TEXT: STEFANIE STADEL
Steil hinauf schraubt sich die Treppe. Bis unter die Decke – dem Licht entgegen, das durch den gläsernen Kegel auf dem Dach der Halle fällt. Eine Verbindung zwischen Himmel und Erde markiert spektakulär den Start der Schau. Bildstreifen strömen über die Stufen in den Raum. Darauf sind Türme zu erkennen, manche intakt, einige aber schon zur Ruine verfallen. Anselm Kiefer nennt das Ganze »Bavel Balal Mabul« und macht damit klar, worauf man sich einzulassen hat: »Babel, Sprachverwirrung, Sintflut«, große Worte und Themen. Mächtige Werke, in denen sie sich zum labyrinthischen Bedeutungskosmos verknoten. Arbeiten, die Fragen stellen zu den Mythen, der christlichen Religion, der jüdischen Mystik, der Geschichte, zu Natur, Kultur, Literatur…
Die Wendeltreppe ist das jüngste Stück der großen Kiefer-Ausstellung in der Bundeskunsthalle und könnte gut als eine Art Resümee durchgehen. Umgeben ist sie in Bonn von rund 30 Werken – überwiegend monumentale Gemälde, aber auch ein paar gewichtige Skulpturen.
In Schichten und Überlagerungen angelegte Arbeiten, wo sich alles durchdringt und verschmilzt. In die Kiefer eine gigantische Sammlung von Geschichten und Mythen einfließen lässt. Bilder, die gespickt sind mit rätselhaften Zeichen – Schlüssel zu den Geheimnissen dieser Welt? Nur selten schimmert ein bisschen Hoffnung durch die düstere Bedrängnis, die Kiefer in dicken finsteren oder fahlen, erdigen und eisigen Farben auf die Leinwand bringt, wo sie sich mit Asche und Ästen, Ton, Mohn oder Frauenhaar vermischen,
mit verdorrten Sonnenblumen, rostigen Schiffen und jeder Menge Blei in Kontakt kommen.
Nicht viele Häuser würden eine solche Ausstellung mit so viel Leichtigkeit bewältigen. Das Licht und die Weite der großen Halle machen in Bonn Schwere und Pathos erträglich. Nehmen den Werken sogar zuweilen etwas von ihrer bedrängenden Präsenz. Für Kiefer scheint der Ort perfekt. Weniger hingegen für den alleinigen Leihgeber der Schau, den Duisburger Bauunternehmer Hans Grothe. An ihn nämlich knüpfen sich ziemlich unrühmliche Erinnerungen, ganz besonders in Bonn.
Denn Grothe hatte vor gut zehn Jahren weit über 40 Werke seiner Sammlung aus dem städtischen Kunstmuseum abgezogen. Nachdem seine Stücke dort Jahre lang gepflegt worden waren und, museal geadelt, sicher nicht zu knapp an Wert zugelegt hatten, brachte er sie bei Christie’s unter den Hammer. Darunter Fotografien von Andreas Gursky, Thomas Ruff und Thomas Struth, die der Großsammler zuvor besonders günstig erwerben konnte, mit der Versicherung, sie dauerhaft im Bonner Institut zu präsentieren.
Warum macht man nun erneut gemeinsame Sache mit diesem Mann? Natürlich habe er im Vorfeld der Ausstellung mit allen gesprochen – mit der Stadt, mit Stephan Berg, dem Leiter des Kunstmuseums, erklärt Robert Fleck als Intendant der Bundeskunsthalle. »Alle haben gesagt, das ist abgehandelt.« Für Fleck scheint die Kooperation mit Grothe schlicht der einfachste Weg zu sein, eine Großausstellung mit Kiefer auf die Beine zu stellen.
Ob er auch der beste ist? Das bezweifelt nicht nur Berg heftig, als Mitglied des Programmbeirates der Bundeskunsthalle. In einer Zeitung widersprach er Fleck – mit vielen Argumenten habe er versucht, den Kollegen vom Kiefer-Projekt abzubringen. Es sei dem Ruf und der Integrität der Bundeskunsthalle abträglich, exklusiv mit nur einem Sammler zusammenzuarbeiten. Fleck kontert mit finanziellen Gründen: »Das Problem ist, dass die meisten wichtigen internationalen Museen ein bis drei größere Arbeiten von Kiefer besitzen«. Allein vom Transport und von den Kosten her sei es kaum möglich, die äußerst empfindlichen Großformate aus aller Welt zusammenzuholen.
Viel einfacher war es da, auf Grothe zurückzugreifen, der bei dem Verkauf seiner Riesenkollektion damals allein Kiefer übrig behalten hatte, seither vieles dazu erwerben konnte und nun über ein Konvolut verfügt, das als weltweit größtes gilt und fast Kiefers ganzes Schaffen repräsentativ abdeckt.
Aber macht es Fleck denn überhaupt keine Bauchschmerzen, ausgerechnet Grothe erneut einen Auftritt auf prominenter Bühne zu ermöglichen, der – noch dazu vom Adlatus des Sammlers, Walter Smerling,
mitkuratiert – den Wert seiner Kiefer-Schätze steigern könnte? Überhaupt nicht, wie es scheint. Das Werk Kiefers, so Fleck, sei nach dem von Gerhard Richter das meistgeschätzte eines lebenden deutschen Künstlers. »Weder Kiefer noch Grothe haben die Bundeskunsthalle nötig, um eine Wertsteigerung zu erreichen. Das sind völlig stabile Weltmarktpreise, auf die wir überhaupt keinen Einfluss haben.«
Außerdem, so pflichtet Ausstellungsleiterin Susanne Kleine bei, gehe es hier ja nicht darum, Grothe eine Bühne zu bieten, ihn vielleicht reinzuwaschen. Es gehe allein darum, Kiefer umfassend präsentieren zu können.
Zumindest dieses Anliegen ist gut nachvollziehbar. Denn lange schon gab es hierzulande keine größere Ausstellung. Denkt man an Kiefer, treten einem meist nur Einzelwerke vor Augen, die man hier und dort einmal sah. Der spärlichen Ausstellungs-Präsenz in Deutschland steht Kiefers weltweit beachtliche Reputation und Wertschätzung entgegen.
Gleich zu Beginn seines Katalogvorworts pocht Fleck auf den enormen Ruhm des Künstlers im Ausland: Alle bedeutenden Museen in New York besäßen Werk-Ensembles. Eine Ausstellung kürzlich in Israel hätten knapp eine halbe Million Besucher gesehen. In Südkorea, China und Taiwan, Japan, Singapur und Indien werde Kiefer so intensiv gesammelt wie nur wenige andere. In Frankreich, wo er seit 20 Jahren lebt, sei er durch seine Installation im Pariser Grand Palais 2007 schlagartig zu einem der drei bekanntesten lebenden Künstler aufgestiegen.
Der letzte größere Auftritt in Deutschland liegt indes über 20 Jahre zurück. Er ging in der Nationalgalerie in Berlin über die Bühne und brachte Kiefer viel Kritik ein. Wohl ein Grund mehr für ihn, die Zelte hier abzubrechen und seinen Lebensmittelpunkt nach Frankreich zu verlegen.
Manch einer gibt Kiefers fortwährendem Umgang mit der jüngeren deutschen Geschichte die Schuld für den schweren Stand, den der Künstler in seiner Heimat hat. Es begann schon mit der Abschlussarbeit an der Düsseldorfer Akademie. Der kurz vor Kriegsende 1945 in Donaueschingen geborene Künstler bereiste dafür Frankreich, Italien und Holland. Überall fotografierte er sich selbst mit zum Hitlergruß erhobener Hand und nannte das »Besetzungen«.
Auch später taucht das Thema immer wieder auf. Wird nun allerdings viel weniger direkt umgesetzt. An die Stelle klarer Gesten tritt ein großer Vorrat an Texten, in die er tief eintaucht und die er immerfort in neuen Kombinationen ausdeutet, um für sich Geschichte begreifbar zu machen. Weniger als Historiografie, viel mehr als Mythos.
Die ganz frühe Zeit, in der die Auseinandersetzung mit Joseph Beuys für Kiefer eine große Rolle spielte, fehlt in Bonn. Denn die Grothe-Sammlung steigt leider erst mit Ende der 70er Jahre ein ins Werk, das damals intensiv mit der deutschen Geistesgeschichte umging – etwa in »Wege der Weltweisheit: Die Hermannsschlacht«. Ein Holzschnitt, in dem Kiefer sich 1978 auf die Suche nach den Ursprüngen unseres Nationalwesens begibt. Dazu vereint er 34 Porträts. Cheruskerfürst Arminius und preußische Generäle stehen da Seite an Seite mit Kleist und Kant neben brennenden Bäumen, die auf die legendäre Schlacht im Teutoburger Wald hinweisen.
An die zehn Jahre später sieht man Kiefer dann als scharfen Gegner der anberaumten Volkszählung. Anschaulich macht er seine Haltung mit einem großen Stahlcontainer, in dem unzählige Bleifahnen hängen, eine neben der anderen. In die Platten gepresst, finden sich 60 Millionen Erbsen. Jede steht für einen Deutschen – eingesperrt im grauen Alltag.
Das größte Gewicht legt die Ausstellung aber auf die letzten rund 20 Schaffensjahre in Frankreich, wo Kiefer seine Interessen zunehmend auf die universelle Geistesgeschichte lenkt. Immer häufiger kommt die Kabbala ins Spiel. Hinzu treten imaginäre Dialoge mit Dichtern wie Paul Celan und Ingeborg Bachmann.
Etwa wenn er inmitten trostloser Winterlandschaft ein Buch aus Blei platziert und daraus Verse strömen lässt, die, Celans Gedicht »Schwarze Flocken« entnommen, den Holocaust thematisieren. Aus anderer Quelle schöpft das Gemälde »Voyage au bout de la nuit« mit seiner Armada rostender Schiffe. Diesmal lässt sich der Künstler durch den russischen Dichters Welimir Chebnikow inspirieren, der berechnet hat, dass sich alle 317 Jahre eine bedeutende Seeschlacht ereigne. Diese Theorie nimmt der Maler zum Anlass, in ein Meer voller Tod und Zerstörung zu tauchen. Not und Angst, mit denen der Mensch kämpft, scheinen hier ständig wiederzukehren, wie in einem endlosen Kreislauf.
Mehr als zwei Jahrzehnte nach Kiefers letzter deutscher Solo-Schau hätte sich die Bundeskunsthalle mit einer echten Retrospektive ins Rampenlicht rücken können. Diese Möglichkeit ist durch die Fixierung auf Grothes Perspektive vertan. Der Katalog widmet dem umstrittenen Leihgeber ein ganzes Kapitel. Kurator Smerling geht dort ausführlich auf dessen spezielle Beziehung zu Kiefer ein. Da ist auch zu erfahren vom »Heimweh«, das Grothe nach dem Verkauf seiner Sammlung überfiel. Dieses Gefühl sei wohl auch der Grund dafür, dass er Kiefer bei sich behielt. Denn Heimweh, so Grothe, könne man am besten ertragen, wenn man noch ein Stück von dem habe, wonach man sich eigentlich sehne. »Der große Verlust schmerzt dann nicht mehr so…«
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn; bis 8. Januar 2013. Tel. 0228/9171 200. www.bundeskunsthalle.de