// Lange war nichts mehr zu sehen und zu hören von ihm. Seit über 20 Jahren gab es keine größere Ausstellung, die den Maler ins Rampenlicht gerückt hätte. Auch mit aktueller Literatur über ihn sieht es schlecht aus. Hans von Marées und seine rätselhaften, düsteren, oft allegorisch überladenen Bilder sind heute schwer zu vermitteln. Sie scheinen der Zeit entrückt, bestückt mit geheimnisvollen Figuren, die nackt in geschichtsloser Natur verweilen. Immer wieder kreist Marées darin um einfache menschliche Situationen: Begegnung, Abschied, Zuwendung, Trennung.
Unser Zeitgeist spricht eine andere Sprache. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, schwebte Nicole Grave-Hartje seit Jahren schon eine große Marées-Schau im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum vor. Die damalige Direk-torin winkte ab. Beim neuen Chef, Gerhard Finckh, hatte die Kuratorin dagegen mehr Erfolg. Gute Gründe sprechen für ihren Plan: Immerhin ist Marées ein Kind dieser Stadt. Am Heiligen Abend 1837 wurde er in Elberfeld geboren. Und das Von-der-Heydt-Museum verfügt über eine der wichtigsten Sammlungen von Marées-Werken – genau 22 Gemälde und 41 Zeichnungen.
Die Ausstellung nun kann den Bestand durch schöne Leihgaben etwa aus der Alten Nationalgalerie in Berlin, aus der Hamburger Kunsthalle oder der Neuen Pinakothek in München ergänzen. Einen Haken hat die Auswahl allerdings: Die späten, größtenteils in München bewahrten Gemälde sind so fragil, dass sie seit Jahrzehnten schon nicht mehr ihr Haus verlassen dürfen. Schuld am schlechten Zustand haben die hölzernen Bildträger sowie Marées’ Unentschlossenheit: Auf der Suche nach der perfekten Form malte er Schicht über Schicht – eine Praxis, die sich heute mit Rissen und abgeplatzter Farbe rächt.
Man darf sich in Wuppertal also über genügend frühe und mittlere Gemälde freuen, findet das Spätwerk aber nur in einer Handvoll Beispielen vertreten. Insgesamt kommen um die 120 Marées-Werke zusammen. Bei ihrer Ordnung tanzt die Ausstellung dramaturgisch geschickt aus der chronologischen Reihe. Und setzt gleich an den Start das wohl bedeutendste Werk, den 1873 vollendeten Freskenzyklus für die Zoologische Station in Neapel.
Das Von-der-Heydt-Museum besitzt das berühmte »Neapler Skizzenbuch«, wo sich Marées erste Ideen zu diesem einzigartigen Gesamtkunstwerk aufgezeichnet finden. Hinzu kommen großformatige, farbintensive Ölstudien. Erstmals kann die Schau diese teils in Wuppertal, teils in Berlin beheimateten Vorarbeiten vereinen und Seite an Seite in einem am Neapeler Originalschauplatz orientierten Arrangement präsentieren.
Sofort fällt der Blick auf die »Ruderer« aus der Nationalgalerie in Berlin, sicher eines der populärsten Bilder von Marées. Hier wie überall in dieser Folge geht es um den Alltag am Golf von Neapel. »Der Gegenstand ist ganz aus dem Leben gegriffen«, bemerkte der Maler. Mit hellen Farben und flottem Pinselstrich beschreibt er das Meer mit Grotten, Inseln, Architekturen und einfachen Menschen: Die alte »Austernfrau«, einen grabenden Mann oder eben jene dynamisch vorwärts strebenden »Ruderer«.
In Neapel erlebt sich der sonst immerfort zaudernde, oft unzufriedene, zweifelnde Maler frisch und ausgeglichen: »Ich komme mir wie ausgewechselt vor, so leicht und schnell geht mir die Arbeit von der Hand«, jubilierte er. Die Neapler Fresken markieren zweifellos einen Höhepunkt in seinem Schaffen. Manch einer sah sie gar als einzig wirklich gelungenes Gemälde-Werk des Wuppertalers. Ein allzu hartes Urteil, das der Rundgang leicht widerlegen kann.
Der führt nach dem Start in Neapel zu den frühen Pferde- und Soldatenbildern über die Landschaftsidyllen bis hin zu den Porträts, den Selbstbildnissen und Figurenstudien. Mühelos lassen sich dabei jene tiefen Spuren verfolgen, die prominente Vorbilder auf Marées’ künstlerischem Weg hinterlassen haben: zuerst Rembrandt und Leibl, später Tizian, dann Delacroix sowie Meister der italienischen Renaissance. Und schließlich die Antike: Marées arbeitet sie modern auf in harmonisch-arkadischen Figurengruppen.
Alles in allem erscheint Marées in Wuppertal zwar nicht als virtuoser Maler – manches ist verzeichnet oder zermalt, einiges wirkt ungelenk, unentschlossen oder unfertig. Doch offenbaren sich auch deutliche, bisher weniger gewürdigte Stärken. Eine davon liegt gewiss in der Porträtmalerei, auf die das Von-der-Heydt-Museum in seiner Schau besonderes Gewicht legt.
Früh ist dieses Talent zu erahnen im Wuppertaler Selbstbildnis von 1855. Da tritt uns der gerade mal 18 Jahre alte Kunststudent in Berlin selbstbewusst entgegen mit stolzem Ausdruck, musterndem Blick, in die Hüfte gestemmtem Arm. Der Weg von hier zu den Porträts der reifen Jahre scheint viel kürzer als jener von den konventionellen Soldatenbildern der Frühzeit zu den späten Figurenkompositionen.
Mit dem 1863 gemalten »Doppelbildnis Marées und Lenbach« aus München kann die Schau ein weiteres, besonders gelungenes Beispiel bieten. Marées, damals 26 Jahre alt, war nach seinem Studium in Berlin in die Kunstmetropole München gezogen und dort dem etwa gleichaltrigen Kollegen Franz von Lenbach begegnet. Für sein Doppelporträt nun wählte er den Typus des Freundschaftsbildnisses. Wobei von Freundschaft in der Bildkomposition wenig zu spüren ist. Während Marées sich selbst im hell erleuchteten Hintergrund mit überlegener Miene und keck rot getupften Lippen in Szene setzt, weist er Lenbach den verschatteten Vordergrund zu und versteckt dessen Augen hinter beschlagenen Brillengläsern.
Kurz nach diesem malerischen Streich, im November 1864, verabschiedete Marées sich aus München und brach zu seiner in vieler Hinsicht wegweisenden Reise nach Italien auf. Wie schon Lenbach wollte er dort im Auftrag des Grafen Adolf von Schack Werke Alter Meister kopieren. Ein Job, der zwar Geld brachte, ihn aber wenig befriedigte. Deshalb nahm der Maler sich beim Kopieren immer mehr Freiheiten – seine überaus schöpferische Interpretation der »Donna Velata« von Raffael legt davon Zeugnis ab.
Für den jungen Künstler war dies die letzte Kopie. Fortan folgte er in Italien einem anderen Plan: »Ich werde die hiesige Kunst in einer solchen Weise auszubeuten suchen, dass sie mich nicht allein belehrt, sondern auch zu eigenen Thaten inspiriert.« Glücklicherweise fand er nach dem mutigen Bruch mit Schack in dem gut betuchten Privatgelehrten Konrad Fiedler bald einen neuen Sponsor. Und in dem Bildhauer Adolf von Hildebrand noch dazu einen guten Freund.
Auch gelang es Marées bald, seinen Vorsatz zu verwirklichen und die italienischen Anregungen für das eigene Schaffen fruchtbar zu machen. So verbannte er – mit der Renaissancemalerei im Hinterkopf – rasch alles Erzählerische, alles Genrehafte aus seinen Bildern und fand zu jener so charakteristischen farbigen Dunkelheit. Ein erstes eigenständiges, wenn auch nicht besonders überzeugendes Exempel für die neue Sprache bietet im Von-der-Heydt-Museum die dem Vorbild Giorgiones verpflichtete »Römische Landschaft II« mit bekleideten und nackten Menschen in einer von Pappeln gegliederten Gegend.
Es ging Marées nur mehr um reine Zuständlichkeiten, um zeitlose, stille Szenen vor unbestimmter Naturkulisse. »Man kann sich nicht genug vorsehen, nicht in den Strudel des modernen Treibens hineingerissen zu werden, dieser Hast, dieses Nippens statt Geniessens«, so warnte der Künstler und setzte sich damit entschieden ab von Zeitgenossen wie Édouard Manet, der in seiner Malerei »la vie moderne« feierte. Marées verfolgte sein eigenes Ziel. »Beruhigend wie auf den Tag das Abendsonnenlicht müssen schließlich auch Kunstwerke wirken«, schrieb er 1871. Und fügte hinzu: »Ich werde das erreichen.«
So zuversichtlich zeigte sich der Maler nur selten. Ständig unzufrieden mit seiner Arbeit, verschanzte er sich im Atelier. Nur Freunde und Schüler ließ er vor – ab und zu. Als sein Geldgeber Fiedler einmal zu Besuch kam, fand er sich in der Werkstatt »umgeben von den Zeugnissen eines unablässigen Ringens«. Bei »immer und immer erneuten Versuchen schien eine ungeheure Kraft aufgewendet«, so bemerkte der Mäzen. Marées: Der Suchende, der vergeblich nach Vollendung strebende.
Unter seinen Zeitgenossen war er denn auch kaum bekannt. Zu Lebzeiten verkaufte der Künstler so gut wie nichts, und er brachte es in den ziemlich genau 50 Jahren seines Daseins zu einer einzigen Einzelausstellung, die ihm zum legendären Misserfolg geriet. Der Ruhm kam posthum. Marées war erst wenige Jahre tot, da begann sein Siegeszug durch deutsche Künstlerateliers.
Fiedler hatte den Nachlass an den bayerischen Staat vermittelt. In Schloss Schleißheim bei München präsentiert, wurden Marées’ Werke bald zum Pilgerziel für eine ganze Künstlergeneration, die nach Erneuerung der Kunst jenseits von Historismus und Naturalismus strebte. Hier fanden die Jungen, was sie suchten: klare Formen, ruhige Größe, festen Boden unter den Füßen.
Zu den prominentesten Bewunderern gehörten Maler wie Franz Marc, August Macke oder Max Beckmann. Die Runde machte Marées’ Vorbild aber ebenso unter Bildhauern, die den Maler ohne zu zögern für die eigene Gattung in Anspruch nahmen. Als er gefragt wurde, welche Skulpturen des deutschen 19. Jahrhunderts ihm am besten gefielen, antwortete Wilhelm Lehmbruck ohne zu zögern ganz ernsthaft: Hans von Marées’. //
Bis 14. September 2008, Katalog 25 Euro. Tel.: 0202/563 62 31. www.von-der-heydt-museum.de