Kulissen für diese seelische Sauberkeit und hinterlässt gleichzeitig Spuren der Kunst im öffentlichen Raum. Die »Statements« sind mittlerweile durch die DVDs »Performances 1 + 2« vom Spirituellen zurück auf den Körper geführt worden. »Dendron« von Mark Jarecke setzt sich choreografisch mit der Verbindung zwischen der Architektur und der Emotionalität auseinander. In »Wood on Wood« von Dave Nuss umkreist die Kamera den Schlagzeuger, der versucht, bis zum physischen Zusammenbruch auf sein Instrument einzutrommeln. Experiment gelungen, Patient tot? Nein, das nicht, aber diese Performance kann man als Sinnbild der Unternehmensphilosophie Dornbrachts sehen: Das Erkennen von Grenzen und deren konsequente Überschreitung, ob nun im Armaturenbau oder in der Kunst.
www.dornbracht.de + www.cultureprojects.com + www.meireundmeire.de