Sie kommen aus Kasachstan und Russland, vom Hindukusch, aus Angola, dem Libanon, Iran und der Türkei – zumindest ihre Eltern. Sie selbst sind schon im Schatten der Zeche Zollverein geboren, jedenfalls dort aufgewachsen. Nun sitzen sie am Katernberger Markt an der Bushaltestelle, warten auf den 187er oder eine andere Verbindung, warten auf zukünftigen Anschluss.
Als Mix aus »Linie 1« und »West Side Story« lassen sich die »Homestories « von 20 Jugendlichen sehen. Sie folgen einer Musical-Dramaturgie, die gekonnt zwischen ruhigen Erzählpassagen und stiebenden Ensembles wechselt, die den Einzelnen, der sich jeweils mit seinem genauen Geburtsdatum vorstellt, heraushebt und ihn dann wieder in die kommentierende, feixende oder nur zuhörende Gruppe einordnet und in der sich emotionale Zustände über Liedtexte, Songs und Tanz mitteilen. Worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man singen – in HipHop und Ethno-Pop. Hassan und Anna-Katharina wissen das so gut wie die anderen.
Die elf Mädchen und neun Jungen aus dem Essener Norden haben nach erfolgreichem Casting mit Nuran Calis und Thomas Laue über Monate daran gearbeitet, ihre Geschichten zu erzählen, die vielleicht auch unsere sind, wie in der Studiobühne Casa anfangs prognostiziert wird. Short Stories, die Lebenswirklichkeit abbilden, aber eben auch theatrale, mithin höhere Wahrheit behaupten und im komödiantisch szenischen Spiel manch eine Verspannung lösen. Wenn Richard Edel von seiner ursprünglich kasachischen Heimat berichtet und wie die Familie dort, um zu sparen, auf Elektrizität verzichtet habe, wird die Bühne auf Zuruf hin hell. Lichtwerdung, konkret und symbolisch. Das Projekt des Schauspiels Essen allein als soziale Maßnahme zu begreifen, täte dem Ergebnis Unrecht. Zwar erfahren wir von familiärem Zerfall, schulischen Problemen, Schwierigkeit mit Behörden, Drogenkonsum, Ausgrenzung, aber Gefühlsturbulenzen bilden den zentralen Nervenstrang: Mit »Liebe ist nur ein Mord« hat Hassan sein T-Shirt bedruckt, wenn er erzählt, wie ihn Angie verlassen hat. Auf einem der Reklameprospekte der Bühne (Monika Diensthuber) bewirbt eine Automarke »The Power of Dreams«. In den »Homestories« erweist sich die Kraft des Faktischen als stärkerer Antrieb. AWI