TEXT: ULRICH DEUTER
Dies ist ein Roman über etwas kaum Glaubhaftes: die letzte Liebe Franz Kafkas, die im Juli 1923 begann und bis zu Kafkas Tod im Juli 1924 dauerte – die Liebe, in der Kafka zum ersten Mal mit einer Frau zusammen lebte, die Liebe, in der Kafka glücklich war. Ein Roman über etwas kaum Fassbares. Da hat sich in einer schon späten Luft von irgendwoher ein zartes Gespinst gebildet, auf das sich ein Licht senkt, es zum Leuchten bringt – so ist diese sofort sehr innige Liebe zwischen dem 40-jährigen, tuberkulosekranken Schriftsteller und der 25-jährigen, aus Polen stammenden, ganz unintellektuellen Kinderbetreuerin Dora Diamant. Und Michael Kumpfmüller, das ist das andere kaum Fassbare, weiß, dieses Gespinst mit Worten am Schweben zu halten ein ganzes Buch hindurch, ohne dass dies einmal fad, einmal kitschig, einmal hagiografisch würde. »Wir können ihn uns nicht vorstellen, hier, im Sessel gegenüber«, schrieb Reiner Stach in seiner großen Kafka-Biografie. Auf einmal können wir. Und die unbekannte Gestalt Doras wächst neben ihm. Im Ostseebad Müritz hat sich die junge Frau ganz gewöhnlich in »den Doktor«, wie es immer heißt, verliebt. Unwichtig, dass er einer der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Sprache ist oder später so genannt wird. Unwichtig auch seine wachsende Krankheit, die sie annimmt wie »eine frühere Geliebte, etwas (…) auf das sie nicht eifersüchtig ist.« In Berlin, wo sie hingehen, dauerndes Quartierwechselmüssen, Hyperinflation, Enge – die Zumutungen reihen sich, zugleich wächst Kafkas Krankheit dem Ende zu. Aber »wie unter einer Glocke« festigt sich das Paar.
Sehr nah ist das Buch an beiden Figuren, mal an ihm, mal an ihr. Alles Wesentliche erfindet es. Aber es spekuliert nie. Es ist diskret. Es ist einfach eine Liebesgeschichte, eine entsetzlich traurige, wahre. Gleich, ob die Liebenden Franz und Dora heißen oder irgendeinen anderen Namen tragen. – Die drei Abschnitte des Buchs heißen: kommen, bleiben, gehen.
Michael Kumpfmüller, »Die Herrlichkeit des Lebens«. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 240 S., 18,99 Euro. Lesung am 19. Okt., 20 Uhr, Literaturhaus Köln