Jürgen Becker hat vor Jahren bei einer Stunksitzung ein trauriges Lied vom »Funkenmariechen« gesungen, auf die Melodie von Tom Waits‘ »Tom Traubert‘s Blues«, besser bekannt als »Waltzing Mathilda«. Das klatschwütige Publikum war auf einmal still, fast meinte man, einzelne Tränen ins Kölsch tropfen zu hören. Bei aller ironischen Distanz des alternativen Lehrerkarnevals brach sich Sentimentalität Bahn, als es um eines der Ursymbole des Karnevals ging.
Dreispitz, Uniformjacke, Zöpfe
Keine Prinzenproklamation ohne die Funken und ihre tanzende Quotenmarie, kein Rosenmontagszug ohne Funkenmariechen, die durch den kamellegeschwängerten Luftraum gewirbelt werden. Die Figur des Funken- oder auch Tanzmariechens hat ihren Ursprung in der Marketenderin, die die militärischen Truppen im Dreißigjährigen Krieg begleitete und mit Waren und Dienstleistungen versorgte. Ihre Uniform lehnt sich stilistisch an jene der Stadtsoldaten aus dem 18. Jahrhundert an – Dreispitz, Uniformjacke, kurzer Rock, Stiefel sowie eine Perücke mit geflochtenen Zöpfen.
Kusshände in die Menge
Ebenso erforderlich sind ein meist eingefrorenes Lächeln, leberwurstpellenfarbige, blickdichte Glanzstrumpfhosen und die Bereitschaft, sich bei jeder Sitzung von einem Türsteher in Funkenuniform auf einer Hand gestemmt kusshändchenwerfend durch den Saal tragen zu lassen. Bis in die 1930er Jahre wurde der Part des Funkenmariechens von Männern übernommen, mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich das. 1936 gab es erstmals weibliche Funkenmariechen, da alles andere, nach dem Weltbild des Fascho-Faschings, dem »deutschen Mannestum« widersprechen und der Homosexualität und dem Transvestitentum Vorschub leisten würde. Weil man einmal dabei war, musste auch die Figur der »Jungfrau« im Dreigestirn in den Jahren 1938 und 1939 von einer Frau dargestellt werden.
Die Hebefiguren gibt es erst seit den 60er Jahren
Nach Kriegsende änderte sich das erneut; das Funkenmariechen blieb hingegen weiblich besetzt. Die berüchtigten Hebefiguren im Gardetanz wurden übrigens erst in den 1960er Jahren eingeführt – durch das kölsche Tanzmariechen Gerdemie Basseng (geb. Pütz). Die »Rosa Funken« waren es schließlich, die die Traditionskluft vom Muff der Jahrhunderte befreiten. Der schwule Kölner Karnevalsverein, der 1995 aus der »Rosa Sitzung« hervorging, steckt seine Funken seitdem in aufgerüschte rosa Lack-Uniformen und lässt das männliche Tanzmariechen in pinken Overknee-Stiefeln über die Bühne stöckeln.
Das führte bei den konservativen Karnevalisten erwartungsgemäß zu nervöser Schnappatmung, aber seit die Kölner (2011) und Düsseldorfer (2008) ihren ersten schwulen Karnevalsprinzen hatten, gehören auch die Auftritte der »Rosa Funken« bei den etablierten Sitzungen zur Tagesordnung. Und noch was: Falls Ihnen im Karnevalstreiben ein Funkenmariechen zuckend entgegentorkeln sollte, muss das nicht unbedingt am übertriebenen Kölschkonsum liegen. Es könnte sich auch um ein Zombie-Funkenmariechen handeln – entsprechende Schminktipps gibt es im Internet. Neben dem traditionellen Kostüm braucht man dafür Blutspray, Leichen-Make-up, Horrorhaut, Wundschorf und rote Kontaktlinsen. Jeder Jeck ist halt anders.