TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Finstere Gestalten mit grimmigem oder teilnahmslosem Gesichtsausdruck; Antlitze, umflort von avantgardistisch-zeitgenössischen Frisuren, eingepfercht auf der Größe eines Passbildes – hier geht es nicht um die RAF-Fahndungsplakate in den Postämtern der 70er Jahre, sondern um die Fußballbilder, die zu dieser Zeit die Schulhöfe eroberten. Zur Fußball-WM 1974 erschien in Deutschland die erste Sammelbilderkollektion samt Album und eröffnete neue Blicke auf bisher unbekannte Länder, Mannschaften, Trikots, Namen und Schnurrbärte. Der rege Tausch in den Schulpausen schuf ganz neue Wertschöpfungsysteme; man wurde zum Jäger und Sammler. Wen kriegt man für drei Lotharmatthäusse? Und wie viel ist ein Karl-Heinz Rummenigge wert? Damals wahrscheinlich die ganze mexikanische Nationalmannschaft.
Die guten Bilder hatten immer die anderen; die Mannschaftsfotos, Trainerporträts, Stadionansichten und dämlichen Maskottchen. Purer Luxus und hochgehandelt waren der jeweilige Pokal und die Vereinsembleme, die auf gold-metallischer Spezialfolie gedruckt wurden und nur in wenigen der vom zusammengekratzten Taschengeld erstandenen Tütchen zu finden waren. Nachfrage durch Mangel – diesen ökonomischen Grundsatz lernte das aufgeweckte Kind früh, darauf hoffend, in der nächsten Tüte doch endlich den lang gesuchten Beckenbauer zu finden.
Im Rückblick bieten die Bildchen und Alben nicht nur reichlich Stoff für zukünftige Frisurenforscher, sondern dokumentieren auch den jeweiligen Zeitgeist aufs Vortrefflichste. In Zeiten, wo Fußballbilder als Reklamegeschenk an Discounterkassen unters Volk geramscht werden, auf das auch der letzte angefixt werde, hat das Fußballmagazin 11 Freunde die Zeichen der Zeit erkannt und Ende 2013 das Sammelalbum »Fußballklassiker – Helden, Schnäuzer, Lattenkracher« an die entzückte Leserschaft gebracht. Der Griff ins Archiv reichte bis in die 50er Jahre zurück, zu Fritz Walter und Uwe Seeler in technicolorsatten Farben, und brachte Absonderliches zu Tage wie das Cover von Norbert Nigburs Single »Wenn Schalke 04 nicht wär (wäre das Parkstadion immer leer)« von bestechender inhaltlicher Logik oder Trikots aus Zeiten, als noch »Jägermeister« und »Samson-Tabak« als Sponsoren durchgingen. Vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet, sind aber nicht die 70er die fragwürdigsten Jahre, sondern die 90er – die viel zu weit geschnittenen Trikots, oder Mike Werners berüchtigte Vokuhila-Schnäuzer-Kombination bei Hansa Rostock kurz nach der Wende. Uli
Stielikes expressivbemusterte Sakkos fehlen leider. Oder zum Glück.
Das Sammeln von Fußballbildern als Kulturtechnik – das haben die Macher hinter dem Schweizer »tschutti heftli« bereits 2006 umgesetzt. Deren Sammelalbum »tschutti heftli« – »tschutten« bedeutet auf Hochdeutsch kicken – ist ein nichtkommerzielles Kunstprojekt, das, anstelle der üblichen Fotos, die Spieler und Trainer von 30 internationalen Illustratoren in verschiedenen Stilen zeichnen und gestalten lässt. Vom Comic über die Karikatur bis hin zur modellierten Puppe ist alles dabei – wahre Charakterzeichnungen, die der Person oft näher kommen, als dieser recht sein kann. Jogi Löw als zart-schraffierter Melancholiker, Ottmar Hitzfeld als entschlossen-grimmiger Trainer der Eidgenossen mit geschulterter Armbrust, und der Spanier Casillas als mosaikhafter Kirchenfensterheiliger. Nicht immer vorteilhaft für den Spieler, dafür aber mit Seele. Kein Wunder, dass das Logo der »tschuttis« ein brennendes Fußballherz ist.