TEXT: NICOLE STRECKER
Was für eine Stimme. In ihrem dunkel-weichen Timbre vibrieren die schönsten Geheimnisse. Wenn Kate McIntosh spricht – raunt, gurrt, schnurrt und summt – scheint die Welt gleich ein bisschen rätselhafter. Eine naturgegebene Verführerstimme, das ist wie ein Auftrag. Für Kate McIntosh bedeutet das: Kunst wider den Kommerz. »Gutes Theater ist wie ein großes, wunderschönes Aufeinandertreffen von Philosophie, Politik und Ästhetik. Ich habe den Eindruck, dass dieser Akt einer Zusammenkunft immer wichtiger und politischer wird. Also Menschen dazu zu bringen, Zeit miteinander zu verbringen, zu reflektieren und sich einzulassen auf ein nicht-kommerzielles Ereignis.«
McIntoshs Statement klingt allgemein, hat aber einen aktuellen politischen Hintergrund: Die 1974 in Neuseeland geborene Performancekünstlerin lebt in Brüssel, einst Tanzmetropole; doch seit einigen Jahren und verstärkt seit Amtsantritt der rechtskonservativen Regierung ist auch hier der Tanz zur Sparsparte geschrumpft. Selbst Anne Teresa de Keersmaeker und Sidi Larbi Cherkaoui verlieren ihren wichtigsten Koproduzenten. »Ich fürchte«, sagt McIntosh, »auch hier ist nun das Zeitalter der Kreativwirtschaft angebrochen, und Kunst wird künftig vor allem aus wirtschaftspsychologischem Blickwinkel betrachtet.« Ihre Konsequenz: etwa soziologisch-ökonomische Analyse-Instrumentarien auf ihren Witzfaktor hin untersuchen. »All Ears« – ein Lauschangriff in McIntosh-Manier mit vielen Fragen, u.a.: »Wer von Ihnen ist ein eher pünktlicher Mensch? Wer hat heute allein zu Abend gegessen? Denken Sie an Sex, wenn Sie sich langweilen?«
McIntosh sitzt während ihrer Performance am Tisch im schlichten Strickpullover (»slightly underdressed«), einen Bleistift zwischen den Fingern und vor ihr einige Unterlagen. Eine sanft-autoritäre Demoskopin. Die Zuschauer sind ihre Probanden. Der Theaterraum ist Soziotop für Selbstreflexions-Eiferer. Wer es bislang nicht war, wird von Kate McIntosh dazu gemacht. Wer könnte der verständnisinnigen Stimme widerstehen? Ihr beichtet man alles, hebt brav den Finger für die Stimmenzählung, muss das manchmal aber auch gar nicht tun. Dann stellt McIntosh eine ihrer indiskreten Fragen, blickt konzentriert ins Publikum und zählt einfach die Gedanken. Selbstverständlich – wird augenzwinkernd suggeriert – verfügt Charming-Kate über die Gabe der Telepathie. Hier jedenfalls wird nichts vor ihr verborgen bleiben. So geht das also: Theater als »Co-Thinking«.
2013 ist ihr großartiges Achtsamkeits-Training »All Ears« entstanden, das auch den Raum und sein Inventar zum Rumpeln bringt, aus dem Zuschauerkollektiv ein Orchester macht, das mit Fingerschnipsen, Händereiben und Trampeln ein Regengewitter komponiert und John-Cage-mäßig sogar die Stille als fantastisches Klang-Ereignis inszeniert.
Ein PACT-Kultstück. Bereits dreimal war McIntosh damit zu Gast in Essen. Jetzt ist sie die erste Künstlerin im neugeschaffenen Format »Porträts« von Stefan Hilterhaus, Leiter des PACT. In einer Mini-Retrospektive will er künftig herausragende Arbeiten von regelmäßig bei PACT gastierenden Künstlern präsentieren, um diese »in einem Zusammenhang vorzustellen, was in allen anderen Kunstformen auch sehr erhellend ist. Das schafft eine ganz andere Beziehung zwischen dem jeweiligen künstlerischen Kosmos und dem Publikum. Zudem ist es eine schöne Alternative zur erschöpfenden Logik des ewig Aktuellen.«
Kreation aus Destruktion, könnte ein McIntosh-Motto sein, denn sie schätzt die befreiende Kraft im Akt einer Zerstörung und lässt die Zuschauer in ihren oft interaktiven Performances auch mal am eigenen Leib spüren, wie therapeutisch eine kleine Zertrümmerungs-Tat mit Hammer, Säge, Faust sein kann. Weltordnende Antagonismen, wie »der Mensch ist ein Subjekt, das Ding ein Objekt« geraten auf ihrer Bühne in Unordnung. Sie nennt sich einen »Big Believer in Bodies«, aber nur, weil der Körper für sie vor allem eine physische Größe ist: Materie wie alles andere auch. Nicht zufällig weist ihre Lust am schräg inszenierten Kollaps von Ordnung, Logik und Narration Parallelen zur britischen Performance-Gruppe Forced Entertainment auf, einem anderen Dauergast bei PACT: Mit Tim Etchells hat sie mehrfach gearbeitet.
Für die nun mit vier Arbeiten porträtierte McIntosh ist die alte Waschkaue ein »precious place«, der sie inspiriert. McIntosh entdeckte sie schon Ende der 1990er Jahre, als sie sich noch gar nicht als Choreografin begriff. Damals tourte sie als Tänzerin von Meryl Tankards Australian Dance Theatre durch Europa. Im Jahr 2000 kam sie ins vielsprachige Brüssel, wurde Mitglied bei »Poni«, einem Punk-Kollektiv aus bildenden Künstlern und Musikern. Nicht nur Brüssel, die ganze Welt ist ein Multi-Universum mit vielleicht 100 Milliarden Galaxien – dieser Gedanke ist zentral in ihrem Schaffen.
Die Neuseeländerin denkt weitläufiger, als gemeinhin der Europäer. »Als ich hierher kam, fand ich es seltsam, dass der Mensch sich hier für so wichtig hält. Wenn man praktisch vom Ende der Welt kommt, wo es so wenig Leute gibt und die Natur unglaublich kraftvoll und unverleugbar ist, hält man die Menschheit für ziemlich ersetzbar.«
Weil die Tochter zweier Molekularbiologen naturwissenschaftlich sozialisiert wurde, schuf sie 2009 »Dark Matter«, eine brillant-komische Wissenschaftsshow über das All, die Schwerkraft, Schwarze Löcher, Mensch und Motte. Im grünen Glitzerkleid und mit erotisch-schleppender Stimme führt sie als kluges Glamourgirl durch die Daseinsrätsel und verquirlt vom Urknall bis zum Unbewussten Physik, Philosophie und Psychoanalyse. Triumphiert mit Eleganz gegen die Tücke des Objekts, tanztaumelt wider das gefährliche Dunkel, denkt über das Denken nach und verliert dabei den Faden, entschwindet auch schon mal in andere Dimensionen. Der Welterklärungsanspruch der Naturwissenschaften ist bei ihr ein intelligent sinistrer Witz, in dem auch Grusel mitschwingt vor dem Forscherdrang heutiger Trendwissenschaften wie der Neurobiologie, die eifrig daran arbeitet, unser Menschenbild zu verändern.
Wer gewinnt im Kampf um die höhere Wahrheit: Kunst oder Wissenschaft? »Die Wissenschaft will den Dschungel aus Metaphern lichten und strebt nach Klarheit, Singularität. Die Kunst will Bedeutungen in Schwingung bringen, spielt mit Kombinationen. Aber immer, wenn es einen großen Paradigmen-Wechsel gibt in den Naturwissenschaften, etwa die Entdeckung, dass die Erde rund ist oder der Klimawandel, braucht die Wissenschaft wirklich gute Metaphern – da kommt die Kunst ins Spiel.«
8. bis 12. April 2015, »Kate McIntosh Porträt«, PACT Zollverein, mit den Performances »Dark Matter« und »All Ears« und den Installationen »Worktable« und »De-Placed«.