TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Nogger« heißt jetzt Birgit. Oder Stefan. Oder Andreas. Anlässlich des 50. Geburtstages tauscht der Eisklassiker seinen Namen gegen einen aus der Liste der 18 beliebtesten Vornamen des Jahres 1964. Wer sich heute eine Birgit aus der Truhe nimmt, wird zudem feststellen, dass die historische Langnese-Markise, die 1998 durch das globale Herz-Logo ersetzt wurde, wieder da ist. Jedenfalls teilweise, als verschämtes Zitat.
Retro heißt die Devise und Marketingstrategie; spätestens seit den 90er Jahren, als das »Dolomiti« wieder in den Läden auftauchte. Nicht das Original, das man von 1973 bis 1987 kannte, sondern eine Neuauflage mit Stachelbeer- anstatt Waldmeistergeschmack. Sicher, die Erinnerung verklärt Vieles, aber schmeckte das »Dolomiti« auch damals so künstlich? Der Schuss ging jedenfalls nach hinten los, erst 2014 sollte das Eis überarbeitet zurückkehren.
Diese Retro-Strategie ist gar nicht mal so falsch. Wahrscheinlich ist eine frühkindliche Prägung daran schuld, dass man noch heute zu den Klassikern greift und sich bei Namen wie »Nogger«, »Split«, »Calippo« oder »Cornetto« eine warme Erinnerung an vergangene Sommer einstellt. Im Rückblick wird deutlich, wie sehr der jeweilige Zeitgeist das Sortiment bestimmte. In den 50er Jahren standen die braven Eiswaffeln »Happen« und »Domino« für Solidität, das knallfruchtige »Capri« bediente die Sehnsucht nach dolce Italia. Die angesagte Farbpalette der 70er fand sich mit »Dolomiti«, »Brauner Bär« und »Grünofant« in der Kühltruhe wieder; die 80er brachten mit »Ed von Schleck« ein richtiges Jungs-Eis in einem Kunststoffzylinder. Um das Eis nach oben zu schieben, musste man in der Truhe erstmal nach dem passenden Stiel suchen, der danach in den Zylinder gesteckt werden musste. Es folgten weitere gefrorene, oral-erotische Doppeldeutigkeiten wie »Calippo« und »Flutschfinger«. Aber auch der Werbespruch »Nogger Dir einen!« wurde ja von Anfang an auf Schulhöfen bekichert. Später, in den 90ern, war man beim »Magnum« nur wenig subtiler – Frauenmünder, die sich auf Schokoglasuren senken, dazu das charakteristische Knackgeräusch: »Ich und mein Magnum«.
Auf die Frage, ob es spezielle Eis-Designer gibt, die die neuen Kreationen entwerfen, antwortet Langnese etwas allgemein: »Eis zu kreieren ist Teamarbeit. Und oftmals gar nicht so einfach. Die Ideen für neue Eis-Kreationen kommen nicht nur aus der Marketingabteilung oder Produktentwicklung, sondern hier ist das kreative Potential jedes einzelnen Langnese-Mitarbeiters gefragt. Auch Eis-Produkte anderer Länder, neue Rohwaren oder technische Neuheiten können Impulse für die Entstehung neuer Eissorten geben. Wichtig ist grundsätzlich, dass sowohl der Geschmack, das Design als auch der Name des Eises innovativ sind und in die aktuelle Zeit passen.« Klar, Innovationen gab es immer, sei es »Magnum« mit goldener oder silberner Glasur, oder die »Solero-Shots«-Kügelchen, eine Mischung aus Eis und Energy-Drink.
Und doch ist die Erinnerung ausschlaggebend beim Griff in die Truhe. In den 80ern bestimmte die Kinoreklame »Like Ice In The Sunshine« das Image. Das Leben als eine immerwährende, hedonistische Strand-Party. Ab 1995 hieß es: »So schmeckt der Sommer«. Im Spot sieht man eine mediterrane Stadt, deren Einwohner sich freuen, dass es endlich wieder Eis gibt. (Darunter auch etwas verschrobene Zwillinge, die dort im Frühsommer mit roten Wollmützen auf dem Kopf herumlaufen, und die unehelichen Söhne von Bill Murray aus Wes Andersons »The Life Aquatic« sein könnten.) Auch hier blickte man erstmal zurück – das Lied im Spot begann melancholisch: »Weißt Du noch im letzten Jahr? Weißt Du noch?«