Alle Gäste haben Platz genommen. Die meisten kommen schnell ins Gespräch – hier ein unverfänglicher Small Talk, da der heftige Disput, dort ein tief schürfender Gedankenaustausch. Ab und zu funkt es gar, doch schaut manch ein Geladener auch schweigend ins Leere. Mit dem Arrangement einer heiklen Tischordnung vergleicht Jean-Christophe Ammann seinen Kuratoren-Job in der Bonner Bundeskunsthalle. »Ich muss die Kunstwerke kennen, muss herausfinden, was sie verbindet; in den verschiedenen Lebensentwürfen die Schnittstellen ausfindig machen.« Das klingt aufwändig, immerhin hatte der Gastgeber ein repräsentables Bankett auszurichten: Die Ausstellung » Crossart – Van Gogh bis Beuys« führt in 13 Räumen um die 140 Stücke zusammen.
Fast wie alte Bekannte benehmen sich Lucio Fontanas grobe, kräftige Bronze-Bälle von 1960 und die Bauern aus Vincent van Goghs erdig-pastosen Gemälden der frühen 1880er Jahre. Und das weiße Nagelbild von Günther Uecker findet, allein formal, mühelos Kontakt zu Jeff Walls Foto des Holocaust-Denkmals auf einem jüdischen Friedhof. Etwas ratlos wirkt dagegen der 1911 von August Macke gemalte »Sitzende Akt mit Kissen«: Was soll er bloß anfangen mit Armandos dick und dunkel zugemaltem »Espace criminel« an seiner Seite? Könnte das leuchtende Rot, unten am Rand der düsteren Leinwand des Niederländers vielleicht Gesprächsstoff bieten?
Die bunte Gesellschaft in der Bundeskunsthalle stammt sämtlich aus zehn Museen für moderne und zeitgenössische Kunst, diesseits und jenseits der Grenze, zwischen der Museums-Insel Hombroich bei Neuss und dem größten Nationalpark der Niederlande in Otterlo, wo das Kröller-Müller Museum mit seiner 272 Stücke starken van Gogh-Kollektion sitzt. Unter dem Label »Crossart« haben sich die Institute 2003 zusammengeschlossen, um gemeinsame Sache zu machen in einer Kulturregion, die allzu leicht links liegen bleibt. Die gegenseitige Bewerbung, touristische Angebote, kleinere und größere Kooperationen – mit solchen Maßnahmen will man sich aus dem Schatten der Zentren manövrieren. Als Höhepunkt der Aktivitäten läuft nun die Ausstellung in Bonn plus Katalog mit gründlichen Porträts aller beteiligten Häuser.
Für sein Vorhaben hätte das Clübchen kaum einen publikumswirksameren Ort als die Bundeskunsthalle finden können und nur wenige Kuratoren, die es an Prominenz und Erfahrung mit Ammann aufnehmen würden. Seinen Beutezug und die zehn Museen beschreibt der mehrfache Museumsdirektor, Biennale-Kommissar, documenta-Organisator und 3sat-»Bilderstreiter« als »sinnliches, wenn nicht erotisches Abenteuer«. Es führte etwa ins Kurhaus Kleve, dessen Sammlung moderner Kunst auf den Nachlass von Ewald Mataré baut. Auch Venlo mit dem Museum van Bommel van Dam stand auf dem Reiseplan und Nimwegens Museum Het Valkhof, wo die niederländische Kunst ab 1960 gut vertreten ist.
Bei dieser abenteuerlichen Tour, abseits vertrauter Kulturtrassen, interessierte Ammann sich nicht nur für die größten, besten, populärsten Werke. Er hat auch weniger bekannte Meister nach Bonn geholt – aus Arnheims Museum voor Moderne Kunst etwa brachte er eine handvoll holländischer Künstler mit, die um die 30er Jahre herum gegenständlich malten. In der Überzahl aber sind die VIPs auf der Gästeliste für das Festmahl in der Bundeskunsthalle. Darunter jene stattliche Gruppe früher van Gogh-Gemälde aus Otterlo und über 30 Beuys-Blätter, die das Museum Schloss Moyland schickt. Immerhin beherbergt das Wasserschloss in Bedburg Hau die weltweit größte Kollektion an Werken ders Künstlers vom Niederrhein, dem nicht ohne Grund eine, wenn nicht die tragende Rolle in der Ausstellung zukommt.
Zu den beiden Titelhelden, Beuys und van Gogh, gesellen sich in Bonn einige von Wilhelm Lehmbrucks schlanken Frauenfiguren, außerdem schickt das Duisburger Museum Max Ernst mit seiner »Versuchung des Heiligen Antonius«. Das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld kann beispielsweise Monochromien in rot, blau, gold und dazu einen Körperabdruck von Yves Klein beisteuern. Mönchengladbachs Städtisches Museum Abteiberg ließ unter anderem eine frühe Neonarbeit von Richard Serra gehen.
Es sind meist prominente Vertreter, die nun in oft überraschenden, verblüffenden, manchmal aber auch fragwürdigen, dabei immer wieder sehr effektvoll inszenierten Konstellationen auftreten und nicht selten ungeahnte Charakterzüge offenbaren. Etwa wenn ein »Großer Geist« des auf der laufenden Biennale in Venedig geehrten Thomas Schütte und Franz Gertschs hyperrealistisches Riesen-Porträt namens »Silvia II« an der berühmten »Straßenbahnhaltestelle« von Beuys zusammentreffen. Wenn Alberto Giacomettis »Schreitender Mann« ernst und entschlossen auf das minimalistische Metallplattenfeld eines Carl Andre zusteuert. Oder wenn sich zwei rund 1000 Jahre alte religiöse Khmer-Skulpturen aus Kambodscha – ein weiblicher Torso und ein elephantenköpfiges Mischwesen – den klassischen Gemälden eines Piet Mondrian zuwenden und daneben On Kawaras »date painting« an das Verrinnen der Zeit erinnert.
Das alles folgt keinerlei System. Ammann widersetzt sich der drögen Idee einer Tour durch die deutsch-niederländische Museumslandschaft, er will kein gerafftes Porträt der zehn Sammlungen liefern und auch keinen kunstgeschichtlich-lehrreichen Abriss. Ausgewogenheit? Objektivität? Solche Qualitäten waren nicht maßgebend. Vielmehr zählen die Vorlieben des Kurators. So kümmert er sich kaum um Fotografie und junge Positionen, noch weniger um Videokunst, obwohl die Museen auch davon genug böten. Subjektivität und Beliebigkeit scheinen selbstverständlich – wie schon bei der Helden-Schau, die Ammanns Kollege Jan Hoet zur Eröffnung des Herforder MARTa-Museums präsentiert.
Das fehlende Konzept und die überall absolut persönliche Sichtweise sind sicherlich Eigenschaften, die man der Bonner Ausstellung auch anlasten könnte. Zumal jeder Zaungast für sich andere Schwachstellen in Ammanns durch viele Zeichnungen vorbereiteter Tischordnung entdecken wird. Trotzdem scheint diese Lösung sinnvoll. Hätten doch mögliche Konzepte – seien sie chronologisch oder regional bestimmt – allzu leicht angestrengt, aufgesetzt, störend gewirkt. Ammann gehört sicherlich zu den Ausstellungsmachern, die sich eine solche »Unordnung« leisten und sie auch bewältigen können. Er sei »in dieser Aufgabe aufgeblüht«, sagt der Kurator. Und das merkt man seiner Schau an.
Bis 6. November 2005. Katalog 400 Seiten, 25 Euro. Tel.: 0228/9171 200. www.bundeskunsthalle.de