Interview: Ulrich Deuter
Die Polemik des Publizisten Ralph Giordano gegen den Bau einer großen Moschee in Köln-Ehrenfeld hat eine neue Debatte über das baurechtlich kaum abzulehnende Gotteshaus entfacht: Befördern oder behindern solche Moscheen die Integration? Sind sie legitimer Ausdruck der Religionsfreiheit oder bedeuten sie eine Machtgeste gegenüber der Mehrheitsgesellschaft? – Prof. Dr. Faruk Şen, 1948 in Ankara geboren, an der Universität Münster promovierter Betriebswirtschaftler, ist Direktor des Zentrums für Türkeistudien, einem Aninstitut der Universität Duisburg- Essen, das sich seit 1985 vor allem der wissenschaftlichen Erforschung der türkischen Migrantengesellschaft widmet. Während der in Köln lebende Schriftsteller Dieter Wellershoff jüngst in der FAZ schrieb, er fürchte die in einer Großmoschee »hingestreckten Menschenleiber als eine kritische Masse unberechenbarer Energien«, plädiert Şen im Gespräch mit K.WEST für mehr Gelassenheit und sieht die Bringschuld bei den Deutschen.
K.WEST: Den Protest von ausländerfeindlichen Gruppen wie »Pro Köln« aus guten Gründen einmal beiseite gelassen: Können Sie den Widerstand vieler Kölner gegen die neue Moschee verstehen?
SEN: Bis jetzt hat es über 2.300 Moscheevereine gegeben, die auf Hinterhöfen oder in alten Fabrikgebäuden residierten, und niemand hat das gestört. Nachdem die Muslime jetzt auf die Idee kommen, richtige Moscheen samt Minarett zu bauen, erlebt man das als Bedrohung. Eine Moschee in Duisburg-Marxloh oder -Huckingen, in Marl an der Autobahn, in Essen-Katernberg ist kein Problem. In Köln aber wird dies die zweite Moschee in einer deutschen Stadt, die zentral platziert ist. Die erste war die in Mannheim, und die wurde ganz ohne Aufregung erbaut – das war vor 15 Jahren. Ja, auf der einen Seite verstehe ich die Angst der Nicht-Muslime, denn die katholische und die evangelische Kirche verlieren immer mehr Mitglieder, Kirchen werden geschlossen, und im Gegenzug erstarkt hierzulande der Islam. Und seit dem 11. September 2001 gibt es sowieso eine Aversion gegenüber allem Muslimischen. Auf der anderen Seite plädiere ich dafür, gegenüber solchen Befürchtungen Überzeugungsarbeit zu leisten, denn man muss auch überzeugen. Die Kölner Muslime sollten ihren deutschen Mitbürgern nahe bringen, dass der Islam keine aggressive Religion ist und in Deutschland keine Eroberungsabsichten hegt.
K.WEST: Es existiert offenbar die Angst, dass eine Moschee, vor allem eine solcher Größe, mehr oder etwas anderes ist als ein Gotteshaus. Was ist und bedeutet eine Moschee, sagen wir genauer: eine Moschee in der Türkei? Denn hierzulande und speziell in Köln geht es ja maßgeblich um Türken.
SEN: Eine Moschee ist hauptsächlich dafür da, dass man fünfmal am Tag, wenn der Muezzin ruft, dorthin geht und betet. Auch der Gottesdienst für einen Verstorbenen findet dort statt. Während des Ramadans kommen die Gläubigen abends nach dem Fastenbrechen für eine etwas längere Zeit, aber andere Funktionen besitzt eine Moschee nicht.
K.WEST: Stimmt es denn nicht, dass Moscheen in der Tradition Handels- und Kommunikationszentren waren, soziale Treffpunkte und damit auch politische Orte?
SEN: Während der osmanischen Herrschaft waren Moscheen tatsächlich die Zentrale einer Stadt, mit Schulen, Läden usw. In der heutigen Türkei aber gibt es nur noch reine Moscheen und um sie herum keine Geschäfte, die mit ihr in Verbindung stünden. In Deutschland sehen wir allerdings, dass sich rund um einige Moscheevereine Supermärkte, Friseure, Sportvereine gruppieren, eben weil ein solcher Gebetsraum Anziehungskraft besitzt. Auch um die alte Kölner Ditib-Moschee herum gibt es Lebensmittelläden, Buchhandel, Restaurants. Aber das spiegelt nicht die türkische Tradition wider, sondern ist eine Entwicklung, die in der Diaspora entstanden ist.
K.WEST: Widerstand regt sich in Köln ja nicht zuletzt auch gegen die Größe des Baus. In Berlin hat das Verwaltungsgericht gerade die Errichtung einer ähnlich großen Moschee verboten, auch dort ging es weniger um einen Sakralbau als um ein Riesenkulturzentrum. Warum geraten viele neue Moscheen so groß, wenn nicht als Zeichen der Macht, der Einflussnahme?
SEN: Die bisherigen Gebetsräume waren meist sehr beengt. Jetzt wollen die Gemeinden, wenn sie schon viel Geld investieren, auch etwas richtig Großes haben. Und dann gibt es natürlich auch Konkurrenz untereinander: Die bisher größte Moschee steht in Mannheim, da will Köln natürlich mindestens genauso groß bauen. Dazu kommt die Konkurrenz zwischen Ditib und anderen islamischen Gruppierungen.
K.WEST: Bauherr der Kölner Moschee ist, Sie sagen es, die Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion. Wer ist das?
SEN: Ditib ist eine 1984 vom türkischen Staat in Deutschland gegründete und von ihm stark beeinflusste Dachorganisation, deren Vorsitzender der Religionsattaché der Türkei ist. Ditib ist eine zum Laizismus gezwungene Institution, im Vergleich zu anderen wie Milli Görüs sind sie für mich fortschrittlich, Islamisten etwa können dort in keinem Fall Fuß fassen. Nach unseren Meinungsumfragen fühlen sich 73 Prozent der stark gläubigen, in Deutschland lebenden Türken von der Ditib vertreten. Ditib hat 711 Moscheevereine in Deutschland.
K.WEST: Viele Moscheen, sagt die türkische Soziologin Necla Kelek, sind Keimzellen einer Gegengesellschaft, sie befördern die Abschottung, nicht zuletzt weil sich um sie herum eine Parallelgesellschaft gruppiert, die mit der Mehrheitsgesellschaft gar nicht mehr umgehen muss. Befördern Ihrer Meinung nach die großen Moscheen die Integration oder bewirken sie das Gegenteil?
SEN: Necla Kelek hat ihr Image in der deutschen Öffentlichkeit dadurch gewonnen, anti-islamische Aussagen zu treffen. Das ist ihr gutes Recht, denn man muss kein Gläubiger sein. Aber ich teile ihre Meinung nicht. Ich glaube, Moscheen sind weder für Integration noch für Desintegration verantwortlich. Die Leute wollen einfach da, wo sie leben, ihre Gebetsräume haben. Ich muss leider feststellen, dass in Deutschland unterschwellig Islamophobie herrscht. In Köln leben mittlerweile 120.000 Muslime, wenn nach Jahrzehnten islamischen Lebens in Köln eine Moschee gebaut wird, sollte man sich nicht darüber aufregen.
K.WEST: Wie viele der türkischen Migranten gehen regelmäßig in die Moschee?
SEN: In einer empirischen Studie haben wir die Befragten selber beurteilen lassen, für wie fromm sie sich halten. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der »Frommen« verdoppelt, von sieben auf 15 Prozent. Ich bedaure diese Entwicklung sehr. Dabei sind drei Faktoren maßgeblich: das Leben in der Diaspora; die Diskriminierung durch die deutsche Gesellschaft; die Verarmung breiterer Schichten. Denn im selben Zeitraum hat sich die Arbeitslosigkeit bei Türken fast verdreifacht, 30 Prozent der Türken sind derzeit erwerbslos, 43 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Wenn es einem schlecht geht, nimmt man eben die Religion mehr in Anspruch. Aufgrund der Ablehnung durch die deutsche Gesellschaft entwickelt man immer mehr eigene Infrastrukturen. Das führt aber auch dazu, dass wir in NRW z.B. über 30 türkische Diskotheken haben. Dort feiern an den Wochenenden über 5000 junge Türkinnen und Türken, sind halbnackt, trinken Alkohol, aber türkischen. Dieselben Jugendlichen fasten im Ramadan. Ist das nun Desintegration? Nein, das ist eine Trotzreaktion gegenüber der deutschen Gesellschaft, weil man sich diskriminiert fühlt wegen seiner Religionszugehörigkeit. Dadurch wird man nicht unbedingt frommer, aber nimmt die Religion stärker in Anspruch.
K.WEST: Geht auch die türkische Jugend in die Moschee?
SEN: Nicht anders als bei den christlichen Kirchen ist die Begeisterung für organisierte Religiosität unter Jugendlichen viel geringer als die Moscheen sich das wünschen und als viele Deutsche befürchten.
K.WEST: Die neue Moschee in Köln soll einen Gebetsraum für 2000 Gläubige bekommen. Ist das Ihrer Einschätzung nach zu groß oder zu klein für die Gläubigen?
SEN: Ehrlich gesagt: Fürs Freitagsgebet ist es eher zu klein, ansonsten eher zu groß. Tagsüber gehen nicht mehr als 30, 40 Leute in die Moschee.
K.WEST: Sollte in einer Moschee in Deutschland auch Deutsch gesprochen werden?
SEN: Selbstverständlich wäre dies Zeichen einer gelungenen Integration des Islams. Das wird auch so kommen.
K.WEST: In Deutschland stehen über 150 Moscheen, also deutlich sichtbare Sakralbauten des Islam, 184 weitere sind im Bau oder in der Planung. Wer bezahlt die alle?
SEN: Ich glaube, diese Zahlen sind übertrieben. Wir haben eine Zählung vorgenommen und herausgefunden, es gibt zurzeit 81 Moscheen, also solche mit einem Minarett, und bis 2010 wird diese Zahl auf 150 steigen. Die kleinste Moschee wird aber auch vier Millionen Euro kosten. Eine erstaunliche Summe. Woher kommt das Geld? Ein Beispiel: In Essen-Katernberg leben 9000 Türken, die meisten sind arbeitslos, sie sparen an Essen und an Schuhen, aber für ihren Moscheeverein haben sie Geld übrig. Das ist Fanatismus, dass man immer wieder seine ganzen Ersparnisse für Moscheen investiert.
K.WEST: Die Kölner Moschee soll ca. 30 Millionen Euro kosten.
SEN: Köln ist der Hauptsitz von Ditib. Die haben einen sehr großen Etat. Ich gehe davon aus, dass für die Kölner Moschee sehr viel Geld auch aus der Türkei kommt. Was ich bedauere, denn Ditib sollte nicht Steuergelder aus der Türkei für die türkischen Arbeiter in Deutschland ausgeben, sondern für vernünftige Zwecke in der Türkei.
K.WEST: In Duisburg wird derzeit eine ähnlich große Moschee gebaut. Warum gibt es dort keinen Krach?
SEN: Duisburg hat keine Initiative »Pro Köln« und keinen Ralph Giordano, der auf die Barrikaden geht Nein: Die Duisburger sind offenbar vernünftiger als die Kölner.