TEXT: ANDREAS WILINK
Der Vorteil kultivierter britischer und amerikanischer Menschen gegenüber unsereinem ist, dass sie das, was sie für Probleme halten, mit einem und in einem Drink aufzulösen gewohnt sind. Unter dieser Prämisse ist zu verstehen, was 1936 in England vor sich ging und das Vereinigte Königreich und seine Kolonien in eine Staatskrise stürzte, aus der die Insel unbeschadet hervorging. Man muss nicht Historiker sein, um darüber Bescheid zu wissen. Es genügt, als Kinogänger im letzten Jahr »The King’s Speech« gesehen zu haben. Da lag das Hauptaugenmerk auf Bertie, dem späteren George VI. Madonna interessiert sich mehr für dessen Bruder David, der als Edward VIII. abdankte und 500 Millionen Untertanen brüskierte, um die zweimal geschiedene Amerikanerin (»Yankee-Hure«, laut Yellow Press) zu ehelichen und fortan im Exil zu leben, das man sich nicht als armselig, sondern in splendid isolation vorstellen muss.
»W.E.«, gemäß den Initialen des großen Liebespaars, ist – der Mann trägt wenig bei – eine Hommage an die Frau. Die romantische, toughe, selbstbewusste, eingeschüchterte, vernachlässigte, unglückliche Frau.
Es gibt zwei: Wally und Wallis. Die eine spiegelt sich in der anderen. Wally Winthrop (Abbie Cornish) lebt als Art Wiedergängerin in Manhattan mit einem seelenlos rabiaten Psychiater und besichtigt Tag für Tag Sotheby’s, wo der Nachlass des weltläufigen Windsor-Herzogpaars zur Versteigerung ausgebreitet ist: all die Juwelen, Kleider, Accessoires, Möbel und kostbarer Nippes. Und zu allem Überfluss noch ein schmucker russischer Wachmann, der sie anhimmelt. Wally fantasiert sich in das Märchen und die Phantomgestalt der Wallis Simpson (Andrea Riseborough), deren erster Ehemann ein Gewalttäter und dessen Nachfolger so chevaleresk war, den Platz His Majesty (James D’Arcy) zu überlassen, den er spöttisch »Peter Pan« nennt.
Die biografischen Splitter und Arabesken der einen wie der anderen übersetzt die vor Manierismus tolle Kamera in Einstellungen, die Ganzes in Einzelteile zerlegen: hier ein Auge, dort ein Handgelenk, mal ein Flakon, ein Hauch Chiffon, ein Edelstein oder die losgelösten Gliedmaßen in einer Tanzorgie, begleitet von Swing und anderen melodiösen Stimmungsmachern. Der Film – mythisierend, melodramatisch und sehr sentimental – lässt sich anschauen wie ein Journal des Luxus und der Moden. Man staunt, freut sich an schönen Menschen und noch hübscheren Objekten, ohne sich weiter für sie zu interessieren, und blättert zur nächsten exquisiten Komposition, bis man sich ermüdet abwendet. »W.E« sieht aus wie eine zweistündige Chanel-Werbung. Das sind 110 Minuten zu viel.
»W.E.«; Regie: Madonna; Darsteller: Abbie Cornish, Andrea Riseborough, James d’Arcy; USA; 2011; 115 Min.; Start: 21. Juni 2012.