TEXT: ANDREAS WILINK
Wenn man nicht wüsste, dass dieses Prinzessinnen-Drama erst 2010 gedreht wurde, könnte man den Film für eine Produktion aus den siebziger Jahren halten, während derer auch die – für die Regisseurin offenbar autobiografisch grundierte – Mutter-Tochter-Geschichte spielt. Man denkt an Marco Ferreri (»Das große Fressen«), Francis Girod (»Trio Infernal«) und Andrzej Zulawski (»Nachtblende«). Nicht nur wegen der stilistischen Haltung, auch auf Grund des bizarr Dekadenten. Die ganze Atmosphäre des Regiedebüts der Schauspielerin Eva Ionesco erinnert an gewisse Pariser Nachtclubs jener Zeit, in denen sich Régine, »Yves«, Delon und Belmondo trafen.
Hannah hat sich unterm Dach ein verspiegeltes Atelier eingerichtet: einen Ort der verlorenen Zeit. In der frivolen Puppenwelt, drapiert mit Spitze, Seide, Rüschen und welken Blumen, nimmt die Fotografin schwüle Porträts auf. Ihre Tochter lebt indes mit der rumänisch sprechenden und betenden Urgroßmutter Parterre in einer Art Wohnküche. Die Bohémienne und Demimondäne (Isabelle Huppert) trägt Exzentrik zur Schau: extrem blondiert, aufgeputzt mit Gewändern der Belle
Epoque, egozentrisch. Partout mondän. Sie hält sich für »physiophobisch« (Nur nicht anfassen) und Väter für ein »Handicap der Natur«. Was ihre Freundschaft mit dem Künstler Ernst (Denis Lavant) aber nicht sehr belastet. Für Tochter Violetta (Anamaria Vartolomei) ist diese amputierte Familie nicht einfach, vor allem, wenn Mama in der Schule anrauscht und den Teenager vor aller Augen ihrem nostalgischen Look anverwandelt.
Peu à peu zieht Hannah die – wen wundert’s – frühreife Violetta in ihre Kreise und setzt sie der Kamera als Modell erotischer Maskeraden aus: Shirley-Temple-Prinzesschen, Marlene Dietrich im Pubertäts-Stadium und Balthus-Nymphchen, lasziv und morbide mit den Insignien von Kreuz und Gruft ausgestattet. Die Fotografien der Baby Doll machen Furore in ihrer Mischung aus verplüschtem Helmut Newton-Sex und dem schwulen Bilder-Pop von Pierre & Gilles.
Irgendwann rebelliert die Kleine und verweigert sich der dominanten Mutter. Ob tatsächlich erlittene Kindheit oder geschönte Fiktion, die Morbidezza des Missbrauch-Dramas ist nicht abendfüllend; der Talmi-Glamour und die narzisstischen Psycho-Konflikte gehen einem ziemlich auf den Wecker.
»I’m not a fucking princess«; Regie: Eva Ionesco; Darsteller: Isabelle Huppert, Anamaria Vartolomei, Denis Lavant; Frankreich 2010; 104 Min.; Start: 27. Okt. 2011.