TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Es gibt Möbel, die haben immer die anderen. Belächelte Zeugnisse internationalen Möbeldesign- und Dekorationsschaffens: Esszimmerstühle mit übergezurrten, pastellfarbenen Hussen, Wand-Tattoos, bräunlich geflieste Couchtische – und, natürlich, die Schrankwand. Die hatten damals, im alten Westdeutschland, allenfalls Oma und Opa, oder aber die konservativ wählenden Herrschaften von nebenan.
Niemand hatte die Absicht, eine Mauer zu errichten. Dafür aber eine Schrankwand. Gefühlte fünf Meter raumfüllende deutsche Eiche, ein meist dunkelholziges, rustikal gemasertes Ensemble gegenüber der Sitzgruppe. Die hölzerne Front wurde allenfalls von schmalen, offenen Regalbrettern unterbrochen, oder von zwei Glastüren, die butzenscheibig oder buntglasig an antike Kneipenfenster erinnerten. Dahinter wurden meist das »gute Geschirr« oder aber die unpraktischen Bierhumpen mit Metalldeckel gelagert, die man vor zehn Jahren zum Geburtstag geschenkt bekam (wahrscheinlich von den Herrschaften von nebenan) und die seitdem unbenutzt in der sogenannten »Vitrine« endgelagert wurden.
Überhaupt verschwand viel hinter den Schranktüren – wie die mehr oder weniger gut ausgestattete Hausbar mit diversen Weinbränden oder den in eine Karaffe umgefüllten Cognac. Auch angefeuchtete Bierdeckel und angebrochene Salzstangentüten verschwanden dahinter, was der Hausbar beim Öffnen einen unverwechselbaren Duft verlieh. Anders als heute, wurde die Unterhaltungselektronik nicht neidheischend präsentiert, sondern wurde ebenfalls hinter abschließbaren Holztüren versteckt. Diese wurden allabendlich rituell wie ein Schrein geöffnet, damit der bauchige Farbfernseher zum Fenster in die Welt werden konnte. Nach dem Ausschalten wurde die Schrankwand wieder geschlossen – eine Barrikade gegen das Böse. Bücher hatten darin erstaunlich wenig Platz.
Ganz im Gegenteil zu den ostdeutschen Schrankwand-Modellen, die aufgrund enger Wohnungen ihrer eigentlichen Funktion eher nachkamen als die massiv-klobigen, westdeutschen Stücke. Franz Schuster, ein Wiener Architekt, entwarf schon 1921 ein Schrankwandsystem für den württembergischen Möbelhersteller Erwin Behr. Ziel war es, auf einer geringen Grundfläche möglichst viel Raum zu schaffen; eine Lösung, die für Plattenbauten wie gerufen kam. Hier war das Design schlanker und offener, die lackierten Holzboxen wurden mit einem lichten Metallgerüst zusammengehalten, teils ließ sich auch eines der berüchtigten Klappbetten hervorzaubern.
Auch wenn diese Formensprache heute von angesagten Designlabels als »Retro-Style« munter zusammenzitiert wird, geht der Trend weiterhin zum Schrecklichen. Jedenfalls, wenn man den bunten Möbelhaus-Werbeblättern glauben darf, die ungefragt in die Briefkästen flattern. Dort feiert die Schrankwand als Epigone deutscher Spießerness Auferstehung in beschichtetem Sperrholz – merkwürdig zusammengewürfelte Wandelemente, die nur wenig Stauraum bieten, kombiniert mit pyramidal-verschachtelten Vitrinen für die Proseccogläser, samt flachen Schubladenkästen, die viel Raum für einen riesigen Flachbildfernseher lassen. Falls man nur einen kleinen Fernseher hat, bleibt wenigstens noch Raum für ein Wandtattoo.
Der Deutsche und seine Schrankwand – auch der Chronist Loriot hat dieses ganz besondere Verhältnis in seinem Film »Ödipussi« für die Nachwelt dokumentiert. Dort verkauft er das Schranksystem »Trulleberg« aus der immerhin »dänischen Kombi-Serie« und führt dessen Selbstmontage vor – »die Seitenteile wieder einklinken lassen und mit dem Scherbolzen fixieren« –, was dazu führt, dass die Kunden verzweifelt die Einzelteile des kollabierenden Schranks festhalten. Auf seinen Hinweis, dass das System in allen Farben erhältlich sei, auch in Eierschale, kann es nur eine Entgegnung der Kundin geben: »Eierschale passt überall rein.«