Ein seltsames Gewächs ist dieser »Baum des Samurai«. Komponiert aus vielleicht 70 Kreisen – große, mittlere, kleine, winzige. Sie sind halbiert oder geviertelt und säuberlich an Achsen aufgereiht. Die Anordnung der Kreise bleibt immer gleich, doch wechselt das Bäumchen in ordentlicher Abfolge die Tönung. Rot, blau, gelb, weiß – ein eigens entwickeltes Computerprogramm lässt die vier Farben rhythmisch von einem Kreissegment zum anderen springen.
Gabriel Orozco hat alle vier Wände des »DC:Saals« im Kölner Museum Ludwig mit quadratischen Ausdrucken seines »Samurai’s Tree Invariant« gepflastert – 672 zählt man zusammen. Und auf jedem Blatt ist der Baum in einem anderen Zustand, einer neuen Farbkonstellation festgehalten. Mitten im Raum steht ein Monitor, der den virtuellen Ursprung des enervierenden Werkes belegt: Im Sekundentakt wechseln da die Momentaufnahmen des Kunstbaums und machen die stereotype Bilderflut komplett.
Für den Auftritt im Museum Ludwig hat Orozco die Endlos-Varianten erstmals zu Papier und an die Wand gebracht. Der Katalog beschreibt das Ergebnis als »Walk-in-Mandala«, doch angesichts der computergenerierten Rotation steht einem in Köln kaum der Sinn nach meditativer Versenkung.
Die kleine Ausstellung ehrt den 1962 geborenen Mexikaner als Träger des »blueOrange«-Kunstpreises der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. Mit Orozco wählten die Juroren eine seit langem gesicherte Größe auf dem internationalen Kunstparkett. MoMA, documenta, Biennale di Venezia – der Allround-Künstler mit Standbeinen in Paris, New York und Mexico City war schon überall zu Gast. Und immer wieder gut für Überraschungen.
So ließ er 1992 etwa einen 70 Kilogramm schweren Plastilinklumpen durch New York rollen. Die Straßenstrukturen prägten sich ein in die Oberfläche des »Yielding Stone«, Staub und Schmutz blieben kleben am »nachgebenden Stein«. Ein Jahr später rückte Orozco dem Citroen DS zu Leibe. Er entfernte einen schönen Streifen aus der Mitte des legendären Automobils und setzte anschließend die beiden Flanken wieder zusammen, als sei nichts gewesen. Aufsehen erregte der Künstler auch bei der Expo 2000 in Hannover mit seinem Riesenrad, das, zur Hälfte im Boden versenkt, seine Runden drehte.
Ein eigenes Medium, eine typische Handschrift, ein festes Atelier – all das gibt es nicht bei Orozco. Seine Arbeiten entstehen vor Ort, unterwegs, hier und dort, aus der Situation heraus – sie kommentieren meistens still, pointiert, oft ironisch.
Der Kölner »Samurai’s Tree Invariant« hat einen Vorgänger in Orozcos Serie »The Atomists«, für die der Künstler 1996 britische Zeitungen durchforstete. Er schnitt Sportlerfotos aus, brachte sie auf Lebensgröße und besetzte die Bilder dann mit runden Flächen. Die Verbindung zur aktuellen Arbeit ist offensichtlich, auch wenn die Komposition beim Samurai-Baum komplexer ist und die gegenständliche Unterlage wegfällt.
Deutlicher denn je scheinen in Orozcos wandfüllenden Abstraktionen für Köln Analogien zu großen Meistern der Moderne. Man denkt an Josef Albers, der in seiner rund 1000 Bilder starken Serie »Hommage to the square« unermüdlich die Wirkung unterschiedlicher Farbkombinationen durchspielte. Man denkt an das konstruktivistische Vokabular, die einfachen geometrischen Formen. Man denkt an Piet Mondrian mit seinem charakteristischen System aus Linien und Flächen in reinen Farben. Bezeichnend, dass just die Gestalt des Baumes Mondrian einst den Weg in die Abstraktion wies. Ob das ein Zufall ist?
Museum Ludwig, Köln. Bis 28. Januar 2007. Tel.: 0221 / 2212 61 65; www.museum-ludwig.de